Ein fernes Ziel und vage Aussichten

Kulturbuch | Daniel Dubbe: Zwischenlandung

Daniel Dubbe im Tetrapack: Zwischenlandung – Vom Reisen ist der dritte Teil des Hamburger Schriftstellers. Von HARTMUTH MALORNY

Daniel Dubbe: Zwischenlandung
Daniel Dubbe: Zwischenlandung
Seit Alexander von Humboldt sind die weißen touristischen Flecken auf der Landkarte geschrumpft und zu Beginn des 20. Jahrhunderts beinahe ganz verschwunden, und als sich Daniel Dubbe Mitte der 1970er Jahre nach Nordamerika aufmachte, war es »Andy Warhol, der wie ein Geist über den Highways schwebte, die das weite Land durchzogen.«

Zu Humboldts Zeiten interessierte man sich für wissenschaftliche Feldforschung, die Mobilität gipfelte höchstens in einer Kutschenfahrt zur nächsten Stadt, was schon eine gehörige Strapaze war. Zu Dubbes Zeiten wurde die Bewältigung der Entfernungen erschwinglich und komfortabler, da glaubten die Backpacker, ebenso wie heute der größte Teil der ahnungslosen Nachgeborenen, dass es nun alles gab, was eine lebenswerte Zeit ausmacht: Fremde Länder, hippe Musik, schicke Klamotten und willige Sexualpartner beiderlei Geschlechts.

Daniel Dubbe meidet die Versuchung, ständig als investigativer Reisejournalist durchs Bild zu huschen, um die Missstände der Welt zu erklären. Gleichwohl ist er im Auftrag unterwegs und weiß, dass Reisen Geld kosten, »aber mit Reisen Geld zu verdienen, nähert sich dem Ideal.« Also konzentrierte er sich erstens auf seine Beobachtungsgabe, während er zweitens die Momente speicherte, die jetzt gedruckt wurden. Es sind die Kleinigkeiten und Intermezzi von A nach B. Die USA nimmt er salopp, in Israel lässt er ausgerechnet Nazareth links liegen, während Costa Rica/San José ein Interview wert ist und Kamerun eine Busfahrt weniger, weil »der gut gelaunte Fahrer im Marihuana-Rausch am Berg überholte.« Auf den Philippinen wird er beklaut, in Eritrea herrscht Krieg und über Thailand sagt er: »Ich verfiel auf die Idee, in ein Kloster zu gehen.«

Heute resümiert Dubbe: »Die Leser/Innen sind Büchern mit dem Thema Reise gegenüber skeptisch, weil sie ständig Leuten begegnen, die große Reisen machen und so entsetzlich langweilig davon erzählen.« Damals galten Bücher über die Ferne als schick und exotisch, aber ihr Stil war trocken und faktisch. Später etablierte sich der Lonley-Planet-Verlag im Sog des »Hippie-Trails«, nun klopfte man den Staub von den Manuskripten, und heute wird beinahe jeder nichtige Malle-Urlaub in Echtzeit gebloggt.

Daniel Dubbe tippt weder Urlaubsprospekte ab, noch verfällt er in Langeweile. Zwar ist er nicht der Erste, der aus alltäglichen Begebenheiten literarische Diamanten macht, aber seine Augen sind zeitgemäße Videokameras, die das Erlebte sezieren. Und immer mit einem Schuss Nonchalance. Nun ja, etwas anderes hatte der Maro-Verlag von einem promovierten Doktor der Philosophie nicht erwartet, schließlich blickt der Kleinverlag auf eine ruhmreiche Autoren-Geschichte zurück; es mussten schon die Eindrücke eines intelligenten Typs sein, der den Kosmos unters Mikroskop legte und den Journalismus noch lockerer nahm als seine Drinks. Schaut man sich die bisherigen Veröffentlichungen des Autors genauer an, trifft man immer wieder auf diese Art des Bummelns in anderen Ländern, wie es auch Mark Twain beherrschte. Große Insel fern südlich zum Beispiel, 1989 im Nautilus-Verlag erschienen, ist ein leider vergessenes Buch, doch der Klappentext erinnert daran: »Unterwegs ist man gezwungen, Neugier zu entwickeln, schon aus dem simplen Grund, weil man sich sonst nicht zurechtfindet.«

Zwischenlandung ist ein und kein Reisebuch. Adressen, Web-Links, Fotos und GPS-Daten fehlen. Wie es aussieht, bezweckte der Autor beim Schreiben das gleiche Ziel wie beim Reisen: das Unterwegssein. Das Resultat sind Kapitelchen, Mosaiksteine seiner Epoche als Journalist, rausgeschnittene Szenen einer Biografie, und um weiter im Jargon zu bleiben, Schnappschüsse, doch allesamt tauglich für den Picture-Press-Award. Man muss diesen Band als das betrachten, was er ist: Teil einer Tetralogie: Dubbe, Hamburg, Literatur, Reisen. Irgendwann mag man den Kerl, ob beim Drink auf der Reeperbahn, als flapsiger Korrektor bei der ZEIT oder in einer DC-3 mit fernem Ziel und vagen Aussichten. Während seine Kollegen öfter eiligst »ihre Sachen packten, um in ergiebigere Krisenzonen weiterzureisen«, trödelte er rum und »hielt es für die beste Art, öde Landstriche in Äquatornähe zu durchmessen.«

USA, Afrika, Asien, Europa. Lauter Zwischenlandungen. »Jede Stadt schenkt dem Fremden ein Mädchen.« Diese Bemerkung stammt von Bernd Cailloux, und wenn es danach ginge, müsste sich Dubbe längst mit einem Harem rumschlagen, aber er wohnt immer noch an der Hamburger Alster und schreibt am vierten Teil.

| HARTMUTH MALORNY

Titelangaben
Daniel Dubbe: Zwischenlandung
Augsburg: Maro Verlag, 2013
140 Seiten, 14,00 Euro

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