Roman | Astrid Rosenfeld: Elsa ungeheuer
Astrid Rosenfelds zweiter Roman Elsa ungeheuer. Eine Rezension von PETER MOHR
»Noch einige Male sah ich Elsa nachts über unseren Hof huschen. Unmöglich auszumachen, woher das Mädchen kam. Ein Schatten. Ein Geist. Ich wagte nicht mehr, ihr zu folgen.« So beschreibt der achtjährige Karl in Astrid Rosenfelds zweitem Roman die vier Jahre ältere Elsa, die plötzlich im oberpfälzischen Dorf auftaucht und für allerlei Turbulenzen sorgt. Das klingt gleichermaßen dämonisch wie rätselhaft.
Die 35-jährige Autorin Astrid Rosenfeld, die vor zwei Jahren mit Adams Erbe ein äußerst erfolgreiches Debütwerk (40.000mal verkauft) vorgelegt hatte und zuvor viele Jahre in der Filmbranche tätig gewesen ist, verfügt über ein ganz feines Näschen für spannend inszenierte Storys mit stark menschelndem Charakter. Sie findet einen bitter-süßen Tonfall, der genau zu dieser Geschichte passt, die zwischen Komödie und Tragödie changiert und auch den Leser mit äußerst zwiespältigen Gefühlen zurück lässt – irgendwo zwischen Amüsement und Betroffenheit.
Im Mittelpunkt der Handlung stehen der Ich-Erzähler Karl, der aufgrund seines unübersehbaren Übergewichts etwas despektierlich »Fetti« genannt wird, sein zwei Jahre älterer Bruder Lorenz und Elsi, das extrovertierte, egoistische und reichlich widerspenstige Mädchen »mit Streichholzarmen. Lange, gelockte braune Haare, glanzlos wie angelaufene Bronze.«
Zu Beginn erfahren wir, dass sich Hanna, die Mutter der Brauer-Brüder, das Leben genommen hat: »Für manche Menschen scheint die Erde einfach nicht der rechte Ort zu sein, und meine Mutter Hanna war so ein Mensch.«
Vater Randolph kann den Selbstmord nicht verwinden, frönt immer stärker dem Alkohol, mit der von den Brauers geführten Pension geht es abwärts. Im Umfeld der Familie tummeln sich noch zwei weitere skurrile Figuren – die steinalte Haushälterin, nur »Kratzlerin« genannt, und »Murmelstein«, ein ehemaliger Feriengast, der hängen geblieben ist und sich wie ein Familienmitglied um die beiden Jungen kümmert.
Elsas Mutter, die einstige Dorfschönheit (mit der alle etwas hatten oder es zumindest vorgaben), hat einen neuen Freund und will das Mädchen beim Onkel »parken«, um auf Weltreise gehen zu können. So weit der ziemlich komplexe Rahmen der Romanhandlung, die einen Zeitraum von einem Vierteljahrhundert umfasst. Zunächst buhlen die Brauer-Brüder als Kinder um die Gunst des fremden, leicht arroganten Mädchens. Das führt soweit, dass sie Karl unter Druck setzt. Sie fordert Geld von ihm, um sich sündhaft teure Stiefel kaufen zu können. Karl stiehlt im Gasthaus die Geldbörse der Wirtin Wiesinger, wird von Gustav Gröhler überführt und zur Rede gestellt. Wenig plausibel, dass Gröhler dem Jungen anschließend selbst das Geld gibt.
Der erste Teil des Romans lebt von der geheimnisvollen Dreierkonstellation, vom latenten Konkurrenzkampf der Brauer-Jungen um die Gunst der »zickigen« Elsa, die in der zweiten, etwas verwässerten Hälfte nach Übersee verschwindet und erst zum Ende wie Phönix aus der Asche plötzlich wieder auftaucht. Lorenz Brauer ist inzwischen zum gefeierten Star der Kunstszene geworden, protegiert von zwei moralisch nicht ganz integren Frauen. Karl beobachtet den Aufstieg seines Bruders aus der Distanz, weiß um die Wurzel seiner Kunst – die spindeldürre Elsa mit ihren Streichholzarmen. Wir betreten die glamouröse Welt der Maler und ihrer Mäzene, der Galeristen und Kunstkritiker.
Astrid Rosenfeld präsentiert uns einen düsteren Kosmos, von halbseidenen Figuren bevölkert, in dem es nicht um hehre Kunst-Ideale, sondern einzig um die kommerzielle Vermarktbarkeit geht. Da wimmelt es von Klischees und ziemlich platter Schwarz-Weiß-Malerei. Einzig das Motiv der starken, dominanten Frauenfiguren hält die beiden so disparaten Teile als verbindende Klammer zusammen. So bleibt nach der Lektüre von Elsa ungeheuer die Erkenntnis, dass hier weniger mehr gewesen wäre und wir mit der herzerfrischend-authentischen Kindheitsgeschichte als Leser doch schon bestens bedient waren und es des aufgesetzt wirkenden Ausflugs in die Kunstwelt nicht bedurft hätte.
| PETER MOHR
Titelangaben:
Astrid Rosenfeld: Elsa ungeheuer
Zürich: Diogenes Verlag 2013
277 Seiten. 21,90 Euro