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Ein Bekenntnis zur Sprache der Literatur

Roman| INTERVIEW | Daniel Galera: Flut

Flut ist der erste ins deutsche übersetzte Roman des brasilianischen Schriftstellers Daniel Galera. Dort erzählt er eine ganz besondere Familiengeschichte, die drei Generationen umfasst. BETTINA GUTIÉRREZ hat mit dem Autor gesprochen.

Flut
B.G.: Sie haben einen Verlag gegründet, der »Livros do Mal« heißt.
D.G.: Es ist ein kleiner Verlag, den ich 2001 zusammen mit zwei Freunden gegründet habe. Wir haben viel im Internet publiziert, zum Beispiel literarische Essays und elektronische Zeitschriften. Dort habe ich auch meine ersten Erzählungen veröffentlicht. Es war ein kleiner, bescheidener Verlag für junge, neue Autoren. Damals hatten die traditionellen Verlage das Internet noch nicht entdeckt. 2003 ging der Verlag ein, aber er war trotzdem sehr erfolgreich. Noch heute hat er in Brasilien einen Namen und viele Menschen fragen nach den Büchern von »Livros do Mal«.

Sie haben sich auch als Übersetzer betätigt.
In meiner Jugend habe ich vor allem amerikanische und englische Literatur gelesen. Schon mit 14, 15 Jahren habe ich angefangen, Bücher im englischen Original zu lesen. Und da ich gut englisch spreche, habe ich Romane von englischsprachigen Autoren wie David Foster Wallace, John Cheever, Zadie Smith und Jonathan Safran Foer ins portugiesische übersetzt.

Maos de Cavalo ist Ihr erster Roman, der nicht im Internet, sondern in Buchform erschienen ist.
Maos de Cavalo ist ein sehr wichtiger Roman für mich. Mit diesem Roman habe ich meine Laufbahn als Schriftsteller begonnen. Es ist ein Bildungsroman, der sich in den 90er Jahren und in Porto Alegre abspielt.

Aber er handelt nicht nur von Porto Alegre, sondern auch von der Frage nach der Identität, das heißt inwiefern man seine eigene Identität selber bestimmen kann oder ob sie von anderen Kräften wie den Genen, der Kultur oder dem Schicksal abhängt. Mein Protagonist ist ein Jugendlicher, der Literatur studiert, alleine in einer Wohnung lebt, keine Arbeit findet und sich in ein Fotomodell verliebt.

Es ist auch ein Roman, der eine Generation beschreibt, die mit liberalen Werten und ohne Restriktionen aufgewachsen ist. Wenn alles möglich ist, ist nichts interessant  könnte die Grundidee meines Romans lauten. Das bedeutet, wenn man im Leben alle Freiheiten hat und machen kann, was man will, entwickelt man keinen Willen, etwas Besonderes zu leisten.

Ihr ins deutsche übersetzte Roman Flut befasst sich mit einer Familiengeschichte.
Es ist keine richtige Familiengeschichte, die Familie ist getrennt.  Mein Protagonist versucht den Tod seines Großvaters, der vor einigen Jahrzehnten gestorben ist, aufzuklären. Er möchte das Geheimnis um den Tod seines Großvaters, dessen Leichnam nie gefunden wurde, aufklären und begibt sich deshalb auf die Spuren seiner eigenen Familiengeschichte.

Gleichzeitig beginnt er ein neues Leben, findet neue Freunde und eine neue Arbeit. Sein Großvater ist eine sehr legendäre Gestalt, auf der viele Flüche und Aberglauben lasten. Mein Roman hat aber auch einen etwas philosophischen Hintergrund, da zwischen den Zeilen philosophische Fragestellungen behandelt werden wie zum Beispiel die Frage nach der Rolle des Determinismus im Leben eines jeden Einzelnen. Diese Frage fand ich sehr interessant, sie hat mich motiviert, diesen Roman zu schreiben.

Haben Sie literarische Vorbilder?
Ja, ich habe viele literarische Vorbilder. In jedem meiner Bücher finden sich Einflüsse von Schriftstellern, die ich besonders gerne gelesen habe. Dazu gehören die Erzählungen von Tschechow, die Romane von David Foster Wallace und das Gesamtwerk von Georges Bataille. Er ist ein Schriftsteller, der mich sehr geprägt hat. Ich habe alle seine Bücher gelesen.

Was bedeutet Schreiben für Sie?
An einem bestimmten Zeitpunkt in meinem Leben habe ich begriffen, dass die Sprache, die ich am besten beherrsche und in der ich mich am besten ausdrücken kann, die Sprache der Literatur ist. Sie bringt meine Lebenserfahrung und Vision von der Welt in eine Form, die ich mit anderen Menschen teilen kann. Meine große Affinität gilt der Sprache. Das ist für mich sehr wichtig, da ich mich schon immer auf irgendeine Art und Weise ausdrücken wollte.

Meine Sicht der Welt und der Menschen verwandelt sich durch das Schreiben auf ganz natürliche Art und Weise in Geschichten. Ich mache dies nicht vorsätzlich oder mit Absicht; die Personen und Situationen entwickeln sich, sie tauchen plötzlich auf. Es ist die Prosa der Fiktion, die mir am meisten liegt. Ich kann keine Gedichte schreiben, Musik komponieren oder Design entwerfen. Ich kann nur Geschichten schreiben.

| BETTINA GUTIÉRREZ

Titelangaben
Daniel Galera: Flut
Berlin: Suhrkamp 2013
425 Seiten. 22,95 Euro

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