Komik der Gesten

Film | DVD: Deutsche Stummfilmklassiker – Der komische Kintopp

Der Begriff »Kino« wurde aus dem griechischen Wort für »Bewegung« gebildet. Das Kino war, ehe es literarisiert wurde, in erster Linie ein Medium der Bewegung. Das bewegte Bild war der Köder für die Zuschauer. Das hatte das Kino, reproduzierbar, den anderen Künsten voraus. Als »Kunst« im engeren Sinne etablierte es sich erst später. Von THOMAS ROTHSCHILD

Der komische KintoppZunächst war es eine Jahrmarktsattraktion, wie siamesische Zwillinge und Feuerschlucker. Bewegte Bilder – man suchte und fand sie in der beobachtbaren Wirklichkeit und drehte Dokumentarfilme. Man stellte sie auf verblüffende Weise her wie der Magier seine Täuschungen und erfand den Trickfilm. Als man begann, kurze und kürzeste »Geschichten« zu erzählen, konkurrierte die Komik erfolgreich mit dem Melodram.

Der Sketch, ein Erbe der Zirkus- und Varieténummer, wurde in unzähligen Varianten, mal einfallsreicher, mal eher bescheiden, ausprobiert. Der komische Kurzfilm brachte seine Protagonisten hervor. Sie gaben sich einen unverwechselbaren Namen, repräsentierten einen Typus, pflegten ihren eigenen Stil. Aber der frühe Kintopp entwickelte auch insgesamt eine eigene Sprache, die ganz schnell vom Publikum erlernt wurde und deren Klischees die nur drei Jahrzehnte währende Epoche des Stummfilms überlebt haben. Wir kennen sie, jene Gesten, die heute nur noch parodistisch eingesetzt werden: die nach oben gereckten Arme für Verzweiflung oder Erschrecken, die Hand auf der Herzgegend für Liebe, den Finger an der Stirn für einen Einfall, den Seitenblick mit zusammengekniffenen Augen für die Intrige, das Hüpfen für übermütige Freude und das fortgesetzte Stolpern und Fallen für Ungeschicklichkeit.

Für ARTE hat Hans-Michael Bock von CineGraph, ein unermüdlicher Schnüffler in Archiven, 1997 sechzehn Beispiele der frühen deutschen Filmkomik zusammengestellt, die nun als DVD vorliegen. Teilweise sind sie eher von historischem Interesse als komisch. Die beiden Höhepunkte stammen von einem Künstler, der gemeinhin für seine Sprachkomik bekannt ist: von Karl Valentin. Dass er auch ein Stummfilmkomiker war, der sich mit den ausländischen Stars dieses Fachs messen kann, steht außer Zweifel. Die Technik hat sich innerhalb von rund hundert Jahren weiterentwickelt. Bei Sendungen des Fernsehens, die zumindest ihre Macher für komisch zu halten scheinen, wirbeln die Kameras, anders als beim frühen Stummfilm, alles durcheinander. Dass das, was davor geschieht, komischer sei als zum Beispiel Karl Valentin oder Gerhard Dammann, wird man schwerlich behaupten können.

| THOMAS ROTHSCHILD

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Champagner in der Chefetage

Nächster Artikel

Dienstboten und IBM-Boys

Weitere Artikel der Kategorie »Film«

Spannende Handlung, dicht sortiert

Film | Im TV: TATORT ›Château Mort‹ (SWR), 8. Februar In den letzten Monaten folgten wir schon einmal dem Versuch, Bildungsgut für den Sonntagabend fein aufzubereiten. Das ist leider schwieriger als gedacht. Neulich musste Shakespeare dran glauben, der mit Anklängen an einen Western in Szene gesetzt wurde. Man war verwirrt und dachte heftig darüber nach, ob das den Western beschädigte oder Shakespeare oder womöglich den ›TATORT‹. Von WOLF SENFF

Ehrenpreis für Kati Outinen

Film | 66. Nordische Filmtage Lübeck

Das »größte europäische Festival für nordische und baltische Filme« startete in diesem Jahr mit der Deutschlandpremiere des Animationsabenteuers Flow (Straume), inszeniert vom lettischen Regisseur Gints Zilbalodis, der seinen Film selbst in Lübeck präsentierte. JOHANNES BROERMANN war dabei.

Gesellschaft auf Dröhnung

Kino & TV | Side Effects – von Steven Soderbergh Wie bereits in seinem Klassiker Traffic (2000) verbindet Steven Soderbergh auch in seinem neuen Thriller Side Effects (2013) eine spannende Geschichte mit einer aktuellen gesellschaftskritischen Thematik. Beide Filme behandeln das Thema Drogen. In Traffic war es der Kokainkonsum, der in den USA bereits alle Gesellschaftsschichten erfasst und zum Aufblühen der lateinamerikanischen Drogenkartelle geführt hat. Side Effects behandelt den massiven Konsum ganz legaler Drogen, den Antidepressiva. Deren Verbreitung wird dem Film zufolge von einer skrupellosen Psychopharmaka-Industrie vorangetrieben, die selbst Therapeuten für ihre Zwecke kauft. Von GREGOR TORINUS

Vielfältig und universell

Kulturbuch | Duncan / Ingram: François Truffaut. Sämtliche Filme + François Truffaut Edition (DVD) Mit seinen schlichten, gehaltvollen Filmen hat der französische Regisseur François Truffaut Filmgeschichte geschrieben. Robert Ingram und Paul Duncan begeben sich mit einem Bildband auf seine Spuren. Von BETTINA GUTIÉRREZ

Spreu vom Weizen

Film | Im TV: Polizeiruf 110 – Käfer und Prinzessin (RBB), 6. April Das Landleben ist auch nicht mehr, wie’s mal war. Ort der Handlung: Ein Öko-Bauernhof, bewirtschaftet von einer Landkommune. Wie rücksichtsvoll, dass die Leiche in der Jauchegrube des Nachbarhofs auftaucht. »Ach du lieber Himmel. Ist ja furchtbar«, sagt Horst Krause (Horst Krause) beim Anblick der Leiche. Er hat ja völlig recht. Lange Zeit ist nicht geklärt, ob es sich um einen Mord oder um fahrlässige Tötung handelt, doch Olga Lenski (Maria Simon) und Horst Krause ermitteln in alle Richtungen, das ist tröstlich. Von WOLF SENFF