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Verlockendes Teufelszeug

Jugendbuch | Andy Mulligan: Liquidator

Wenn sich Jugendliche an die Lösung eines Kriminalfalls machen, gibt es für Autorinnen und Autoren zwei Möglichkeiten. Entweder man sorgt für einen kleinen, mehr oder weniger plausiblen Fall, dessen Aufklärung durch Amateure im Bereich des Möglichen liegt. Oder man greift in die Vollen. Dann wird es vermutlich eher unglaubwürdig, dafür spannend. Wie im vorliegenden Fall. Von ANDREA WANNER

Mulligan - Liquidator»Liquidator« heißt der Energy-Drink, der im wahrsten Sinne des Wortes in aller Munde ist. Und schon mit diesem Namen zeigt Andy Mulligan, dass er eine ganz große Story erzählen will. Denn was einer leckeren Limonade, auf die Teenager abfahren den Namen gibt, hat andere Bedeutungen, mit denen sich durchaus spielen lässt. Denn als Liquidator wird auch eine Person bezeichnet, die zur Auflösung eines Unternehmens bestellt wird. Dem Unternehmen, das hinter dem Drink steht, könnte so eine Auflösung drohen, wenn erst einmal die dunklen Machenschaften ans Licht kommen, die hinter dem Muntermacher stecken. Und ein Liquidator ist auch jemand, der berufsmäßig andere Personen tötet. Dass es um viel Geld geht und das Imperium, das hinter dem »Liquidator« steckt, vor nichts, aber auch rein gar nichts zurückschreckt, muss die Gruppe von Jugendlichen, die in den spektakulären Fall verwickelt wird, schon sehr bald feststellen.

Vicky, Katkat, Ben, Edgar, die Zwillinge Polly und Molly, Leela, Michael und Spud Cropper gehen in die gleiche Klasse und müssen ein dreitägiges Berufspraktikum absolvieren. Katkat landet bei einem prominenten Star, die Zwillinge in einer Redaktion, Michael in einer Notrufzentrale. Leela hat ihren ersten Einsatz in einem Krankenhaus, Spud Cropper wird in der Kanalisation tätig, Edgar versucht sein Glück in einem Fitnessstudio und Ben soll sich in einem Blumenladen an Floristik versuchen. Pech hatte Vicky, die zu spät zur Vergabe der Praktikumsplätze kommt und nur eine Art Notplatz ergattert, als Catering-Assistentin in einer großen Anwaltskanzlei. Gerade ihr Einsatz bei Lockson & Lockson bringt den Stein ins Rollen. Alle übrigen Klassenkameraden und ihre jeweiligen Jobs haben ihren Einsatz im Laufe der Geschichte, keiner davon ist zufällig gewählt.

Vicky, die von Enthüllungsjournalismus träumt, bekommt also einen Job, bei dem sie Häppchen belegen soll. Dass sie auf der Vorstandsetage bei Lockson & Lockson landet, ist einem Zufall zu verdanken. Ebenso der Moment, den sie dort miterlebt. Und dann verschüttet sie ausgerechnet etwas von dem klebrigen Liquidator auf dem ultrateuren Laptop der Chefin. Ihr Versuch, die Situation zu retten, setzt eine Kettenreaktion in Gang, die gefährlicher und abenteuerlicher nicht sein könnte und in die der Reihe nach auch ihre Mitschülerinnen und Mitschüler involviert werden.

Andy Mulligan versteht sein Handwerk. Er kommt vom Theater – das spürt man an den Dialogen –, arbeitet als Lehrer in Indien, Brasilien, Vietnam und auf den Philippinen und zeigt mit seinem 2011 auf Deutsch erschienen Roman ›Trash‹, wie man atemberaubende Krimis mit sozialkritischem Hintergrund für junge Leserinnen und Leser schreibt. ›Trash‹ war für die Carnegie Medal nominiert, wurde in 28 Sprachen übersetzt und 2014 mit Rooney Mara und Martin Sheen fürs Kino verfilmt. Die Story von ›Liquidator‹ ist nicht weniger temporeich und weist auf Missstände hin, die man allzu leicht verdrängt: Für das, was wir hier genießen, müssen andere den Kopf hinhalten. Konkret bedeutet das, dass eine Limonade an afrikanischen Kindern getestet wird, geschmacklich verfeinert und perfektioniert, bis sie hier auf dem Markt zum angesagten Designgetränk wird, für Sieger gemacht. Über die Verlierer auf der anderen Seite der Welt verliert keiner ein Wort. Die Machenschaften werden vertuscht, Kollateralschäden als unvermeidbar hingenommen, schließlich geht es um viel Geld. Sehr viel Geld.

Und dann stoßen Vicky und ihre Mitschüler auf diesen Fall und lassen einfach nicht locker. Glaubwürdig ist die Geschichte allemal, dass die jugendlichen Akteure dafür in Rollen schlüpfen müssen, die ihnen zwei Nummern zu groß sind, verzeiht man. Die Alternative wäre ein Thriller für ein erwachsenes Lesepublikum gewesen. Aber so liefert Mulligan Denkanstöße für Teenager, die absolut lesenswert sind.

| ANDREA WANNER

Titelangaben
Andy Mulligan: Liquidator
(Liquidator, 2015) Aus dem Englischen von Uwe-Michael Gutzschhahn
Reinbek: Rowohlt rotfuchs 2016
352 Seiten. 16,99 Euro
Jugendbuch ab 13 Jahren
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