Kinderbuch | Philip Ardagh: Schlimmes Ende

Es gibt verrückte Geschichten und es gibt total verrückte Geschichten. In die zweite Kategorie gehört der haarsträubende Bericht von Philip Ardagh über das Schicksal von Eddie Dickens. Von ANDREA WANNER

Ardagh - Schlimmes EndeEmpfindliche Gemüter, Leute ohne Sinn für sehr englischen Humor, Kinder, die sich schnell ekeln, und überhaupt alle, die den Kopf schütteln, wenn sich eine Absurdität an die andere reiht, lassen am besten die Finger von diesem Buch. Für die Liebhaber verrückter Spinnereien, die dann noch übrig bleiben, als kleine Kostprobe der Einstieg in das abgehobenste Nonsenseabenteuer, das man sich vorstellen kann:

Als Eddie Dickens elf Jahre alt war, bekamen seine beiden Eltern so eine abscheuliche Krankheit, von der sie gelb und an den Rändern etwas wellig wurden und nach alten Wärmflaschen rochen.

Damals gab es viele solcher Krankheiten. Vielleicht hatte das mit dem vielen dicken Nebel zu tun, mit dem knubbeligen Kopfsteinpflaster und damit, das sich alle zu Pferde fortbewegten… sogar aufs Klo. Wer weiß?
»Es ist sehr epidemisch«, sagte sein Vater.
»Und ansteckend«, sagte seine Mutter, die an einem Eiswürfel in Gestalt eines berühmten Generals lutschte.

Besonders liebevolle Eltern sind die Dickens nicht. Ständig vergessen sie den Namen ihres einzigen Sohnes, machen sich aber immerhin genug Sorgen um seinen Gesundheitszustand, um ihn – sicher ist sicher – zu evakuieren. Er soll zu dem wahnsinnigen Onkel Jack und seiner Frau, der noch wahnsinnigeren Tante Maud.

Das Ziel der Reise, die Eddie Ende des 19. Jahrhunderts mit Großonkel und Großtante in einer Kutsche antritt, ist deren Anwesen, das den verheißungsvollen Namen »Schlimmes Ende trägt«. Wer sich traut, startet mit Eddie zu einer total abgedrehten Fahrt ins Ungewisse, lernt absonderliche Schauspieler kennen, nimmt staunend stinkende Fische als Zahlungsmittel zur Kenntnis, besucht das Waisenhaus Sankt Fürchterlich und wundert sich schon bald über rein gar nichts mehr.

Höchstens über die Kommentare des Autors, der hin und wieder aus seiner Rolle fällt, um ein bisschen mit den Lesern zu plaudern oder sie zu belehren.

Es ist Geschmackssache, das kunterbunte Durcheinander, das der Guardian sehr treffend als Mischung aus Dickens und Monty Python bezeichnet hat. Klingt vielleicht ein bisschen wie Erdbeerkuchen mit Senfsoße oder Bratwurst mit Nutella. Liest sich auch stellenweise so. Harry Rowohlt, der das Buch ins Deutsche übersetzt hat, meinte jedenfalls »Eines der besten Bücher, die ich bislang übersetzt habe.« Und jetzt testet am besten jeder seinen Sinn für britischen Humor selbst!

| ANDREA WANNER

Titelangaben
Philip Ardagh: Schlimmes Ende
Aus dem Englischen von Harry Rowohlt
Mit Illustrationen von David Roberts
München: Omnibus 2002
128 Seiten, 9,90 Euro
Ab 10 Jahren

Reinschauen
| Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Löwen, die schreiben können

Nächster Artikel

Wein & Krieg

Weitere Artikel der Kategorie »Kinderbuch«

Endlich erwachsen!?

Kinderbuch | Paul Maar: Der Galimat und ich Ein merkwürdiges Wesen landet mitten in der Nacht in Jims Zimmer und stellt sich als Galimat vor. Er ist ein Galimat und heißt Galimat und für Jim bedeutet das eine Menge Überraschungen. ANDREA WANNER freute sich auf Paul Maars neuestes Kinderbuch.

Auf der Suche nach dem Ursprung

Kinderbuch | Manfred Schlüter: Am Anfang sagte der Apfel Irgendwann muss alles einmal angefangen haben. Wie, das wissen wir nicht. ANDREA WANNER hat die Schöpfungsgeschichten von Manfred Schlüter gelesen.

Das Recht auf eine Gutenachtgeschichte

Kinderbuch | Helen/Thomas Docherty: Der Bücherschnapp Okay, ins Bett muss man abends irgendwann. Aber das Mindeste, was Kinder dann noch erwarten können, ist eine Gutenachtgeschichte. Im Kaninchental wird die Tradition des abendlichen Vorlesens in allen Familien gepflegt und ANDREA WANNER versteht den Ärger, als es zu Störungen kommt.

Willkommenskultur

Kinderbuch | Stephanie Schneider: Elefanten im Haus Neue Nachbarn? Das kann in einem Mietshaus spannend werden. »Ob sie wohl Kinder haben?«, überlegt Fine. Und erlebt eine riesengroße Überraschung! Von ANDREA WANNER

»Happiness is contagious, too«

Jugendbuch | Björn Lengwenus: Glück

In diesen Tagen geraten Pläne durcheinander: Große, wichtige Dinge können nicht wie geplant durchgeführt werden, Termine werden verschoben, Veranstaltungen abgesagt. Auch im Privaten ist nichts mehr, wie wir uns das noch vor Kurzem vorgestellte hatten. Und tatsächlich habe ich gezögert, die geplante Besprechung von GLÜCK zu verschieben. Auf glücklichere Tage. Hier der Grund, warum ich es doch nicht getan habe. Von ANDREA WANNER