//

Eine schwarze Feder gibt’s aus London

Film | Im TV: TATORT – Großer schwarzer Vogel (RBB), 9. Februar

Leicht ist es nicht, darüber nachzudenken, was ein so gewichtiger Titel bedeuten mag. Ein schwarzer Vogel kommt in diesem TATORT genaugenommen kaum vor. Gut, ein paar Mal fliegen Krähen über Land. Eine schwarze Feder taucht überraschend aus London auf. Sonst? Muss man halt drüber nachdenken. Von WOLF SENFF

Tatort Berlin- Grosser-schwarzer-Vogel Foto: (c): ARD/Conny Klein
Tatort Berlin – »Großer schwarzer Vogel«; Foto (c): ARD/Conny Klein
Ende der siebziger Jahre sang Ludwig Hirsch sein Lied Komm großer schwarzer Vogel, das auf Ö3 wegen seiner morbiden und unheimlichen Atmosphäre nach 22 Uhr nicht gespielt werden durfte. Und dann fliegen wir auf, mitten in Himmel hinein, in eine neue Zeit, in eine neue Welt, und ich werd‘ wieder singen, ich werd‘ wieder lachen. Das trifft ungefähr die Stimmung dieses TATORTs.

Kein Licht, nirgends

Der Berliner Radiomoderator Nico Lohmann und seine schwangere Freundin Anne sollten Opfer einer Briefbombe werden. Sie verfehlt die beiden und ein kleiner Junge stirbt, weil er im falschen Moment im Treppenhaus Ball spielt. So beginnt’s. Die Handlung wird nicht nur zügig und schlüssig, sondern – soweit man das bei dieser todtraurigen Eröffnung überhaupt sagen darf – sehr dicht, vielschichtig und einfallsreich entwickelt. Es ist ein Elend und, man muss das leider anerkennen, ein überzeugender Film Noir.

Wir erhalten Einblick in Lebensläufe, die gegen die Wand gefahren werden, unausweichlich, und zwar ausnahmslos bei jedem: beim Vater Hans Lohmann (Hans Uwe Bauer), bei dessen Hochleistungssportlersohn Nico (Florian Panzer), bei der schwangeren Anne Kröber (Klara Manzel), bei der Ex Henriette (Julia Koschütz), bei Ulrich Kastner (Peter Schneider), der Frau und Tochter verlor, bei Heiner Piwek (Andreas Günther), dessen Ehefrau Petra (Karina Plachetka) und bei Maria (Verena Jasch), der Mutter des Jungen. Jeder von ihnen ist spätestens zum Schluss komplett durch mit sich und der Welt (Buch: Titus Selge und Jochen Greve), und anders als bei dem erwähnten Chanson sieht niemand ein Licht am Ende des Tunnels. Man soll sich nicht aufhalten bei diesem Gedanken als Zuschauer.

Bemerkenswerte künstlerische Dichte

Diese Figuren sind ohne Fehl und Tadel gespielt, erschütternd, eine wie die andere, und abgesehen von dem manchmal etwas breit ausgespielten Auftreten der Ermittler ist die Handlung zügig und schlüssig geführt (Regie: Alexander Dierbach).

Positiv anzumerken auch, dass hier nicht psychologisiert oder moralisch Schuld verteilt wird, Großer schwarzer Vogel verbreitet keine depressive Stimmung, er lamentiert nicht, sondern stellt plausible Biografien in künstlerischer Dichte dar – die Situation der Mutter des zu Tode gekommenen Jungen geradezu minimalistisch dadurch, dass sie nicht davon abzubringen ist, auf der schlichten hölzernen Bank des Kommissariats zu warten. Worauf sie wartet? Sie weiß es nicht. Nach Hause gehen? Was soll sie da?

Auf diese wenig kompromisslose Art beliebt das Leben leider mit uns umzuspringen. Kommt vor, ja. In letzter Zeit geschieht das häufig auch in diesem immer noch reichen Mitteleuropa, das einst allen Bürgern wenigstens den materiellen Wohlstand sicherte. Woran liegt’s? Niemand da, der den Bankern die unersättlichen Mäuler verschließt?

Weil eine Rezension aber nicht resignativ abschließen soll, sei wenigstens das in diesem TATORT so unglücklich düster scheinende Bild unserer schönen großen schwarzen Vögel rehabilitiert, indem wir auf einen äußerst lesenswerten Band von Josef Reichholf hinweisen: Rabenschwarze Intelligenz. Was wir von Krähen lernen können, München 2009, hinweisen. Da lernen wir sie lieben, unsere großen schwarzen Vögel. Der Autor war jahrelang Präsidiumsmitglied des deutschen WWF.

Ein Blick auf TATORTs Nachbarschaft

Die privaten Anstalten haben, scheint’s, ein Abonnement auf angloamerikanische Serienformate. Der Renner ist dort zurzeit Navy CIS (SAT.1) mit einem Ermittlerteam, das Verbrechen aufklärt, in die, Militär weichgespült, Angehörige der US Navy und des US Marine Corps verwickelt sind; es läuft die elfte Staffel, die Serie ist in den USA meistgesehene Fernsehserie, in Deutschland fährt sie gute Werte ein.

Bei den privaten Anstalten laufen US-Serienkrimis wie CSI: Vegas (RTL), Criminal Minds (SAT.1), The Blacklist (RTL), Hawai Five-0 (SAT.1), The Mentalist (SAT.1) und diverse andere. Viel nette Unterhaltung von den Freunden, die uns hintenrum heimlich ausspionieren.

Man hat glatt den Eindruck, dass in anderen Ländern keine Serienkrimis produziert werden. In ganz Südeuropa nicht? Eine russische Krimiserie wäre mal erhellend, gerade jetzt, während der Winterolympiade, da es um Völkerverständigung geht. In Japan, wo die Yakuza agieren, hat’s spannende Kriminalromane, Filme auch. Skandinavien sahen wir vor Kurzem bei den Öffentlich-Rechtlichen. War vom Allerfeinsten. Und überhaupt kein Fußabdruck von Frankreich auf den Karten der Privaten?

Es täte gut, wegen Serienformat mal bei den Südeuropäern, bei den Franzosen, den Skandinaviern oder, wenn da nicht geliefert wird, bei den Japanern oder Russen anzufragen. Wär‘ mal was Neues. Konkurrenz haucht Leben ein.

| WOLF SENFF

Titelangaben
TATORT: Großer schwarzer Vogel (Radio Berlin Brandenburg)
Regie: Alexander Dierbach
Ermittler: Dominic Raacke, Boris Aljinovic
So., 9. 2. 14, ARD, 20:15 Uhr

Reinschauen
Alle Tatort-Kritiken auf TITEL kulturmagazin
Alle Sendetermine und Online-Abruf auf DasErste.de
Gregor Keuschnig zu Rüdiger Dingemann: »Tatort«-Lexikon
Rüdiger Dingemann: »Tatort«-Lexikon (eBook)

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Pause machen!

Nächster Artikel

Crap Gigs, And How To Survive Them

Weitere Artikel der Kategorie »Film«

Begegnungen der Warmherzigkeit

Film | Im Kino: Augenblicke – Gesichter einer Reise Wenn sich die 89jährige Agnès Varda mit dem 33jährigen Streetartist JR auf eine Reise durch ihre Heimat Frankreich begibt, kann das nur eins bedeuten: einen Film voller Kunst und Überraschungen. Und tatsächlich! Beide erkunden die Möglichkeiten der künstlerischen Zusammenarbeit verschiedener Generationen. Dabei entdecken sie nicht nur andere Menschen, sondern finden auch zueinander. ANNA NOAH freut sich über diese gelungene Dokumentation.

Vom Staat, den es nicht gibt

Film | Filmfest auf der Alster Hamburg, 18. bis 21. September 2014 Zum Filmfest Hamburg wird freiluft auf der Binnenalster ein Vorlauf vom 18. bis 21. September gezeigt, das Filmfest in geschlossenen Räumlichkeiten beginnt am fünfundzwanzigsten. Das Filmfest Hamburg hat traditionell diverse Themenbereiche, in der ›Sektion Deluxe‹ werden Filme aus ausgewählten Ländern oder Regionen vorgestellt: Iran (2013), davor Quebec (2012), auch Finnland (2006), auch Österreich (2005). Von WOLF SENFF

’s ist Weihnacht

Film | Im TV: ›TATORT‹ – Weihnachtsgeld (SR), 26. Dezember, 20.15 Uhr »Erdrosselung ist ein ziemlich zeitaufwendiger und kräftezehrender Vorgang«. Wir merken sofort, in ›Weihnachtsgeld‹ steht nüchterne Ermittlung im Vordergrund. Das ist absolut unverzichtbar, um einer zuvor nicht erlebten Fülle von Verwicklungen Herr zu werden. Von WOLF SENFF

Der Schein ist trügerisch

Film | Im TV: ›TATORT‹ Frohe Ostern, Falke (NDR), Ostersonntag, 5. April Ach du Schreck. Gewaltig Aufgeregtheit. Massiv Radau ist angesagt. Terrorismus steht ins Haus, wir werden auf die Höhe der Zeit sortiert. Klar ist das immer ein gefundenes Fressen für Medien, auch TV lässt da nichts aus. Schlagzeilen, hübsch bunte Bilder, da schaun wir mal rein, und ›TATORT‹ wird diesmal auf nichts verzichten, deshalb nun also ereignisreiche ›Frohe Ostern‹. Von WOLF SENFF

Der junge Mann und der Suff

Film | Im Kino: The Rum Diary Wenn die Namen Johnny Depp und Hunter S. Thompson in einem Satz fallen, denkt die Mehrzahl der Filmfreunde vermutlich sofort an Terry Gilliams schräges Roadmovie ›Fear and Loathing in Las Vegas‹. Dass den stilbildenden Journalisten und Schriftsteller Thompson bis zu seinem Suizid 2005 auch eine enge Freundschaft mit Depp verband, wissen dagegen wohl die wenigsten. Nicht zuletzt diese Freundschaft dürfte einer der Gründe gewesen sein, aus denen sich Johnny Depp so stark für die Verfilmung von Thompsons lange verschollen geglaubtem Roman-Erstling ›The Rum Diary‹ einsetzte. Und so verwundert es kaum, dass Depp neben