//

Staunen und Schrecken der Welt

Menschen | Olaf B. Rader: Friedrich II

Kein deutscher Kaiser hat mehr nachdenkendes Interesse hinterlassen, als der letzte Stauferkaiser, Friedrich II., der »Schwabe« in Sizilien, wo er auch – im Dom von Palermo – begraben ist. In Jesi, der Weinstadt in den italienischen Marken, wurde er 1194 geboren (auf einem öffentlichen Platz, behauptet man dort noch heute stolz). Vier Jahre später wurde das Kind zum König von Sizilien, mit siebzehn (1211/12) immerhin schon zum deutschen König und von 1220 bis zu seinem Tod 1250 war er Kaiser des Heiligen Römischen Reichs. Von WOLFRAM SCHÜTTE

Olaf Rader - Friedrich IIWährend Friedrichs gleichnamiger Großvater »Barbarossa« wegen seines unglücklichen Todes auf einem Kreuzzug in Kleinasien als mythische Gestalt deutscher Größe und Einheit im 18. und vor allem 19. Jahrhundert verehrt wurde, geriet sein Enkel, der gleich ihm – wie auch sein Vater Heinrich IV. – fern von Deutschland gestorben war, für die kollektive Erinnerung in den Schatten. Dabei hatte ursprünglich der große Friedrich II. alle deutschen Kaiser vor & nach ihm überstrahlt – mit Ausnahme höchstens Karls des Großen, des Reichsgründervaters, über den jedoch weniger bekannt & überliefert ist. Über den apulischen Kaiser, »Il Soave«, umso mehr – vor allem extrem Widersprüchliches.

»Pattons Panzer waren schnell. Einfach zu schnell in Palermo«

Der 1961 geborene Olaf B. Rader, der an der Berliner Humboldt-Universität lehrt, spricht von 230 Chronisten & Autoren, die sich mit dem »Das Staunen« oder »Der Schrecken der Welt« genannten vielsprachigen Herrscher, Falkner, Dichter, Forscher etc. befasst haben. Denn der letzte Stauferkaiser, der vielleicht auch so etwas wie der Totengräber der imperialen Idee in der Nachfolge des römischen Augustus war, provozierte in jeder Hinsicht extreme Ansichten über sich – je nachdem, aus welchem Blickwinkel man ihn betrachtete. Die Zahl seiner Bewunderer & Verächter, die sich mit ihm seit seiner Zeit schreibend & räsonierend beschäftigten, ist unübersehbar.

Wenn Olaf B. Rader nun sein Buch mit journalistischem Aplomb beginnen lässt: »Pattons Panzer waren schnell. Einfach zu schnell in Palermo«, dann springt er sogleich mitten in eine der groteskesten Episoden von »Federico Secondos« Nachleben. Nämlich zu Hermann Görings Befehl von 1943, den Sarkophag Friedrichs II. aus dem Dom von Palermo zu evakuieren & den alliierten Truppen zu entziehen – um den großen »Vorläufer Adolf Hitlers« (wie sowohl ein Nazihistoriker als auch ein britischer Historiker zeitgleich behauptet hatten) »heim ins Reich« zu holen – wiewohl der hochgebildete Friedrich sich die »meiste & beste« Zeit seines Lebens von den kalten, geistig zurückgebliebenen deutschen Gauen ferngehalten hatte.

Zumindest der in Berlin lehrende Historiker mit der »flotten Feder« hat sich dazu entschieden, den »Sizilianer auf dem Kaiserthron«, wie er Friedrich II. im Untertitel seiner Biografie nennt, als eine mittelmeerische Person sich & uns vorzustellen; und als den an Italiens Süden (& dem päpstlichen Machtstreben) gescheiterten größten Deutschen.

Alles anders

T.S. Eliot hat von James Joyces Ulysses behauptet, es sei »a novel to end all other novels«, also das Nonplusultra des Romans. Das trifft zwar so wenig zu wie Francis Fukuyamas Behauptung, mit dem Verschwinden der bipolaren politisch-ökonomischen Weltordnung sei die Menschheitsgeschichte an ihr Ende gekommen; aber man kann beide Terminierungen auch so verstehen, dass sie signifikante End- oder Wendepunkte anzeigen, nach denen sich alles anders fortsetzt.

Eben das trifft auf das hier anzuzeigende Buch & seinen Autor zu, der (zumindest was die Beschäftigung mit dem sizilianischen Stauferkaiser angeht) »alles anders« macht als seine Vorgänger. Olaf B. Rader steht natürlich als Autor – wie es so schön heißt – auf den Schultern aller seiner Vorgänger, worunter auch Riesen waren wie Jacob Burckhardt & Alfred Kantorowicz. Aber er begreift seine Recherchearbeit, die ihn zu »seinem« Friedrich II. führt, als archäologischen Lehr- & Lernpfad auch für seine Leser.

Rader will uns zeigen, »wie eine Wissensgesellschaft Kenntnisse generiert und tradiert und warum eine moderne Kulturgeschichte der Gedächtnisforschung bedarf. (…) Mir geht es in diesem Buch«, schreibt er gleich zu Beginn, als er seine Archivgänge und Ausgrabungswege beschreibt, »um die Frage, wie und warum die ferne Figur des Kaisers schon von den Zeitgenossen mit den Schleiern der Erinnerung umhüllt worden ist, und wie sich des Kaisers Konturen in einer Memoria als eine Kulturtechnik abzeichnen. Wer wob überhaupt die Schleier? Es soll in diesem Buch auch den Webern bei der Arbeit auf die Finger gesehen werden. Man kann an vielen biographischen Details erkennen, wie und aus welchem Grunde die Versionen zustande kamen, die uns heute vorliegen«.

Ein fesselndes Buch

Dazu hat Rader, der (unter uns Journalisten gesagt) gelegentlich eine etwas zu »flotte Feder« führt, den Corpus Biografie – ähnlich wie Jürgen Osterhammel den Corpus Zeit & den Corpus Raum in seiner auch bei C.H. Beck erschienenen monumentalen Verwandlung der Welt – in Begriffszentren und Thementreffpunkte aufgesplittert. Unter den drei Oberbegriffen »Herrschaften«, »Leidenschaften« & »Feindschaften« sammeln sich – um nur jeweils zwei zu nennen – Kristallisationen um »Der Jüngling« & »Der Gesetzgeber«, »Der Liebhaber« & »Der Dichter«, »Der Seefahrer« & »Der Antichrist«.

Olaf B. Rader, der als erzählend-reflektierender Autor sichtlich Vergnügen an seiner Darstellung hat, das zwanglos zu Lese(r)vergnügen führt, provoziert einerseits die Wissbegier des Laien und befähigt andererseits sein »Leservolk« (Peter Handke), durch zahlreiche erweiternde Exkurse & addierte Wissenserweiterungen, zu ausholenden Rundumblicken in die Stauferzeit. Indem Rader alles aufnimmt, bedenkt und eindrücklich untersucht (wie der Archäologe nicht nur die assyrische Tonscherbe, sondern auch die sie umschließenden Ablagerungen & was aus ihnen ersichtlich wird), macht er fast in jedem Augenblick seines fesselnden Buches den Leser zu einem Mitverschworenen auf der Identitätssuche nach Friedrich II. (dem Staufer). Das hat einen Reiz, der dem einer Krimilektüre ähnelt. Der Verlag hat mit einer Vielzahl von Illustrationen & Dokumenten dem Text hervorragenden Begleitschutz gegeben.

Wer je einmal in Apulien Friedrichs Jagdschloss Castel del Monte, diese architektonische »Krone« in der Hügellandschaft mit Meerblick, gesehen & in ihrem mathematisch perfekt ausbalanciertem Innenraum gestanden hat, der wird wissen wollen, wer sein Projektor & Nutznießer war. Bei Olaf B. Rader wird er von nun an alles erfahren, was es über Friedrich II. zu wissen gab & gibt.

| WOLFRAM SCHÜTTE

Titelangaben
Olaf B. Rader: Friedrich II. Der Sizilianer auf dem Kaiserthron
München: C.H. Beck 2010
592 Seiten. 29,95 Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

In Sovjet Russia …

Nächster Artikel

Von toten Winkeln und Räumen

Weitere Artikel der Kategorie »Menschen«

Letzte Grüße nach Nartum

Menschen | Zum Tod des Schriftstellers Walter Kempowski

»Walter Kempowski ist ein Volksdichter, weil sehr viele Menschen seine Werke lesen und weil er wie kein anderer das Volk selbst zum Sprechen gebracht hat«, erklärte Bundespräsident Horst Köhler im Mai in Berlin, als er eine Ausstellung über Leben und Werk des Schriftstellers in Anwesenheit von dessen Ehefrau Hildegard eröffnete. Der Autor selbst konnte wegen seiner Krankheit den feierlichen Termin in der Hauptstadt nicht mehr wahrnehmen. Von PETER MOHR

Eloquenz und Humor

Menschen | Zum Tode des Kritikers und Schriftstellers Hellmuth Karasek »Manchmal fürchtete ich schon, ich schreib mich in eine Depression hinein«, bekannte Hellmuth Karasek über die Arbeit an seinem 2006 erschienenen Band ›Süßer Vogel Jugend‹. Der kulturelle Tausendsassa mit der stark ausgeprägten Affinität zur Selbstironie sprühte auch in fortgeschrittenem Alter noch vor Tatendrang und hatte 2013 unter dem Titel ›Frauen sind auch nur Männer‹ noch einen Sammelband mit 83 Glossen aus jüngerer Vergangenheit vorgelegt. Sogar prophetische Züge offenbarte Karasek darin, sagte er doch den Niedergang der FDP zwei Jahre vor der Bundestagswahl 2013 schon voraus. Ein Rückblick von PETER MOHR

Nicht Hamlet, sondern Clown

Menschen | Zum Tod des Nobelpreisträgers Dario Fo Als »Wettstreit zweier Berufskomiker« hatte Dario Fo sein höchst angespanntes Verhältnis zum einstigen italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi bezeichnet. Mit seiner 2003 uraufgeführten Bühnenarbeit ›Der anormale Doppelkopf‹ – ein mehr als zweistündiges Zweipersonenstück, das er mit seiner Frau Franca Rame spielte – hatte er in Italien ein gigantisches mediales Echo entfacht, weil er darin Putins Hirn in Berlusconis Kopf verpflanzt hatte. Von PETER MOHR

Schreibe, was mir gefällt

Menschen | 75. Geburtstag von Martin Suter

Seine Kreativität und sein Arbeitseifer scheinen grenzenlos zu sein. Vor einem Jahr legte der Schweizer Erfolgsautor Martin Suter unter dem Titel ›Einer von euch‹ eine Romanbiografie über den Fußballstar Bastian Schweinsteiger vor, er war kürzlich Hauptdarsteller einer Kino-Dokumentation, und kurz nach seinem 75. Geburtstag erscheint sein neuer Roman ›Melody‹.
PETER MOHR

Vom Schreibrausch erfasst

Menschen | Zum 80. Geburtstag von Joyce Carol Oates Unendlich viel hat Joyce Carol Oates schon geschrieben – allein mehr als 60 Romane, und in den letzten Jahren ist sie immer wieder als heiße Nobelpreiskandidatin gehandelt worden. Mit ihrem neuen Werk, das kurz vor ihrem 80. Geburtstag erschienen ist, hat sie noch einmal ein völlig neues thematisches Terrain betreten. Von PETER MOHR