Roman | Martin Mosebach: Das Blutbuchenfest
Martin Mosebach gehört nicht zu den schrillen Stimmen im deutschsprachigen Literaturbetrieb. Der 62-jährige Frankfurter pflegt einen altbackenen, detailverliebten Erzählstil und kokettiert überdies gern mit dem ihm verliehenen Attribut des »Erzkonservativen«. Der Georg-Büchner-Preisträger legt seinen neuen Roman Das Blutbuchenfest vor. Von PETER MOHR
Als ihm 2007 etwas überraschend der Georg-Büchner-Preis verliehen wurde, rühmte die Jury: »Die Auszeichnung gilt einem Schriftsteller, der stilistische Pracht mit urwüchsiger Erzählfreude verbindet und dabei ein humoristisches Geschichtsbewusstsein beweist, das sich weit über die europäischen Kulturgrenzen hinaus erstreckt.« Sein Geschichtsbewusstsein und der ebenso gepriesene Humor erweist sich im neuen Roman Das Blutbuchenfest als zweischneidiges Schwert.
Über Humor lässt sich bekanntlich trefflich streiten. Wenn im Zusammenhang mit der Verwendung eines schweren Parfüms davon die Rede ist, dass es gut zu einer Frau passt, weil »sie selbst begann schwer zu werden«, klingt dies weder originell noch plausibel, sondern allenfalls kalauerartig.
Und auch mit dem gerühmten Geschichtsbewusstsein treibt Mosebach ein tollkühnes Spielchen. In der in den frühen 1990er Jahren angesiedelten Handlung wird fleißig via Handy telefoniert, an Laptops gewerkelt und e-mails gelesen. Sein Lektor soll ihn auf die Anachronismen hingewiesen haben, doch Mosebach hat diese Einwände (möglicherweise mit Hinweis auf die viel zitierte dichterische Freiheit) geflissentlich ignoriert.
»Frankfurt ist eine scheußliche Stadt. Sie bröselte hier regelrecht auseinander«, ließ uns Mosebach bereits 2007 in seinem Roman Der Mond und das Mädchen wissen. Und Frankfurt ist – wie kaum anders zu erwarten – wieder der Haupthandlungsschauplatz. Mosebach macht uns mit einem Haufen gut betuchter, charakterlich höchst unterschiedlich »gestrickter« Zeitgenossen aus dem Westend bekannt.
Da ist der umtriebige Wereschnikow, der einen Jugoslawienkongress zum Thema »die Würde in den verschiedenen Balkan-Kulturen« plant, der übergewichtige Immobilienmogul Breegen, der chronisch bankrotte Rotzoff, die PR-Strategin Markies, und dazwischen tummelt sich der nicht unintelligente Ich-Erzähler Glück, ein promovierter Kunsthistoriker, der sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser hält und eigentlich überhaupt nicht in das Beziehungsgeflecht der übrigen, leicht halbseidenen Figuren passt.
Als Bindeglieder zwischen den um Macht, Frauen und Profit streitenden Männern treten gleich zwei Frauen auf: Marusha, die Geliebte von Breegen und Wereschnikow, sowie Ivana, die aus Bosnien stammende Putzfrau, welche die Anwesen sämtlicher Figuren vom Wohlstandsmüll befreit und von deren mädchenhafter Erscheinung sich kurzzeitig sogar der eher blasse Ich-Erzähler betören ließ.
Martin Mosebach, den eine Art Hassliebe mit seiner Heimatstadt Frankfurt zu verbinden scheint, demaskiert hier schonungslos den moralischen Verfall in den Kreisen der Upper Tens. Der großspurige Nichtsnutz Rotzoff veranstaltet in seinem Garten ein großes gesellschaftliches Event im Schatten einer großen roten Buche und kassiert dafür horrende Eintrittspreise, mit denen er seine Schulden im Stammlokal begleichen will. Der traurige Höhepunkt des dekadenten Treibens wird erreicht, als eine Frau auf der Party tot zusammenbricht und die Kellner die Leiche diskret verschwinden lassen – ganz nach dem Motto: The show must go on.
Mitten in diesem zynischen Treiben befindet sich die Putzfrau Ivana, die zur gleichen Zeit (übrigens per Handy) erfährt, dass der Krieg in ihrer Heimat fürchterliche Ausmaße angenommen hat. Sie hat alles verloren: ihr Kind, ihre Familie, ihre Heimat und ihren Respekt vor den Menschen – in Bosnien wie in Deutschland. »Die Liebe war höchstens für eine Weile ebenso stark wie der Tod, aber zum Schluss war der Tod der Stärkere«, heißt es in diesem beklemmenden Roman, der trotz der eigenwillig-artifiziellen Sprache und der von Mosebach ignorierten Anachronismen nicht nur wegen des tragikomischen Finales unter die Haut geht. Ivana macht sich am Ende auf, um den hinterlassenen Müll der Rotzoff-Party zu beseitigen.
Titelangaben:
Martin Mosebach: Das Blutbuchenfest
München: Carl Hanser Verlag 2014
445 Seiten. 24,90 Euro
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