Jugendbuch | Phil Earle: Billy sein
Billy ist fünfzehn und er hat genug von Worten. Von Worten wie »Mutter«, »Vater«, »Zuhause«, aber auch von »Selbstbeherrschung«, oder »soziale Kompetenz«. Alles Lügen oder Psychogesumms, Billy ist ganz sicher. Die einzige Sprache, die etwas bewirkt, ist die des Zuschlagens. Und das kann Billy – so gut, dass er andere krankenhausreif prügeln kann. Billy ist ungeheuer wütend. Billy ist von Grund auf traumatisiert. Phil Earle hat in seinem Debütroman ›Billy sein‹ eingehend beschrieben, wie es sich anfühlt, mit fünfzehn immer nur wütend und verzweifelt zu sein. Von MAGALI HEISSLER
Billy ist ein »Lebenslänglicher« so nennt er sich im Jargon der Kinder und Jugendlichen, die den Großteil ihres bisherigen Lebens in Heimen zugebracht haben. Seine Mutter, Annie, ist Alkoholikerin, der Vater ebenfalls Alkoholiker und ein Schläger, die Familie nicht funktionsfähig. Billy kam zu seinem Schutz ins Heim, seither fühlt er sich abgeschoben und bestraft. Als seine Mutter ihn mit zehn zur Adoption freigibt, wächst sein Hass nur, obwohl er sich bemüht in die neue Familie, in der er landet, hineinzuwachsen. Seine Wut, die Folge eines Traumas, ist stärker; das Leben in der neuen Familie scheitert. Wieder bleiben Billy nur die Fäuste.
Was ihm Halt gibt, sind seine sechs Jahre jüngeren Zwillingsgeschwister, die, wie er im Heim landen und denen er das bietet, was für ihn »Familie« bedeutet. Nur gegenüber den Zwillingen zeigt er, wie er wirklich ist. Gegenüber allen anderen bleibt er verschlossen. Billy traut keinem mehr, egal, wie man sich um ihn bemüht. Das trifft vor allem Ronnie, den Erzieher, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, Billy zu fördern. Billy aber stellt sich taub und blind.
Billy, don´t be a hero
Earles Ich-Erzähler ist überzeugend aufgebaut und trägt seine Sicht der Dinge auch überzeugend vor. Sein Trotz, der alle, die mit ihm zu tun haben, äußerste Nerven- und Körperkraft abfordert (wenn Billy explodiert), ist für Leserinnen und Leser dadurch erträglich gemacht, weil sie von Anfang an über Billys Innenleben informiert werden und seinen Wunsch, sich zu ändern. Billy strebt nach Autarkie, weil er sich verbietet, von anderen Hilfe anzunehmen. Man rennt mit ihm gegen alle Wände, fühlt die körperlichen und seelischen Schmerzen, wenn sich seine Sehnsüchte wieder nicht erfüllen. Ebenso nahe kommt man der Interaktion zwischen den Geschwistern. Einen besseren großen Bruder als Billy kann man sich nicht wünschen.
Der Kampf der Erzieher, an vorderster Stelle Ronnies, um Billy ist ähnlich intensiv geschildert, vor allem im ersten Teil des Romans. In dem Maß, in dem Billy sich einkapselt, rüttelt Ron an den Stäben des Gefängnisses, das Billy bald nur noch für sich selbst aufrechterhält. Es werden nicht nur Schläge, sondern auch viele Worte gewechselt, aber Billy stellt sich blind und taub, weil seine Erfahrungen ihn nur Misstrauen gelehrt haben. »Manchmal ist es das Einfachste sich zu prügeln, aber je öfter man das macht, desto schwieriger wird es, statt dessen etwas anderes zu tun«, sagte Ronnie einmal und die Worte hätten auch von Billy selbst stammen können. Derartige Sätze, wie auch Selbstreflexionen Billys sind sehr anregend gerade für jugendliche Leserinnen und Leser, sich selbst Gedanken über den Einsatz von körperlicher Gewalt in Konfliktsituationen jeglicher Art zu machen. Earle war selbst Erzieher und er weiß, worauf Jugendliche ansprechen und wie sie sich fühlen können.
Der schmale Grat zwischen Überhöhung und Sentimentalität
Um seinen Protagonisten auf den rechten Pfad zu führen, lässt sich Earle viel einfallen. Da Billys Probleme aber fast ausweglos scheinen, muss auch die Wende entsprechend dramatisch ausfallen. Der zweite Teil wird entsprechend dramatisch. Hier setzt der Autor wieder auf extreme Gefühle, ihre Umsetzung gerät aber konventionell. Ronnie ist streckenweise zu gut, um wahr zu sein. Boxen als Ausgleich für innere Spannungen sind nicht neu, immer ein gutes Motiv, warum aber nur Billy davon profitieren darf, ist unter erzieherischen Gesichtspunkten sehr angreifbar. Der Konflikt, als Annie, inzwischen trocken, die Zwillinge wieder zugesprochen bekommt und die Kinder sich trennen müssen, bietet dann genug Potenzial, um die Katharsis aber auf die Höhe altgriechischer Tragödien zu bringen. Hier bedient sich Earle reichlich in der dramaturgischen Trickkiste und das Ganze wandert endgültig ins Sentimentale ab.
Einfach zu viel an Problematik bringt dann der Konflikt mit Daisy, einer Gleichaltrigen, in die Billy sich verliebt und die unabsichtlich einen anderen sehr wunden Punkt in unserem Haupthelden berührt. So muss Billy am Ende dann, geplagt, wie er ohnehin schon ist, an all seinen Fronten gleichzeitig kämpfen und im Endeffekt auch siegen. Der Realismus des Anfangs wird am Ende doch papiern.
›Billy sein‹ ist somit eher ein weiterer besserer Unterhaltungsroman über ein Heimkind, als eine exemplarische Schilderung. Hervorzuheben ist das Buch aber auf jeden Fall wegen der überzeugenden Darstellung der Denkweise eines traumatisierten Kinds, das allen Widrigkeiten zum Trotz erwachsen werden muss.
Titelangaben
Phil Earle: Billy sein
( Being Billy, 2010), übersetzt von Annette von der Weppen
Hamburg: Carlsen 2011
336 Seiten. 14,90 Euro
Jugendbuch ab 14 Jahren