/

JDr. & BB

Menschen | Zum Tod des Kritikers und Literaturwissenschaftlers Jörg Drews

Nicht wenige Autoren haben durch den Tod von Jörg Drews einen mitreißenden Feuerkopf und temperamentvollen Streiter für jede Art Literatur ohne Kompromisse verloren. Ein Nachruf von WOLFRAM SCHÜTTE

Jörg Drews, der Literaturkritiker (und von 1974 bis 2003 Prof. an der Universität in Bielefeld), war immer, was man früher »einen feurigen Liebhaber« nannte: – der Literatur versteht sich, vornehmlich. Aber nur jener Literatur, die aufs Ganze geht – also meistens nicht jener deutschen und ausländischen Literatur, die unter den rezensierenden Kollegen en vogue und als unterhaltsam-lesenswert von deren angeblichem Papst ex Cathedra belobigt wurde. Denn Jörgs Grunddevise war: Nur Autoren, die ihren Lesern etwas zumuten, nehmen ihre Leser ernst. »Bong«, sagte ich & ergänzte: Unterhalten können wir uns nämlich selbst.

Wir haben uns, wo & wann wir uns trafen & sahen, immer sehr gut unterhalten – oft auch darüber, dass wieder einmal wir ohne Absprache oder gegenseitigen Hinweis, dem jüngsten übersetzten Lateinamerikaner (bei Suhrkamp, versteht sich) verfallen waren und – Wunder der Koinzidenz! – am gleichen Wochenende in der FR & der SZ unsere Hommage publiziert hatten. Gestritten haben wir uns – allerdings mit pun & fun – nur lachend darüber, ob Arno Schmidt mit seine Goethe-Kritik nicht doch eher recht hatte (was die Prosa nach dem ›Werther‹ angeht) und ob Jean Paul nicht doch das größere Sprachereignis der deutschen Literatur während ihrer klassischen Periode war.

Arno Schmidt hatte uns, beide Studenten und seine frühen Leser, zusammengebracht: die Bücher natürlich und die Erzählungen, die in ›Konkret‹ erschienen, wo ich als »Hochschulredakteur« eine Seite verantwortete. Später – als wir beide in den Feuilletons von FR & SZ literaturkritisch uns einmischten & auch die Weichen stellten, konnte ich zwar submissest beim Solipsisten in der Heide den einen oder anderen Originalbeitrag für die FR einwerben, Jörg aber wurde dafür mehrfach zur Privataudienz in Bargfeld empfangen.

Mit dem Versprechen, uns womöglich dem Meister als seine enthusiasmierten Gesellen zu präsentieren, hatte Jörg eine kleine Gruppe von Schmidtianern nach Bargfeld beordert, um dort den gerade erschienenen ›Zettels Traum‹, im Kofferraum eines Fiat 124 S zur gemeinsamen Lektüre transportiert, »bei Bangemann« zu studieren. Zu nichts davon kamen wir; stattdessen auf langen Spaziergängen zu diesem & jenem Locus amoenus der Schmidtschen Erzählwelt. Es war aber der Beginn einer wunderbaren Freundschaft – und diesem Treffen des »Arno-Schmidt-Dechiffriersyndikats« entsprang aus Jörgs Kopf seine Idee des ›Bargfelder Boten‹ (BB), dessen jüngste Lieferung – die 313/14. ! – im Januar erschienen ist.

Quicklebendig, neugierig und begeisternd

Was für ein großartiger Professor er war, weiß ich nicht, kann es aber einerseits aus seiner quicklebendigen, neugierigen und begeisternden Natur ebenso mir vorstellen, wie aus dem höchst unkonventionellen, von seinen Schülern zu seiner Emeritierung 2004 edierten ›buch für jörg drews‹ erschließen. Unter dem Titel ›Literatur ohne Kompromisse‹ sind dort auch einige literarische Zeitgenossen dabei, mit denen Drews, der als Editor so viel für die Sprachrevolutionäre des deutsch-österreichischen Expressionismus getan hat, zeitlebens befreundet war und deren Herold er als Rezensent war: Harig und Mayröcker, Rühm und Wühr, Achterbusch und Fritsch: die Überlebenden der Moderne, zu der natürlich vor allem die aller Bewunderung werten Österreicher Artmann, Jandl und Konrad Bayer zählten.

Auch hat Jörg Drews dafür gesorgt, dass der nach Palästina vertriebene Essayist Werner Kraft noch zu seinen Lebzeiten ein Nachleben in der Bundesrepublik der Achtziger Jahre erleben konnte. Für den Deutschen Klassiker Verlag hat der Philologe Drews das Œuvre des proletarischen Aufklärers Johann Gottfried Seumes ediert, 1999 die Seume-Gesellschaft gegründet und seine Separat-Edition von Seumes Autobiographie war für 2010 vorgesehen.

So reichte der Spagat des Literaturkritikers & -Wissenschaftlers von den Hausgöttern James Joyce und Arno Schmidt bis zu den geschätzten Altvorderen Seume & Goethe, dem Jörg Drews über Jahrzehnte hin, jährlich zu dessen Geburtstag am 28. August in der SZ, eine ganze Seite widmete, auf der er die neue Ernte der Goethe-Philologie Revue passieren ließ.

Nicht wenige Autoren haben jetzt einen mitreißenden Feuerkopf und temperamentvollen Streiter für jede Art Literatur ohne Kompromisse verloren. Einige von uns aber auch noch: einen liebenswerten und lebenslustigen Freund.

| WOLFRAM SCHÜTTE

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

»Nödel geweint« – oder unter Katzenjammer Kids

Nächster Artikel

Traditionspflege und Experimentierfreude

Weitere Artikel der Kategorie »Menschen«

Klare fotografische Ansagen

Sachbuch | Scott Kelbys Reisefoto-Rezepte

Dieses Buch – so der Autor, dessen Ratgeber seit Jahren weltweit in Sachen digitaler Fotografie und für Adobe-Produkte am meisten verkauft werden – schreibe er so, als wäre er mit Ihnen allein unterwegs, irgendwo, an einem »fantastischen Ort«, zum Beispiel Paris. Das klingt doch gut. Den ganzen »technischen Kram« wolle er dann weglassen. Wie das geht und ob es funktioniert, das hat sich BARBARA WEGMANN in dem Buch angeschaut.

Scharfsinniger Sprachvirtuose

Menschen | Zum Tod des Georg-Büchner-Preisträgers Hans Magnus Enzensberger

»Was dir durch den Kopf rauscht, ist formlos und nicht zu fassen. Du spinnst wie Arachne, mein Lieber, und von Glück kannst du sagen, wenn es dir wenigstens gelingt, eine Stubenfliege zu fangen«, heißt es im zum 90. Geburtstag des Autors erschienenen Band »Fallobst«. Hans Magnus Enzensbergers Produktivität war bis ins hohe Alter beeindruckend. Von PETER MOHR

Eloquenz und Humor

Menschen | Zum Tode des Kritikers und Schriftstellers Hellmuth Karasek »Manchmal fürchtete ich schon, ich schreib mich in eine Depression hinein«, bekannte Hellmuth Karasek über die Arbeit an seinem 2006 erschienenen Band ›Süßer Vogel Jugend‹. Der kulturelle Tausendsassa mit der stark ausgeprägten Affinität zur Selbstironie sprühte auch in fortgeschrittenem Alter noch vor Tatendrang und hatte 2013 unter dem Titel ›Frauen sind auch nur Männer‹ noch einen Sammelband mit 83 Glossen aus jüngerer Vergangenheit vorgelegt. Sogar prophetische Züge offenbarte Karasek darin, sagte er doch den Niedergang der FDP zwei Jahre vor der Bundestagswahl 2013 schon voraus. Ein Rückblick von PETER MOHR

Die ganze Welt ist voller Barrieren

Gesellschaft | Andreas Pröve: Abenteuer Mekong. Mit Audio-Interview In seinem Buch Abenteuer Mekong. 5700 Kilometer von Vietnam bis ins Hochland von Tibetberichtet Andreas Pröve von seiner Reise entlang der Lebensader Südostasiens. Fünf buddhistische Länder durchquert er mit seinem indischen Reisegefährten Nagender, um dem Mekong vom Mündungsdelta in Vietnam stromaufwärts bis zu seiner Quelle im tibetischen Hochland nachzuspüren. Dabei tauchen die beiden Weltenbummler tief ein in fremde Kulturen mit all ihren Besonderheiten. Der Klappentext verspricht ein eindringlich und leidenschaftlich erzähltes Abenteuer. Von STEFAN SCHALLES

Erinnerungen einer Unbequemen

Menschen | Marianne Birthler: Halbes Land. Ganzes Land. Ganzes Leben Fünfundzwanzig Jahre nach dem Mauerfall analysieren prominente Gesichter Ursachen und Folgen der deutschen Wiedervereinigung. Marianne Birthler ist eine der bekanntesten Figuren auf dem Schachbrett der deutsch-deutschen Geschichte. Sei es als Oppositionelle in Ostberlin, als Abgeordnete der Bündnisgrünen im Deutschen Bundestag oder schließlich als Hüterin der menschenverachtenden Dokumente des Ministeriums für Staatssicherheit der ehemaligen DDR. Ihre Erinnerungen lesen sich als bewegendes Dokument des kollektiven Gedächtnisses einer wiedervereinten Nation. VIOLA STOCKER hörte zu.