/

Oper als Arbeit

Film | Auf DVD: Die singende Stadt. Calixto Bieitos Parsifal entsteht

Wer ein Theater oder eine Oper besucht, sieht auf der Bühne ein abgeschlossenes Kunstwerk. Nicht zu erahnen ist, wie viel Stunden Arbeit von unzähligen Menschen, von denen sich nur ein kleiner Teil nach der Vorstellung verneigt, zu diesem Ergebnis geführt haben. Unter diesem Gesichtspunkt ist es zu verstehen, wenn die Beteiligten verärgert auf jede negative Kritik reagieren. Sie ist ja auch eine Missachtung der Anstrengungen, die sie investiert haben. Von THOMAS ROTHSCHILD

Die singende StadtIn keinem anderen Beruf ist man so sehr der öffentlichen Beurteilung ausgesetzt. Die Kritik kann darauf keine Rücksicht nehmen. Sie hat in der Tat das Resultat zu bewerten, nicht den Weg dorthin. Aber nachvollziehen kann man die Frustration derer, die ihn gegangen sind, schon.

Der Film von Vadim Jendreyko zeigt nun ausführlich, was vor der Premiere von Parsifal an der Stuttgarter Oper hinter den Kulissen stattgefunden hat. Das ist aufschlussreich und fesselnd zugleich – nicht nur, weil Calixto Bieito zu den interessanten und originellsten, aber auch umstrittensten Regisseuren unserer Tage zählt. Die Kamera beobachtet. Auf Interviews wird verzichtet. Stellenweise geht dieses Verfahren auf Kosten des Tons, der Verständlichkeit. Schließlich durften die Filmemacher den Produktionsprozess nicht zu sehr stören. Man sieht, was es bedeutet, eine Oper in einer Sprache zu singen, die man nicht beherrscht. Dem Darsteller des Amfortas, dem amerikanischen Bariton Gregg Baker fällt es schwer, die Wortfolge »lasst ihn unenthüllt« korrekt und verständlich auszusprechen. Andrew Richards – auch der Tenor, der den Parsifal singt, ist Amerikaner – werden gar Sätze wie diese zugemutet: »Auch deine Träne ward zum Segenstaue: Du weinest – sieh! Es lacht die Aue«. Das sind Zungenbrecher selbst für Deutsche.

Man erlebt den Schrecken der Kostümbildnerin, wenn ihr mitgeteilt wird, dass die verbliebenen zwei Monate nicht ausreichen, um Kostüme zu nähen, und sie sich darauf beschränken muss, sie zu kaufen oder aus dem Fundus zu rekrutieren. Man ist dabei, wenn ein Teil des Chors dagegen aufbegehrt, nackt aufzutreten, und Bieito seine ohnedies äußerst unkonventionelle Konzeption ändern muss. Und wie arbeiten eigentlich Regisseur und Dirigent zusammen? Der Film dokumentiert, dass der Regisseur durchaus Vorstellungen von der musikalischen Interpretation hat und sie auch formuliert.

Es gibt zahlreiche Filme über die Probenarbeit von Dirigenten, auch einige von Theaterproben. Aber diese Dokumentation aus dem Stuttgarter Opernhaus sollte sich niemand entgehen lassen, der mehr über die Arbeit wissen will, die stattfindet, ehe ein Opernabend das Licht der Welt erblickt. Vielleicht wird er das nächste Mal zögern, den Applaus mit einem Buh zu stören.

Fotos: RealFiction

| THOMAS ROTHSCHILD

Titelangaben
Die singende Stadt. Calixto Bieitos Parsifal entsteht. RealFiction 958898

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Vom Hundertsten ins Tausendste

Nächster Artikel

Villa Kunterbunt

Weitere Artikel der Kategorie »Bühne«

Das sind die Bretter, die die Welt bedeuten!

Bühne | Mikro-Musical am Altonaer Theater Hamburg »Und nimm‘ jetzt auch mal bitte die Hand von meinem Knie, ich bin zweimal so alt und stehe nicht auf Päderastie!« »Madame, was die Zahl der Jahre angeht, das sag‘ ich einfach mal, das ist mir so was von schnurzpiepscheißegal!« Als Delio bei einem Casting auf seine frühere Lehrerin trifft, flammen nicht nur alte Gefühle wieder auf. Ein hochamüsantes Duett über die Liebe zum Leben und zur Bühne. Aber Vorsicht: Hier bleibt kein lachendes Auge trocken. Von MONA KAMPE

Geschichten über Pierrot

Musik | Pierrot in der Musik und im Musiktheater Der Pierrot, 1816 aus dem Pedrolino der Commedia dell’arte entwickelt, entsprang der Fantasie des Pantomimen Jean-Gaspard Deburau. Eigentlich gab es solche Figuren, die zu Zirkus-Weißclown wurden, schon im Straßentheater des 15. Jahrhunderts. Eine einfache Figurine für’s Volk. Der Sänger Alexsander Wertinski erfand einen schwarzen Pierrot. Von TINA KAROLINA STAUNER

Absurde Klangfundamente und eigenwillige Texte

Bühne | Konzert: Knorkator »Widerstand ist zwecklos«, das neue Album von »Knorkator« ist seit September draußen und man hat den Eindruck, die »meiste Band der Welt« ist auch 25 Jahre nach ihrer Gründung beliebter denn je. So beliebt, dass die Columbiahalle in Berlin kurzerhand im Dezember 2019 in Knorkatorhalle umbenannt wurde. ANNA NOAH ist gespannt auf ihre Bühnenshow.

Galileo!

Bühne | Theater: Ich bin nicht Mercury

Eine Coverband hat ihre letzte Probe vor der Studioaufnahme. Sie interpretiert Songs von Queen. Man ist sich noch nicht einig, ob man sie neu interpretiert oder doch lieber original singt. Nach und nach entfalten sich die Charaktere auf ihre völlig eigene, allerdings im Kontext Mercurys nicht sonderlich überraschende, Art und Weise. ANNA NOAH taucht erneut in ein Queen-Song-Potpourri ein.

Ein schmaler Grat zwischen Fiktion und Wirklichkeit

Bühne | Wer hat Angst vor Virginia Woolf? Deutsches SchauSpielHaus Hamburg Lieben sich Martha und George wirklich? Zwischen Fiktion und Wirklichkeit, Zuneigung und Hass, perfektem Spiel und schönem Schein, sind sich weder die Protagonisten noch die Besucher sicher, was wirklich auf der Bühne vor sich geht. Von MONA KAMPE