In diesem Band, der elf kurze Erzählungen der 1979 geborenen Schriftstellerin Sarah Raich versammelt, ist vieles blau: der Himmel, die Augen eines Babys und die eines Mannes, der kaum noch lebt, das Blaulicht, das ihn abholen soll, fünf leuchtende Vogeleier, die Anzeige in einem Auto, über das jemand bald die Kontrolle verlieren wird. Oft ist das Blau trügerisch, wie etwa der Himmel der – relativ kurzen – Titelgeschichte, der nur »eine Hülle zwischen ihnen und der Wirklichkeit ist, der Düsternis des Weltalls und den brennenden Sternen.« Die Frau, die in dieser Geschichte mit ihren Söhnen einen nachmittäglichen Spaziergang macht, hat sich angewöhnt, ihrem Sohn auf seine Fragen das zu antworten, »was nach den vielen Filtern, die sie für ihn zwischen ihre Gedanken und ihre Worte legt, noch übrigbleibt.« Von SIBYLLE LUITHLEN
Diese kurzen Texte sind von ausnehmender Schönheit und sprachlicher Eleganz. Sie nehmen uns fast beiläufig in sehr unterschiedliche Welten mit – ländliche und städtische, auf Autofahrten, in stille Gärten und nächtliche Wohnungen. Dabei begegnen wir vielen Frauen (auch ein paar Männern, Kindern, Tieren), die etwas suchen, eine Katze, Liebe, eine Erinnerung, einen Moment inneren Friedens oder etwas, von dem wir und vielleicht auch sie selber nicht wissen, was es ist. Es sind Frauen jeden Alters. Sie wollen glücklich sein, doch der Boden ist brüchig.
Man kann sich an Alice Munro oder Marlen Haushofer erinnert fühlen, wenn hinter den oft unspektakulären Ereignissen momentweise ein Abgrund klafft. Die äußere Welt und die Innenwelt der Protagonist*innen sind so kunstvoll miteinander verwoben, dass wir uns quasi schwebend durch diese Texte bewegen. Und so unterschiedlich sie vom Tonfall und dem Setting auch sind, so befinden sich die Figuren am Rande der Normalität, dort, wo man fallen kann: »Ein schwarzes Loch. Tiefer als die Schatten. Und sie wusste, wenn sie dorthin ging, dann war es um sie geschehen.« Das schwarze Loch, es kann überall plötzlich auftauchen.
Es gibt in Sarah Raichs Geschichten einige spektakuläre Enden, aber auch viele sehr leise. Es gibt Skizzen, in denen niemand einen Namen hat und wir die Handlung kaum verorten und andere, die etwas mehr Alltäglichkeit durchschimmern lassen. Das schöne ist: sie bleiben lange unvorhersehbar. Dabei ist ihre Sprache präzise und oft überraschend, ohne je bemüht literarisch zu sein.
Auch Glück kommt vor. Es nimmt die Form einer Kröte an, die jemand als Kind gestreichelt hat, die eines steifen Krankenhaushemdes, das sich plötzlich als ein Paar Flügel entpuppt, einer wiedergefundenen Katze, die die Besitzerin aus Gründen, an die sie sich selber nicht erinnert, Dorothy Parker genannt hat und die sie nun einfach »Miezmiez« ruft. Es kann auch der Moment sein, wo eine junge Mutter ihr Baby im Wald zurücklässt und auf eine sonnenüberflutete Lichtung tritt. An ihr Kind denkt sie als ein seltenes Tier. »Sie stellte sich vor, wie es durch das Unterholz strich, in einem Rudel, lachend. Und sie fühlte etwas, das vielleicht Glück war.« Das fühlen wir nach dieser Lektüre auch.
Titelangaben
Sarah Raich: Dieses makellose Blau
Berlin: Mikrotext 2021
120 Seiten, 14,99 Euro
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| Buchpremiere mit Sarah Raich
[…] „Diese kurzen Texte sind von ausnehmender Schönheit und sprachlicher Eleganz“, schreibt Sibylle Luithlen für das Titel Magazin über Sarah Raichs Kurzgeschichtenband Dieses makellose Blau. Da die Rezension aber auch sprachlich elegant ist, empfehlen wir die direkte Lektüre: https://titel-kulturmagazin.net/2021/05/31/kurzprosa-sarah-raich-dieses-makellose-blau/ […]