Musik | Toms Plattencheck
Gerd Baumann und Sebastian Horn sind zusammen Dreiviertelblut. Der Name bezieht sich natürlich nicht auf ihre Begeisterung für Musik, denn sonst hätten wir hier ganze acht Viertel, soviel ist sicher. Er ist eher Verneigung vor dem hier überwiegenden Dreivierteltakt. Von TOM ASAM
Sebastian Horn ist seit über 20 Jahren Sänger und Gitarrist der Bananafishbones, die nicht zuletzt durch andauernde Live-Präsenz auch jenseits Bayerns bekannt sind. Gerd Baumann ist neben Til Hofmann und Mehemt Scholl der dritte Mann des 2011 gegründeten Münchner Labels Millaphon. Kennen dürften ihn (Baumann) beziehungsweise seine Musik auch sehr viele, bei denen jetzt noch nichts klingelt. Denn der Komponist und Musiker hat eine ganze Reihe von Filmen kongenial durch die passende Musik abgerundet, allen voran die Werke des sympathischen Marcus H. Rosenmüller (u.a. Wer früher stirbt…, Beste Zeit, Beste Gegend, Sommer in Orange). Auch die Existenz von Dreiviertelblut und des Albums Lieder vom Unterholz verdanken wir dem Film; Horn und Baumann produzierten diverse Songs für die BR-Produktion Sau Nummer 4, was aufseiten der Zuschauer auf große Begeisterung stieß. Weitere Lieder vom Unterholz sollten folgen, sie entstanden im wilden Süden, genauer in der Waldgegend um Dietramszell im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen. Die ohne technischen Schnickschnack entstanden Stücke beschäftigen sich immer wieder mit den verschiedenen – oft auch dunklen – Begebenheiten zwischen Geburt und Tod im Isarwinkel, einer traumhaften Region zwischen München und österreichischer Grenze. Heiglkopf erzählt von einer düsteren Legende einer Erhebung, die unter der Bezeichnung »Hitlerberg« in finsteren Zeiten für Aufsehen sorgte. Falak – das einzige in Hochdeutsch vorgetragene Lied – besingt das Bild der Zigeunerin vom kalten Wasser bzw. die Legende des in der Jachenau hängenden Bildes, das wie von Geisterhand stets neu restauriert wird. Die abgebildete Schöne wird in einer Spukgeschichte mit den Gerüchten um einen Goldschatz in Verbindung gebracht. Bei allem thematischen und musikalischen Bezug zu (Ober-)Bayern ist die Musik, wie man es den beiden Machern gewohnt ist, weit von Volkstümelei und Rauten-Kitsch entfernt. Gstanzln, Polka, Traditionsbewusstsein: Ja Platter Lokalpatriotismus: Nein. Gerade die ruhigen, getragenen Stücke sind absolut packend und überzeugend; Horns mit sonorer Stimme vorgetragener Sprechgesang und die gelungene musikalische Gestaltung Baumanns ergänzen sich ganz wunderbar. Anspieltipp: Wann I dann. Wer sich den an Sau Nummer 4 anschließenden Film Paradies 505 am 19.10. um 20.15 Uhr auf BR anschaut, kann Lieder aus dem Unterholz hören!
Auch The Poets of Rhythm sind Münchner, man mag es kaum glauben. Ihre Geschichte beginnt mit dem Zusammentreffen von Bo Baral (dessen Famile aus dem südafrikanischen Exil nach Deutschland zurückkehrte) und JJ Whitfield an der Waldorfschule in München. Die beiden wurden Freunde und entdeckten eine gemeinsame Leidenschaft für Funk im Allgemeinen, George Clinton und sein Parliament-/Funkadelic-Universum im Speziellen. Die beiden wurden zu Diggern von 60s Soul- und Funk-Platten und legten fleißig auf, bevor sie selbst musizierten. Dies taten sie ab 1992, verstärkt durch weitere Mitstreiter – mal als Poets of Rhythm, mal als Bus People Express oder auch Soul Saints Orchestra. Ihre Stücke erschienen bei verschiedenen Labels in diversen Formaten. Jetzt erscheint eine Compilation von 18 Highlights, die zwischen 1992 und 2003 aufgenommen wurden. Für alle Fans von rohem, ursprünglichem Soul-Funk, der sich neben den genannten Vorbildern vor allem auch an den minimalistischen Quartett-Arrangements der frühen Meters orientiert, ein Fest! Die Qualität der Formation wird alleine schon dadurch deutlich, dass die Veröffentlichung auf Daptone Records aus Brooklyn erfolgt, deren Hausband Dap-Kings schon die Grundlage für Aufnahmen von Sharon Jones und auch das topselling Album Back to Black von Amy Winehouse schuf.
Neu im Wald ist diese Eule: Multiinstrumentalistin und Sängerin Jolana Moletta alias She Owl, die ihr Debütalbum in San Francisco aufnahm. Die Musik klingt märchenhaft verträumt und leicht geheimnisvoll; die Eule mag die Öffentlichkeit nicht so sehr und treibt sich lieber im Zwielicht des Waldes umher. Zurückhaltende Piano-Klänge, Kalimba- und Gitarrentupfer, sanfte Percussion und Molettas Stimme reichen meist aus, um eine schaurig-schöne Stimmung zu schaffen. Auf produktionstechnische Sperenzchen wird ebenso verzichtet wie auf übermäßig komplexe Songstrukturen. She Owl flattert irgendwo zwischen einer gezähmten PJ Harvey und Natalie Merchant in einem Gebiet mit vielen großartigen Konkurrentinnen. Wie bekommt man eine weibliche Eule eigentlich zu Gesicht? Man singt: »Come on Euuuuliiin…«
Wir bleiben beim gefederten Flugviech, die Forgotten Birds verstecken sich in Hamburg, auch wenn ihr Album Sahara heißt. Jan Gazzara, der schon zwei Soloalben veröffentlicht hat, traf Judy Willms in einer Kunstausstellung. Zu was solche Zufallsbekanntschaften im besten Falle führen können, hören wir auf diesem wunderbaren – innerhalb einer Woche im Wochenendhaus von Rocko Schamoni an der Ostsee entstandenen! – Album, welches dem karaoke kalk Universum eine weitere Schattierung verpasst. Sorgfältig und zurückhaltend instrumentierte, von schönen male/female-Duettgesängen getragene Songs voller Wärme bringen diesen – wenn auch als Silent ist the new loud etwas konstruierten – Moment Anfang des Jahrtausends in Erinnerung, als Turin Brakes und Kings of Convenience für kurze Zeit die Speerspitze einer neuen Indiepop-Szene waren, die Gefühligkeit und Folk-Einflüsse so natürlich und großartig wie möglich vermittelten. So blöd das dann auch klingt: Sahara macht Lust auf Strickpulli, Kaminfeuer und Herbstlaub. Die zehn Songs klingen wundersamerweise nach dreimaligem Hören, als hätten sie einen schon durch unzählige Herbst-Abende gebracht.
| TOM ASAM
Titelangaben
Dreiviertelblut: Lieder vom Unterholz – Millaphon
The Poets of Rhythm: Anthology 1992-2003 – Daptone Records / Groove Attack / The Orchard
She Owl: same – www.ppzk.de
Forgotten Birds: Sahara – karaoke kalk