»Fucking LA«

Film | Im Kino: Only lovers left alive

Der Vampirfilm, möchte man annehmen, erfährt alle fünfzig Jahre sein faszinierendes Revival. Im Jahr 1967 war er höchst erfolgreich mit Roman Polanskis Tanz der Vampire, sein intellektueller Anspruch ist hoch, er verbirgt Melancholie hinter einer tendenziell unernsten Fassade. Dieser Tage legt Jim Jarmusch, seit Stranger than paradise (1984) und Down by law (1986) eine Ikone des Independent-Kinos, dem Publikum einen Vampir-Film vor. Von WOLF SENFF

jarmusch
Es dauert, bis wir merken, welche Flüssigkeit in Jim Jarmuschs Only lovers left alive während der ersten dreißig Minuten gehandelt wird, die Modalitäten der Ernährung, lernen wir, haben sich grundlegend gewandelt. Der Vampir verschafft sich die Blutkonserve direkt aus dem Hospital, »unkontaminiert«. Der Film drängt nicht, wir folgen einer sich anmutig bewegenden, engelsgleichen Eve (Tilda Swindon) in der romantischen Kasbah von Tanger – die Kamera gewährt viel Zeit, sie zu beobachten.

Ein Bogen über die Jahrhunderte

Adam (Tom Hiddleston) lebt in einer abgelegenen Villa in einem alten Industriegebiet des von der Automobilindustrie verlassenen, heruntergekommenen Detroit, er hat sich von jeglichem Hype zurückgezogen, macht Musik und pflegt seine Kollektion erlesener Gitarren, unter anderem eine Hagström, eine Silvertone, eine Gretsch.

Eve und Adam sind seit Jahrhunderten ein Liebespaar, sie haben mittlerweile dreimal geheiratet. Eve, die tausende Kilometer von Detroit Zuflucht fand und Blutkonserven über ihren alten Freund Marlowe erhält, hat ein Gespür für den nachlassenden Lebenswillen ihres Geliebten und bucht einen Flug nach Detroit.

Marlowe nennt Adam noch »einen selbstmörderisch-romantischen Halunken«, der »für den Hamlet, den ich schrieb«, ein »Vorbild« gewesen wäre. So erfährt der Zuschauer ganz nebenbei auch die endgültige Wahrheit über Shakespeare.

Menschen und Zombies

Leichtfüßig und entspannt zieht Jim Jarmusch in Only lovers left alive einen Bogen über Jahrhunderte hin und wirft vor allem durch Adam einen düsteren Blick auf eine Welt, die ihren Sinn und den Zusammenhalt verliert. Von den Menschen hält sich Adam fern, weil er sowieso nicht erträgt, wie die ihre Welt völlig sinnlos zugrunde richten, die Menschen sind in seiner Wahrnehmung »Zombies«. Sie hätten geschafft, »ihr eigenes Blut zu verseuchen, vom Wasser ganz zu schweigen«.

Die neueste Musik Adams hat Ähnlichkeit, so Eve, mit einem Streichquartett, das er einst Franz Schubert schenkte und das dieser als sein eigenes ausgab – um was er Schubert auch gebeten habe, sagt Adam, und im Übrigen, schränkt er ein, habe es sich lediglich um das Adagio gehandelt.

Only lovers left alive öffnet den Blick über weite Dimensionen von Raum und Zeit, und Jarmusch erinnert mit diesem Film eindringlich an den hohen Wert, den Kultur für die menschliche Existenz hat. Er zeigt ein kühn konstruiertes Werk, für das Musik ein wichtiges Thema ist – die Fuzz-Rock-Band White Hills hat im Film einen Auftritt. Mit feinem Humor balanciert Jarmusch die bittere Härte Adams aus, und Eves schwebende Präsenz verleiht dem Geschehen eine grandiose Leichtigkeit.

Party, Jugend, Hype und Zukunft

Dann bricht Ava (Mia Wasikowska) in den Film ein, Eves Schwester. Sie will Spaß, jung sein, frisch sein, will Elan, will Party, sie will die Welt einfach einmal wieder von vorne neu aufmöbeln. Sie schafft das alles, und ein wutentbrannter Adam schickt sie anschließend zurück nach »fucking LA«. Nach ihrem kurzen Aufenthalt ist die Lage deutlich verändert. In ihrem jugendlichen Überschwang hat sie sich freizügig der Vorräte an Blutkonserven bedient. Nein, die Zeit für jenen Übermut, der auch mal fünfe grade sein lässt, diese Zeit, daran lässt Jarmusch keinen Zweifel, ist vorbei.

Only lovers left alive ist ein stiller, eindringlicher Film über das, was unserem Leben Halt verleiht, und über das, was es zerstört. Jim Jarmusch zeigt in diesem unaufgeregten Film tiefe und bewegende Charaktere. Man sieht einen dezidiert »erwachsenen«, »reifen« Film; das gilt sowohl für die – welchen Hochzeitstag feiert man, wenn man zweihundertfünfzig, dreihundert Jahre oder länger verheiratet war – romantische, ergreifende Nähe der Liebenden als auch für die Einstellung zur Welt und zum Leben, die sich in der kompromisslosen Zurückweisung der Schwester zeigt.

| WOLF SENFF

Titelangaben
Only lovers left alive
Regie: Jim Jarmusch
Kinostart 25.12.

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Schweden-Country und Musikgoldgräber

Nächster Artikel

Ein Leben im Werk

Weitere Artikel der Kategorie »Film«

Star Wars in Istanbul

Film | Interview | Cem Kaya: REMAKE, REMIX, RIP-OFF Cem Kayas Dokumentarfilm ›REMAKE, REMIX, RIP-OFF‹ feiert den bizarren Trash-Charme des türkischen Pop-Kinos. Zum Filmstart am 5. Mai 2016 sprach SABINE MATTHES mit Cem Kaya über die türkische Adaptionspraxis, islamischen Exorzismus, Subversion und Tarzan als Vorreiter der türkischen Umweltschutzbewegung.

Mariss Jansons besiegt Stefan Herheim im Duell

Film | DVD: Tschaikowski – Eugen Onegin Tschaikowskis Eugen Onegin gehört zum festen Repertoire der Opernhäuser. In den vergangenen Jahren konnten zwei so unterschiedliche Inszenierungen wie die von Achim Freyer in Berlin und von Andrea Breth in Salzburg die anhaltende Wirkung dieses Bühnenwerks bestätigen. In Amsterdam hat der deutlich jüngere Norweger Stefan Herheim sich seiner angenommen. Herheim ist für seine enigmatischen Inszenierungen bekannt und nicht unumstritten. Er neigt dazu, sich mehr zu denken, als er szenisch zu vermitteln mag. Ohne Erläuterungen ist das Publikum bei ihm oft ratlos. Von THOMAS ROTHSCHILD

Süßes oder Saures?

Film | Im Kino: Das Haus der geheimnisvollen Uhren Ein Waisenjunge muss zu seinem nie vorher gesehenen Onkel in eine andere Stadt ziehen. Der Verwandte wirkt auf ihn äußerst gruselig. Bald stellt der Junge fest, dass das Haus anders ist, als normale Häuser. »Hier gibt es noch echte Magie«, formuliert der Onkel treffend und weist den Kleinen nach und nach in die Kunst der Hexerei ein. ANNA NOAH fragt sich: Was wird noch alles ans Tageslicht kommen?

Für Rührseligkeit bleibt keine Zeit

Film | TV: TATORT – Auf ewig Dein (WDR), 2. Februar Da schickt sie, schwanger, den Papa in spe nach Hause, und als er die Tür hinter sich schließt, bricht sie heulend zusammen. Schnitt, nächster Tag: Nora Dalay (Aylin Tezel) und Daniel Kossik (Stefan Konarske) sitzen nebeneinander im Dienstwagen. Hat jemand behauptet, dass TATORTe Krimis seien? Man darf das nicht missverstehen. Wenn sie gut sind, führen sie uns in künstlerischer Dichte vor, wie die Dinge sich abspielen im Leben, im Alltag. Fünfundvierzig Filmminuten später die Versöhnungsszene – es pendelt hin und zurück, für Rührseligkeit wird keine Zeit verplempert. Von WOLF

Sie geben uns Klassik

Film | TATORT: ›Freigang‹ (SWR), Pfingstmontag, 9. Juni Ist doch mal was Nettes. Ermittler treffen sich zwecks Austausch der letzten Informationen in Ramonas einschlägigem Etablissement. Nebengeräusche beeinträchtigen die Konzentration, lenken aber unsere ausgebufften Kommissare nicht von der Arbeit ab, dem ›TATORT‹ wird ein Schuss frühsommerlicher Hitze zugeführt. Von WOLF SENFF [Foto: SWR/J.Krieg]