Das Tier im Manne rockt nicht im Mainstream

Musik | Toms Plattencheck

Der Blick auf Bands jenseits der vermeintlichen Musiker-Oasen lohnt sich immer wieder. Gute Musik kommt schließlich nicht nur aus New York, Portland, Berlin oder London. Das Tier im Mann wütet auch anderswo. TOM ASAM hat sich umgehört.

The Animen: Hi!
Die Genfer The Animen mischten die Schweiz mit ihrem überzeugenden Debut Hi! Bereits im Jahr 2013 auf. Nun ist das teils mit leichtem Country-Twang angereicherte, um die Ausnahmestimme von Sänger Theo Wyser konstruierte Album auch international erhältlich. Auch wenn hier der ein oder andere Otis Redding oder Johnny Cashs Gitarrenbegleitung als Vergleich heranziehen möchte, eine reine Retro-Nostalgie-Übung ist Hi! Keinesfalls. Auch neuere Einflüsse sind herauszuhören, vor allem Songwriting und Stimme von Pete Doherty dürften Theo Wyser besonders gut gefallen haben.

Einen letzten Tick mehr Eigenständigkeit wäre deshalb das einzige, was man The Animen noch wünschen darf, ansonsten: Weiter Zähne zeigen! Für Babyshambles-Fans, die sich nicht so sicher sind, ob sie ihr Idol diesmal auf der Bühne sehen werden: Gebt doch (auch) den Animen eine Chance – deren Deutschlandtermine folgen im Februar.

Three lakes and the flatland eagles: War TalesWährend Animen schon im Bandnamen auf das Tier im Menschen deuten, tut dies der Italiener Luca Righi aka Three Lakes mithilfe der Flatland Eagles und dem Albumtitel: War Tales. Das Konzeptalbum beschäftigt sich mit verschiedenen Kämpfen. Inspiriert durch eine Erzählung geht es lose um die Flucht eines Akkordeonspielers vor den Nazis. Doch auch ein scheinbar nicht passender Song wie The Lonesome death of Mr Hank Williams erzählt von einem Kampf. Jenem mit der Einsamkeit und dem Alkohol. Die Grundstimmung ist verständlicherweise eher getragen bis melancholisch.

Die Stücke sind dabei komplexer strukturiert, als das was man von Three Lakes solo gewohnt ist, da orientiert sich Righi hörbar an der Szene der frühen 60´s Folkies, der die Coen Brothers mit ihrem neuesten Film gerade ein Denkmal gesetzt haben. Neben den Flatland Eagles um Andrea Sologni (Gazebo Penguins, er hat War Tales auch produziert) schauten weitere Musiker wie Emanuele Reverbi (Giardini di Miró) oder Luciano Ermondi (Tempelhof) bei den Aufnahmen vorbei und erweiterten das Spektrum der Instrumente um Violine, Trompeten und Lapsteel. So erinnert War Tales mehr an Bands im Fahrwasser (der wieder aufgetauchten) Neutral Milk Hotel als an Seeger und Von Ronk, auch wenn die Indierock-Komponente aufgrund der durchgehend eher ruhigen Stücke etwas abgeht.

| TOM ASAM

Titelangaben
The Animen: Hi! – Two Gentlemen / Rough Trade
Three lakes and the flatland eagles: War Tales – Upupa Produzioni

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Jungenphantasien in einem erwachsen gewordenen Medium

Nächster Artikel

Von der Natur der Sache

Weitere Artikel der Kategorie »Platte«

Folkdays aren’t over – Broken Twin

Musik | Broken Twin – May Majke Voss Romme als Broken Twin: Lo-Fi-Attitude, Reduktion, Minimalismus und liebevolle Kleinigkeiten und Details in melancholschen und hoffnungsvollen Liedern von ›May‹. Von TINA KAROLINA STAUNER

Free Jazz, Free Space & Impro: Mathias Eick – ›Ravensburg‹

Musik | Mathias Eick: Ravensburg ›Ravensburg‹. Ein Puzzle? Nein, eine Jazz-CD. Aber diesmal eigentlich wie ein Puzzle für die ganze Familie. Für Eltern, Töchter, Söhne, Großväter, Großmütter, Hunde, Katzen, Onkel, Tanten und alle anderen Verwandten. Die Stücke von ›Ravensburg‹ heißen: ›Family‹, ›Children‹, ›Friends‹, ›August‹, ›Parents‹, ›Girlfriend‹, ›Ravensburg‹, ›For My Grandmothers‹. Und sind das aktuelle Album von Mathias Eick. Gehört von TINA KAROLINA STAUNER

Der böse Busch

Hörbuch | Wilhelm Busch: Der Schmetterling

Wer sich in seiner Kindheit stets gewundert hat, warum Max und Moritz – nebenbei bemerkt auf durchaus brutale Art und Weise – sterben müssen, der kann nun in diesem wunderbaren Hörbuch die andere Seite Wilhelm Buschs, einen gebrochenen spätbiedermeierlichen Radikalmoralisten mit einem gewissen Hang zur psychischen und physischen Brutalität, in ihrer vollen Blüte kennenlernen. Von SEBASTIAN KARNATZ

Kurze Verfallszeit im Retrowolf

Musik | Toms Plattencheck Das Schweizer Trio Rusconi ist zweifacher Echo-Jazz-Gewinner. Eine Aussage, die – ohne weitere Erläuterung – all zu schnell wahlweise zum Abwinken oder Abnicken führen könnte. Doch auch wenn Rusconi im Jazzbereich bei Hörern und Kritikern höchstes Lob erfahren, sind sie alles andere als das klassische Piano-Jazz-Trio. Von TOM ASAM.

Keine Atempause – Musik aus Düsseldorf

Kulturbuch | Musik | S.Dreyer, M. Wenzel, T. Stelzmann: Keine Atempause – Musik aus Düsseldorf Wenn ich heute an meine Kindheit zurückdenke, so erinnere ich mich vor allem daran, abends zusammen mit meiner um fünf Jahre älteren Schwester auf dem Boden zu sitzen, Canasta zu spielen und dabei Platten zu hören. Beinahe das ganze Jahr 1977 lang waren dies allabendlich nur zwei Schallplatten im Wechsel: Low von Bowie und Trans Europe Express von Kraftwerk. Seitdem ist mir die Musik der selbsternannten Musikarbeiter aus Düsseldorf ans Herz gewachsen. STEFAN HEUER über das neu erschienene Musikbuch Keine Atempause – Musik aus Düsseldorf