Möge der Beste gewinnen…

Jugendbuch | Kate Hattemer: Für Freiheit, Kunst und Mayonnaise

Castingshows liegen im Trend, unterhalten das Fernsehpublikum und versprechen den Siegern eine grandiose Zukunft. Aber wie sieht es hinter den Kulissen aus. Von ANDREA WANNER

MayonnaiseEine Castingshow an einer Schule? Schülerinnen und Schüler dieser Schule als Teilnehmende? Die Reaktionen an der renommierte Selwyn Kunstakademie sind unterschiedlich. Die einen wittern ihre Chance auf das Stipendium, das zu gewinnen gibt, die anderen ahnen, dass ein Stück ihrer künstlerischen Freiheit auf der Strecke bleiben könnte. Und manche freuen sich einfach an dem Rummel, der den Schulalltag zu etwas Spannendem macht. Ethan gehört zu Letzteren. Sein künstlerisches Talent – er zeichnet und speilt Trompete – ist eher mäßig. Aber zu den Teilnehmenden am Wettbewerb gehört sein Schwarm, Maura, als Balletttänzerin an dem Wettbewerb teilnimmt und er so die Chance hat, sie im Fernsehen zu bewundern. Sein naiver Spaß an der Talentshow wird ihm schnell von seinen Freunden genommen. Luke, Elizabeth und Jackson sehen den Medienrummel weit kritischer. Und schließlich ist klar: Sie wollen sich gegen Kommerz und Vermarktung wehren und für die Kunst und deren Freiheit kämpfen. Aber wie?

Kate Hattemer wählt für ihren Debütroman ein spannendes Thema und setzt es auf ungewöhnliche und anspruchsvolle Art um. Sie lässt Ethan erzählen, also denjenigen, der zwischen Faszination und Ablehnung schwankt. Er wirkt unreifer als die drei anderen – die extrovertierte Elizabeth mit ihren Dreadlocks, der Computernerd Jackson und der wortgewandte, allseits beliebte Luke – und ist am Überzeugendsten, wenn er mit seinen drei kleinen Zwillingsschwestern rumtobt oder mit dem Meerschweinchen Mayonnaise spielt und ihm Kunststücke beibringt. Die Aktion, die die vier gegen die Reality-Show ›For Art’s Sake‹ planen sie gemeinsam. Die kommerzialisierte Kunst, die keine wahre ist, soll mit den Mitteln der Kunst geschlagen werden. Das ist anspruchsvoll – und geht zunächst gründlich schief.

Hattemer konstruiert den Roman geschickt und mit literarischem Anspruch. So gibt es drei unterschiedliche Anfänge der Geschichte, die sich gegenseitig ergänzen. Es ist ja immer die Frage, ob beginnt man zu erzählen, was gehört noch dazu und ist wichtig, was nicht. Ebenso gibt es drei Enden – auch sie ergänzen sich, denn eine Geschichte ist ja nicht aus, nur weil ein Buch aus ist. Es sind Dinge angestoßen, die außerhalb der eigentlichen Handlung ein Eigenleben führen könnten. Als Leser muss man sich darauf einlassen. Komplizierter wird es mit dem literarischen Vorbild für die Aktionen. Es sind die Cantos von Ezra Pound, von denen sich die Freunde zu »Contracanctos« inspirieren lassen. Um Pound näherzukommen, macht Hattemer ihn, seine Theorien und seine schwierige Biographie mit der Sympathie für den Faschismus zum Thema der Literaturstunden. Das gerät an die Grenze zur Überforderung von Leserinnen und Lesern, ist aber durchaus reizvoll umgesetzt. Der Funke springt vor allem über, weil der vermittelnde Lehrer zum Sympathieträger wird, Assoziationen an den Englischlehrer John Keating aus dem ›Club der toten Dichter‹ werden nicht zufällig wach.

Nach und nach entdecken die Freunde immer mehr Details, die zeigen, wie ›For Art’s Sake‹ wirklich funktioniert, wer davon profitiert und wie die daran Teilnehmenden ihren Preis dafür zu zahlen haben. Aber wer ist nicht empfänglich für persönliche Vorteile, Macht, Geld, Ansehen? Die Show entwickelt eine Eigendynamik, lässt Menschen die Fronten wechseln und wirft Fragen auf. Der schlichte Plan, das Spektakel als das zu entlarven, was es ist, muss scheitern, denn zu viele sind bereit, den Preis dafür zu zahlen, der von ihnen gefordert wird.

Freundschaften werden auf die Probe gestellt und zerbrechen, eigene Meinungen müssen überdacht werden, Werte formuliert und neu verortet werden. Jeder und jede kann selbst entscheiden, was ihm und ihr wichtig und was er oder sie dafür bereit ist zu geben.

Hattemer verzichtet dabei auf Lösungen, die sich anbieten würden, weil sie weiß, dass sie zu simpel wären. So funktionieren Castingshows nicht, so funktioniert die Gesellschaft nicht, so funktioniert das Leben nicht. Niederlagen werden immer dazugehören und es siegt am Ende nicht immer die Moral. So wenig, wie immer der Beste gewinnt. Eine kluge Geschichte, für die man sich Zeit nehmen sollte. Gerade auch, wenn man Castingshows gar nicht so übel findet.

| ANDREA WANNER

Titelangaben
Kate Hattemer: Für Freiheit, Kunst und Mayonnaise
(The Vigilante Poets of Selwyn Academy, 2014) Aus dem Englischen von Ingo Herzke
Hamburg: Carlsen 2015
338 Seiten. 17,99 Euro
Jugendbuch ab 14 Jahren
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