Digitales | Games: Debatte um Ballerspiele
Sie werden als »Killerspiele« gebrandmarkt, haben ereifernde Rufe nach Zensur entfacht und werden gerne für so manche gesellschaftliche Fehlentwicklung verantwortlich gemacht: Das Computerspielgenre der Shooter treibt so manchem Kulturkritiker den gerechten Zorn ins Gemüt. PETER KLEMENT mit einem Beitrag zur Debatte und dem Plädoyer, digitale Spiele als fiktionale Werke zu erkennen – und nicht als gemeingefährliche Ausbildungslager für Amokläufer.
Und da wir heute den ›Alice im Wunderland‹-Tag haben, kommt das Ganze in eine hübsche Analogie verpackt daher …
Beginnen wir die Debatte um Shooter oder polemischer gesagt »Killerspiele« mal mit einem Gedankenbild: Man stelle sich vor, dass anstelle von Alice ein grantiger alter Mann ins Wunderland geplumpst wäre. Er wäre nie aus dem ersten Raum gekommen, denn man muss schon ein Narr sein, um aus einer Flasche zu trinken, auf der »trink mich« steht. Und die Tatsache, dass ihn seltsame Gestalten dazu auffordern, genau das zu tun, hilft der Bereitschaft, das Wunderland zu betreten, nicht weiter. Was letzten Endes bleibt, ist ein grantiger alter Mann an der Schwelle zum Wunderland, der nicht rein will, weil er von anderen grantigen alten Männern wilde Geschichten über das Wunderland und dessen Bewohnern gehört hat.
Hinter den Spiegeln
Der Vorwurf an Shooter ist der, dass man, statt das Wunderland aus der Sicherheit eines heimeligen Sessels lesend zu erkunden, es mit einem Maschinengewehr durchberserkert. Also aktiv und vor allem zerstörerisch handelt. Und wie Nietzsche schon so schön sagt: »Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehn, dass er nicht dabei zum Ungeheuer wird. Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein.«
Und wer seine Zeit damit verbringt, Kugeln kreativ in die Anatomie der verschiedenen Wunderlandbewohner zu verteilen, der muss wohl verrückter als ein verrückter Hutmacher sein. Ein Kandidat für eine kuschelige Jacke mit begrenzter Armfreiheit. Aber der Abgrund, von dem geglaubt wird, dass er dem Spieler ins Gesicht springt, ist ungefähr so real, wie die von Lewis Carroll erzählte Gesichte von einem kleinen Mädchen, das in einen Kaninchenbau krabbelte. Man wird ja auch nicht zum Textverarbeitungsprogramm, nur weil man ein paar Stunden draufstarrt. Was da in bewährter Logik des grantigen alten Mannes kurzgeschlossen wird, ist der Begriff Spiel und Simulation: Ein Pilot trainiert in einem Flugsimulator, damit er besser fliegen kann. In einem Killerspiel trainiert man das Killen und hat obendrein noch Spaß – weil Spiel – dabei.
Flamingos zu Crocketschlägern
Jeder, der in der realen Welt eine staatlich geförderte Ausbildung im Platzieren von Kugeln genossen hat, wird bestätigen können, dass man mit Flamingos nur im Wunderland Crocket spielen kann und folgerichtig auch nur dort Mäuse zu einer tödlichen Waffe werden. Man bewegt sich zwar in einer virtuellen Welt, aber eben über Eingabegeräte und mit sehr begrenzter sensorischer Bandbreite. Was bleibt, ist der nietzscheanische Abgrund, der natürlich eine reale Gefahr ist, genauso wie ein Hund sein Spiegelbild als Bedrohung wahrnimmt. Kinder fliegen mit einer Pappschachtel zum Mond, sind aber trotzdem zum Essen wieder zu Hause und im Theater ruft keiner der Zuschauer: »Haltet den Mörder!« Es ist den meisten Menschen eigen, fiktionale Realitäten von der ihrigen zu trennen. Wer nach dem Zuschlagen des Buches noch weiße Kaninchen sieht, der sollte den Ratschlag von Helmut Schmidt befolgen: »Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen.«
Die Herzkönigin darf nicht mitspielen
In einem Shooter würde die Herzkönigin hochkant vom Spielfeld fliegen, weil sie sich unlauterer Mittel bedient. Denn wenn mit Flamingos gespielt wird, dann hat jeder den gleichen Flamingo zu bekommen. Das gilt auch, wenn man Flamingos durch virtuelle Repräsentationen von Maschinengewehren ersetzt, auch im Kugelhagel will der Sportsgeist gewahrt werden. Es geht eben nicht zu wie bei den 120 Tagen von Sodom, sondern wie auf einem Spielfeld, es gibt Regeln, und die gelten für alle. Von grantigen alten Männern mag vermutet werden, dass auf Zusammenrottungen von solchen Shooterspielern irgendwelche abstrusen Bacchanalien zur Huldigung des Gemetzels abgehalten werden, aber so ist es eben, wenn der Blinde dem Tauben etwas erzählt – wilde Geschichten werden wilder. Was da gespielt wird, ist ein Wettkampf. Und wer Turniere spielt, der interessiert sich nur begrenzt dafür, ob die Spielfiguren aus Elfenbein oder Plastik sind.
»Alles hat seine Moral, wenn man sie nur finden kann«
Das zumindest sagt die Herzogin zu Alice zu Beginn von ›Die Geschichte der falschen Schildkröte‹. Bei Shootern in ihren mannigfaltigen Varianten gilt Ähnliches, doch danach wird von grantigen alten Männern selten gefragt. Könnte es nicht sein, dass es einen guten Grund gibt, das Maschinengewehr zu benutzen? Zum Beispiel, weil man einen Soldaten in einer Kriegssituation verkörpert oder einen Wissenschaftler, dessen Planet gerade von übellaunigen, ungesprächigen Aliens überrannt wird? Doch alles, was zu interessieren scheint, ist, dass man überhaupt die Möglichkeit hat, zu schießen und wie weit das Blut spritzt.
Was dabei gern übersehen wird, ist die Tatsache, dass Computerspiele in der Hinsicht das Rad nicht neu erfunden haben. Blut spritzte vorher durch Bücher, Filme und über Theaterbühnen – auch gern literweise. Und genauso, wie diese Medien ihre Entgleisungen erleben, wird das in digitalen Spielen der Fall sein. Doch deshalb einen Film von Bruckheimer (egal welchen) mit dem ›Texas Chainsaw Massacre‹ gleichzusetzen, nur weil in beiden geblutet wird, ist zwar mach-, aber nicht haltbar. Im Vergleich zur ›Illias‹ sind die meisten Shooter ein Disneyfilm, doch das eine gilt als Kulturgut, das andere als Killerspiel.
Grantige alte Männer haben schon versucht, Rockmusik totzukriegen, und jetzt machen sie selber welche. Wenn´s mit dem Dialog nicht klappt, dann überlebt man sie eben, die grantigen alten Männer – und spielt weiter.