Kunterbunt und einfallsreich

Kinderbuch | Es war einmal ein Rabe … Kinder illustrieren Brecht

Dass Bertolt Brecht Gedichte »zum Hausgebrauch« geschrieben hat, gehört immer noch zu den weniger bekannten Fakten über diesen Schriftsteller. Hin und wieder gibt es Ausgaben davon, gezielt für ein kindliches Publikum, waren doch seine eigenen Kinder die ersten, die in den Genuss dieser Texte kamen. Zum Brechtfestival 2014 in Augsburg habe sich die Veranstalterinnen etwas Besonderes einfallen lassen. Es gab einen Aufruf an Schulklassen, Bilder zu Brechts Kindergedichten zu malen. Herausgekommen ist ein wunderschönes kunterbuntes und sehr einfallsreiches Bilderbuch, Es war einmal ein Rabe … Kinder illustrieren Brecht. Von MAGALI HEISSLER

Es war ein mal ein RabeBrechts Gedichte entstanden zwischen 1934 und den späten 1950er Jahren. In ihnen zeigt er sich mit seinem ganzen Sinn für Unsinn und Hintersinn, Unfug, reinem Spaß. Deutlich werden aber auch seine Sprachkunst und seine handwerklichen Fähigkeiten. Bei allem Nonsens sind die Gedichte immer Gedichte, nicht nur Reimereien, schnell zusammengebastelt für einen Lacher und dann ebenso schnell vergessen.
Den meisten ist darüber hinaus ein politischer Sinn entweder unterlegt oder direkt gegeben. Da Brechts ideologische Ausrichtung eindeutig ist, mag das mancher Leserin aufgesetzt vorkommen. Sie übersehen, dass Kindergedichte immer auch erzieherische Mittel waren. Gleich, ob Mutter weinte, weil sie kein Hänschen mehr hat, ob »Wer will unter die Soldaten, der muss haben ein Gewehr« oder Christkind und Schutzengel berufen wurden, sie prägten spielerisch ihre jungen Leserinnen – und Zuhörerinnenschaft. Wer Brechts Gedichten für Kinder deswegen ausweicht, verpasst viel Buntes, Interessantes, Neues. Aktuell sind die Texte immer noch.

Neugierig machen

Das ausführliche Vorwort des Buchs informiert über die Entstehung. Überraschend ist die Auswahl der Altersklasse, die Ausschreibung richtet sich an recht junge Kinder, ca. Acht – bis Zwölfjährige. Offenbar waren die Veranstalterinnen nicht nur wegen eines befürchteten schwachen Rücklaufs besorgt, sondern auch wegen einer möglicherweise geschwundenen Verständlichkeit der Texte. Ein Arbeitsblatt für Lehrerinnen und Lehrer wurde entworfen und mitgeschickt. Das Ergebnis war unerwartet überwältigend, zahlenmäßig und auch in der Qualität der Bilder. Von gut 1400 Einsendungen wurden 56 zum Druck ausgewählt.
Sie bestechen durch Originalität sowohl in den gewählten Techniken als auch mancher Auslegung. Verwendet wurden, Farbstifte, Filzstifte, Wachsmalkreiden, es gibt Collagen, Drucke, Linolschnitte. Comics, Bilderfolgen, Einzelzeichnungen, mal eine Geschichte von zwei Seiten gezeigt.
Der dazugehörige Text wird jeweils dazu abgedruckt. Entstanden ist allerdings keine Gesamtausgabe der Kindergedichte, sondern eine Auswahl, ebenso so bunt, wie die dazugehörigen Bilder. Das Ganze ist also eher eine Einführung, ein neugierig machen.
Da liegt der Junge, der sich nicht waschen will und dem, o, Schreck?, ein Pflaumenbaum aus dem Ohr wächst. Onkel Edes Schnurrbarthaare tragen Namen. Vögel bitten Im Winter um Futter, das Kamel aus Posemuckel begegnet dem Buckligen, neugieriges Lieschen findet sein Radieschen. Das Klavier ist hier ein ausgewachsener Flügel und Lieschens Freude teilt sich der Betrachterin mit, so klar sind die Kontraste schwarz und rot gesetzt. Gemalt hat es eine Fünftklässlerin mit Buntstiften.

Viel zu sehen, viel zu denken

Die Nonsens-Gedicht haben es den Kindern sichtlich angetan, sie entwickeln beträchtliche gestalterische Fantasie bis ins kleinste Detail. Das Huhn, das sich ein Gebiss kauft, sitzt in einer Zahnarztpraxis von beeindruckendem Realismus, bis hin zum Garderobenhaken, an dem auch das Hütchen des Huhns hängt. Das ist ein Ausschnitt aus einem Comic, den man gern in Gänze bewundern würde. Das einbeinige Schwein sitzt weinend in den Veilchen, eine andere Ausführung zeigt es, wie es in rasender Fahrt auf die Veilchen zusaust. Spannung pur. Und von einem Lila!
Vorlage waren nicht nur lustige, sondern auch politische Gedichte, Bitten der Kinder, etwa, von dem eine Elfjährige eine friedliche, bunte und eine erschreckende Version gemalt hat, Letztere folgerichtig schwarz-weiß.
Dazu genommen wurden aber auch »große Texte«, wie die Moritat von Mackie Messer und die Fragen eines lesenden Arbeiters. Von Letzterem ist nur ein Ausschnitt eines Gesamtwerks einer Schulklasse abgebildet, man würde zu gern den Rest sehen, es ist faszinierend. Beeindruckend sind die Darstellungen von Mackie Messer und seinen Untaten allesamt, Dramatik, Grausen, vielfarbig oder braun-weiß-schwarz, von großer Wirkungskraft.

Das ist ein gelungenes Buch, eine gelungene Werkschau, obwohl sie vom Umfang her mehr als beschränkt ist. Das Ganze ist auch nur broschiert, aber so fest gebunden, dass es häufiges Blättern gut aushält. Und man blättert häufig, es gibt soviel zu entdecken und zu staunen hier, für Kinder und Erwachsene.

| MAGALI HEISSLER

Titelangaben
Es war einmal ein Rabe … Kinder illustrieren Brecht
Augsburg: Wißner 2014
96 Seiten. 9,80 Euro
Bilderbuch ab 5 Jahren

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