Landt in Sicht!

Kurzprosa | Jürgen Landt: Letzter Stock im Feuer

In gewohnter Art und Weise: gerade heraus, nackt und ungeschminkt wie die Wirklichkeit bewältigt Jürgen Landt in seinem neuen Buch Letzter Stock im Feuer den Irrsinn des Alltags, des menschlichen Lebens und Erlebens. Der Zeitbogen des Erzählten spannt sich dabei über die letzten dreißig, vierzig Jahre und beginnt mitten in der DDR. Von RÜDIGER SASS

Landt
Auf fünfundsiebzig Seiten im Großoktavformat versammeln sich in Jürgen Landts Band Letzter Stock im Feuer einunddreißig dichte, verdichtete Prosatexte. Das Buch beginnt mit einer Beschreibung des Arbeitsalltags in der sogenannten DDR (»Lagerwirtschaft«), setzt sich fort mit Beobachtungen, Erfahrungen und mehr oder weniger devianten Verhaltensweisen in Geschlechterbeziehungen und öffentlichen Verkehrsmitteln (z.B. »Sitz im Kopf«), bis hin zu Befindlichkeiten und Erlebnissen in den Psychiatrien der bundesrepublikanischen Gegenwart (»So schlimm, der letzte Abend?« und »Ich war neunzig«).

Die Texte lassen sich formal in zwei Gruppen teilen: zum einen in rein erzählende Texte und zum anderen in Texte, deren Handlungsstränge von abstrakten Auf- und Abgesängen eingerahmt werden. Bei letzterem Textaufbau verwendet Landt in den Auf- und Abgesängen Signalwörter, die in den erzählenden Passagen wieder auftauchen und damit in einen Zusammenhang gebracht werden.

Landts Letzter Stock im Feuer ist alles andere als Unterhaltungsliteratur, die mal eben – sozusagen zwischen zwei Mahlzeiten – konsumiert werden sollte. Jürgen Landt schreibt nicht, um zu gefallen oder aufzufallen, er schreibt, weil er schreiben muss, um dieses dreckige Ding, das sich Dasein schimpft, bewältigen zu können: »Ich hatte einen so schönen Freitagabend gehabt, eigentlich auch ein ganz ruhiges Wochenende, nur drei Pillen abholen müssen, ab und an mein vergangenes Verlorensein vor Spielautomaten gesehen, mein allgegenwärtiges Verlorensein, meine Verlorenheit der Zukunft, hin und wieder über meine suizidalen Schübe nachdenken müssen. Was für besinnliche Stunden.« (Aus: »So schlimm, der letzte Abend?«)

Es ist nicht nur dieser besondere Landt’sche Humor, der auch negativste Sachverhalte relativiert und somit erträglicher macht, nicht nur sein einzigartiger Duktus, der unter tausend Texten auf Anhieb den »echten Landt« erkennen lässt, sondern auch die genaue Beobachtung, die bestechende Wiedergabe des Erlebten, die den Leser mitnimmt, ihn teilnehmen lässt: »Als der Mann in die Sackgasse bog, ließ der Regen nach. Nach und nach öffneten Menschen die Fenster. Gequatsche fiel auf die Straße. Spielfilmdialoge prasselten heraus. Werbegekreische hüllte sein Schlurfen ein.«

Der Mann blieb stehen, steckte sich eine Zigarette an und hörte mitten in der Nacht: „… und als ich noch im Ministerium für Kultur in unserem Berlin saß, du glaubst gar nicht, wie bettelnd Künstler nach Veröffentlichungen waren! Aber da haben wir erst mal anständig gesiebt …“ (Aus: »Im Potpourri der unerträglichen Verträglichkeit«).

Viele Texte der vorliegenden Sammlung behandeln Geschlechterbeziehungen. Jürgen Landt abstrahiert persönliches Erleben, indem seine Protagonisten in der Regel »Der Mann« und »Die Frau« heißen. Für Mann und Frau steht die Triebbefriedigung im Vordergrund. Sobald Gefühle im Spiel sind, geht die Sache schief, denn Landt führt uns Menschen vor Augen, die mit ihren Emotionen nicht umzugehen wissen und scheitern. Und durch dieses prekäre Zusammenspiel von Mann und Frau schimmern die Machtverhältnisse und Strukturen menschlicher Gesellschaften durch: »Im Fernsehen flimmerte Lilo Wanders` Wa(h)re Liebe und auf einer Segelyacht pimperte ein Kerl im Stehen von hinten eine sich krumm machende und am Geländer des Bootes klammernde Frau und winkte zeitgleich und freudig menschlichen Felsenhockern in weiter Ferne zu… « (Aus: »Das Los am Boden und anderswo«).

Literaturphilister sollten ihre Finger von Landts Texten lassen – Texte, die sich formal und inhaltlich oft auf Messers Schneide bewegen, auf grammatikalischer Gratwanderung: »In der Gützkower Straße waren die Schranken unten. Der Motor lief. Ich bekam Psychofurzen, öffnete die Fahrertür und kotzte. Der Zug kam nicht.« (Aus: »Endlich«)

Das vorliegende Buch thematisiert nichts weniger als die Grundfragen menschlichen Seins, Leben und Tod, Probleme der Vergesellschaftung, Sinnlosigkeit, Nihilismus. Landts Letzter Stock im Feuer – ein Buch für all jene, die sich für kraftvolle, authentische Literatur jenseits der herrschenden Kulturspießigkeit interessieren.

| RÜDIGER SAß

Titelangaben
Jürgen Landt: Letzter Stock im Feuer
Greifswald: Freiraum-Verlag 2014
80 Seiten. 12,95 Euro

Reinschauen
Leseprobe

1 Comment

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Schuld bleibt immer

Nächster Artikel

Die Dunkelheit unterm Zucker-Candy – Teil II

Weitere Artikel der Kategorie »Kurzprosa«

Landschaft II

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Landschaft II

Er sei neugierig geworden, sagte Farb, und habe selbst etwas über chinesische Landschaftsmalerei gelesen.

Annika lächelte. Lesen macht schlau, sagte sie und schenkte Tee nach, Yin Zhen.

Tilman blickte auf.

Sie habe sich unter der Tang-Zeit im siebten bis neunten Jahrhundert herausgebildet, sie habe ihre Blüte unter den Song und Yuan (10. Jh. bis 15. Jh.) erlebt, ihr Schwerpunkt habe sich seit Mitte des achtzehnten Jahrhunderts auf das Genre der Blumen und Vögel verlagert, und im neunzehnten Jahrhundert sei die große Landschaftsmalerei nach und nach erloschen.

Eine außergewöhnlich lange Zeit, sagte Annika.

Ihr Ende, so werde erklärt, sagte Farb, bilde den Verlust der Einheit von Natur und Kultur ab und, wenn man so wolle, ein Verschwinden der Welt überhaupt, es herrschen ungewöhnliche Zeiten.

Große Worte. sagte Annika.

Walfang

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Walfang

Wir kennen überzeugende Beispiele für erfolgreichen Rückbau.

Das wäre?

Die Historie des industriellen Walfangs.

Du redest nicht über Scammons Walfänger in der Ojo de Liebre?

Nein, Susanne, sie sitzen in ihrer Lagune, zeitlich und örtlich in weiter Ferne, es fällt ihnen leicht, über unsere Gegenwart zu reden, sie sind nicht in das aktuelle Geschehen verstrickt, ihre Existenz ist nicht durch die klimatischen Veränderungen gefährdet, und ihre Erzählung klingt, wie wenn wir über Vergangenheit reden.

Fangpause

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Fangpause

Fakt, sagte Farb, die Fangpause sei ein Fakt.

Ob sie schon in den Geschichtsbüchern verzeichnet sei, spottete Wette.
Das sei keine Frage, sagte Farb, sie sei historisch.

Gewiß, ja, sagte Wette, ein Mißgeschick beim Walfang, Scammons Boston mußte scheinbar endlos untätig in der Ojo de Liebre vor Anker liegen, denn Eldin, der Obermaat, hatte sich die Schulter verletzt, eine Schulter ist ein heikles Gelenk, ohne Schulter schleudert niemand eine Harpune.

Rausch

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Rausch

Sie wollen das Leben auskosten, spottete Wette, genießen, sagte er, bis zur bitteren Neige auskosten, wie solle das gehen.

Annika blätterte in ihrem Reisemagazin.

Tilman warf einen Blick auf das Gohliser Schlößchen.

Farb tat sich eine Pflaumenschnitte auf.

Allein der Mensch könne solche Vorsätze fassen, spottete Wette, er suche sein Leben selbst zu gestalten, die anderen Lebewesen wüßten sich in die Vorgaben der Natur zu ordnen.

Zivilisation III

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Zivilisation

Nein, unmöglich, sagte Harmat, wie solle er sich das vorstellen.

Bildoon lächelte. Zum Ende, sagte er, es gehe auf das Ende zu.

Mit Siebenmeilenstiefeln, spottete Crockeye.

Gewiß, das habe er verstanden, schön und gut, sagte Harmat, aber wie – werde da ein Gong geschlagen, eine Glocke geläutet, knipse jemand das Licht aus.

Wie aus der Ferne klang sanft das Rauschen des Ozeans.

Eldin legte einen Scheit Holz ins Feuer.