Differenzierte Erinnerung

Film | DVD: Klassik und Kalter Krieg

Je weiter sich die Realität der DDR in die Vergangenheit entfernt, desto grobschlächtiger werden die Klischees, die sich mit ihr verbinden – sofern, bei jungen Leuten, überhaupt noch Vorstellungen von dem zweiten deutschen Staat vorhanden sind. Für viele ist er so exotisch wie Atlantis oder Karthago. Von THOMAS ROTHSCHILD

Klassik und Kalter KriegReduziert sich das Image der politischen Geschichte auf den verschwommenen Begriff »Totalitarismus«, so ist das Bild von der Kultur in der DDR und darüber hinaus im sowjetischen Machtbereich noch um einiges vager. Im Grunde wusste man selbst in den Jahren, als die DDR noch existierte, im Westen reichlich wenig über die Kultur hinter dem »Eisernen Vorhang«, teils aus Desinteresse, teils aus einer Arroganz heraus, die an der eigenen Überlegenheit keine Zweifel zuließ.

Da kommt die DVD-Ausgabe eines im Jahr 2000 produzierten Films mit dem Titel Klassik und Kalter Krieg gerade zurecht. Er zeichnet sich durch wohltuende Sachlichkeit aus. Das bedeutet nicht moralische Indifferenz. Aber dem Regisseur Thomas Zintl gelingt es nicht nur, die beachtliche Qualität des Musiklebens in der DDR zu würdigen – eine entsprechende Dokumentation über Theater, bildende Kunst, Film und Literatur steht ergänzend noch aus –, er macht, in Interviews und in seinen Kommentaren, auch deutlich, dass es zwischen Kollaboration und Widerstand, zwischen Feigheit und Zivilcourage, zwischen nachvollziehbaren Wünschen des Staats und der Partei und bloßer Willkür zahlreiche Schattierungen gab.

Er liefert ein differenziertes Bild, das sich weder auf Schuldzuweisung, noch auf Exkulpation beschränkt. Ganz nebenbei wird erkennbar, dass auch die westlichen Künstler und Geschäftspartner keine Heldenrolle spielten: Der Kalte Krieg wurde schließlich von beiden Seiten geführt. Wenn man dem Film etwas vorwerfen kann, dann bloß dies: dass 52 Minuten für das Thema nicht ausreichen.

Und eins muss immer wieder betont werden, weil die Gleichsetzung von kommunistischer und nationalsozialistischer Diktatur immer dreister wird, nicht nur bei den Kids, die in der Schule nichts anderes erfahren, sondern auch bei den älteren Zeitgenossen, die es besser wissen müssten: So unerfreulich und manchmal auch tragisch das Schicksal einzelner Künstler in der DDR war, mit dem Schicksal derer, die in Konzentrationslagern umgebracht oder unter Lebensgefahr ins Exil gejagt wurden, hat es weniger gemeinsam als mit dem Schicksal von Kollegen in der »freien Welt«, die schikaniert, um Auftrittsmöglichkeiten geprellt oder durch das Primat des Kommerzes unter Druck gesetzt werden.

Zu den eindrucksvollsten Momenten gehört Christine Mielitz‘ Erzählung von der Fidelio-Premiere zur Wiedereröffnung der Semperoper, bei der sie fast in Tränen ausbricht. Es ist eins der Beispiele, wo Kunst, was ja oft angezweifelt wird, unmittelbar in die gesellschaftliche Wirklichkeit eingreift. Aber solche Momente gab es nicht nur in der DDR. Und nicht nur dort wurde die Grundlage für Erinnerungen gelegt, die Tränen hervorrufen.

| THOMAS ROTHSCHILD

Titelangaben
Klassik und Kalter Krieg – Musiker in der DDR
Arthaus Musik
Solisten: Helmut Schmidt, Peter Schreier, Kurt Masur,
Otmar Suitner, Jochen Kowalski, Christine Mielitz,
Siegfried Matthus, Walter Felsenstein
Regie: Thomas Zintl
52 Minuten Laufzeit

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Apokalypse surreal

Nächster Artikel

Drei Brüder, zwei Welten

Weitere Artikel der Kategorie »Film«

Schluss mit Reha, Frau Odenthal!

Film | Im TV: ›TATORT‹ Die Sonne stirbt wie ein Tier (SWR) Zum Krimi diesmal kein Wort, nein, zuallererst ist das ein Film, der mit Gewohnheiten bricht. Lena Odenthal, völlig verändert, ist auf Reha, sie häutet sich. Nein, sympathisch. Doch nicht allein Odenthal und Kopper (der telefoniert mit Maria in Italien und wie frech ist denn das, dass sie uns das nicht übersetzen), das Drehbuch wirft massiv schillerndes Personal in die Handlung. Von WOLF SENFF

Kung Fu und der innere Frieden

Film | Im Kino: The Lego®Ninjago®Movie™ Was haben wir denn hier? Kurz nach dem Lego®Batman®Movie™, der Anfang des Jahres erst in den Kinos kam, startet nun der Lego®Ninjago®Movie™ durch. Das selbst ernannte beste Spielzeug der Welt findet Geschmack an der Kinoleinwand! Könnte es sein, dass hinter dem Plastik-Spektakel trotz Grenze zur Albernheit mehr steckt, als man sieht? ANNA NOAH geht dem Lego®-Film-Phänomen auf den Grund.

Das Leben, die Literatur und der Film

Film | Im TV: Marcel Reich Ranicki: Mein Leben Er lässt die entscheidenden Jahre einer außergewöhnlichen Lebens- und Liebesgeschichte anschaulich und lebendig werden und damit verstehen und nachempfinden, unter welchen Umständen eine Karriere ihren Anfang genommen hat, die in ihrer Ausprägung tatsächlich einmalig ist. Von PETRA KAMMANN

Bis zur letzten Sekunde

Film | Tatort: Der sanfte Tod (NDR), 7. Dezember »Wir sind die Niedersachsen/ sturmfest und elbverwachsen« – genau. Es geht um einen Schweineschlachtbetrieb, der international prächtig aufgestellt ist, mit vierhundertfünfzig Angestellten zuzüglich zweitausend Arbeitern auf Werksvertragsbasis, also Hungerlohn, mit drei Betrieben in Holland, zweien in China, einem Joint Venture in Russland, so eine Firma, gewiss, muss straff organisiert sein. Von WOLF SENFF

Viel Aufregung, wenig Spannung

Film | Im TV: Tatort – Wiederkehr (RB), 15. März Rückblick, Aufklärung von längst vergangenem Geschehen, das kommt neuerdings häufiger, und schon sind wir beim ›TATORT‹ aus Bremen. Nein, »schön« wird man die Eingangsszene nicht nennen, aber sie ist ergreifend, weil sie realistisch und glaubhaft Gefühle von Verzweiflung zeigt, und sie erinnert daran, was Krimi leisten kann außer Verbrecher jagen, Tote zählen und mit Wumme ballern. Von WOLF SENFF