Keine neoromantische Gleitcreme!

Musik | Toms Plattencheck

La Freiheit des Geistes von Die Partei ist nicht der Soundtrack zur Europawahl der Partei um Martin Sonneborn und ›Titanic‹, sondern (das nun wiederveröffentlichte) Ergebnis des Zusammentreffens von Tom Dokoupil (The Wirtschaftswunder) und des Musikers, Künstlers und Beuys-Schülers Walter Dahn. TOM ASAM erläutert die Unterschiede!

Die FreiheitDie beiden trafen sich an einem Wochenende des Jahres 1981, um das Album La Freiheit des Geistes aufzunehmen. Es ist ein Synthie-Pop-Album der besonderen Art, das (von sporadisch eingestreuten Filmzitaten abgesehen) auf Stimmen verzichtet und Instrumente wie Gitarre, Trompete und Saxophon sanft, fast unmerklich, integriert. La Freiheit ist ein Spiel mit Gegensätzen wie Gut und Böse bzw. schlecht und hässlich. Das fängt beim Bandnamen und dem Cover an. Die Vorderseite der Platte zeigt ein Werk des neoklassizistischen Bildhauers Arno Breker, der wegen seiner Bedeutung für die Kunst des Nationalsozialismus umstritten war. Eine Monumentalfigur des Künstlers, den Dali »genial« nannte, mit dem Titel ›Fackelträger‹ wurde von Hitler umbenannt in: ›Die Partei‹! Die Cover-Rückseite ist im Kontrast quietschbunt. Die Musik pendelt zwischen »schön…malerisch…keine neoromantische Gleitcreme…« (Frank APunkt Schneider) und hektisch, unruhig. Die Pole tanzbar/begleitend stehen sich ebenso gegenüber wie Songtitel: Böse Träume / Allerheiligen, Föhn in den Bergen / Strahlsund. Einflüsse kann man hier erahnen von NEU!s Dynamik bis zu End-70er Kraftwerk– Schönheit, von Roedelius´ romantischer Ader auf reduzierten Soloalben und bei Harmonia bis zu Yellos schillernder Prägnanz. Nicht nur ein schöner Aufruf, die Freiheit des Geistes zu vergegenwärtigen, sondern auch nachdenklich machend im Sinne von: Was kann an gegenwärtiger Musik aus Deutschland anstinken gegen diese an zwei Tagen von zwei Menschen im Jahr 1981 rausgehauene Werk?

Thus-owlsVorsicht bei tierischen Bandnamen. Da haben wir etwa Owl, She Owl – und auch Thus Owls. Das Tierchen, das mal als weise, mal als Glücksbringer – oft aber auch als Hexen- und Teufelsvogel gilt, bietet halt jede Menge Projektionsfläche. Das dritte Album von This Owls besteht im Kern aus der schwedischen Sängerin Erika Angell und dem kanadischen Gitarristen Simon Angell, die auch im richtigen Leben ein Paar sind. Auf Turning Rock finden sich Bezüge von Joni Mitchell über Kate Bush bis Björk, was den Umgang mit Angells Stimme anbelangt; auch die Bandbreite von Folk bis zur Betonung klanglicher Aspekte findet sich hier. Das Album ist einerseits einer Erzähltradition verbunden, in dem sich die Songs auf Geschichten beziehen, die sich in mehreren Generationen in Angells Familie ereigneten.
Schauplatz der Erzählungen ist ein Ferienhäuschen auf der schwedischen Insel Orust. Andererseits spielen Sound und Produktion eine deutliche Rolle. Die Begeisterung für 60s Vintage Gear teilen die beiden Eulen mit ihrem Tastenmann Park Shper, der Farfisa und Wurlitzer einsetzt. Die Flucht in schön ausstaffierte Huldigungen der Familienidylle findet hier allerdings nicht statt. Themen und Stimmung sind durchaus nachdenklich und mehrschichtig. Bloody War erzählt vom einsamen Kampf gegen das Altern, der jedem bevorsteht, Smoke like birds erinnert an brennende Schiffe im Zweiten Weltkrieg, während Ropes sich mit Zukunftsentwürfen nach einer möglichen Auflösung zwischenmenschlicher Bande beschäftigt. Diese Eulen sind kein Hexenwerk, allerdings weise Musiker, die handwerkliches Können und menschliche Tiefe in die richtige Balance bringen.

AmatorskiIrgendwie verortet man auch die Band Amatorski in kühleren, nördlichen Gefilden. Das liegt zum einen natürlich am Bandnamen, zum anderen an ihren hypnotischen Popminiaturen, die – wie das Cover ihres zweiten Albums From clay to figures – verschneite Weite und frostig-schöne Melancholie impliziert. Aber tatsächlich kommen Amatorski aus Belgien. Der Lehm aus dem sie ihre Figürchen formen ist schwer zu fassen, vermischen sie doch Gitarre, Piano, Keyboardflächen und Bläser zu einem stets changierenden, aber stimmigen, hypnotischen Ganzen. Weder die zarte Stimme von Inne Eysermann, die an die ein oder andere nordische Folk-Pop Sängerin erinnert, wird zu sehr in den Mittelpunkt gestellt, noch die Weite evozierenden Soundscapes. So berühren einen die Songs zwischen den Polen emotionaler Personalität und kühler, beinahe-orchestraler Eleganz in der Nähe zu Postrock. Der Versuch der Quadratur des Kreises gelingt Amatorski deutlich besser, als einem Großteil von Bands, die in ähnlichen Gewässern fischen. Vögel spielen übrigens auch hier eine Rolle: Sowohl wild birds als auch tiny birds können als Anspieltipps herhalten, ebenso Warsawa, ein Titel, der wohl weniger auf die polnische Stadt verweist, als auf die Stimmung der zweiten Seite des von David Bowies mit Brian Eno geschaffenen Albums Low, die vom gleichnamigen (Warsawa)-Song, eröffnet wird.

Todd-Terje-Its-Album-TimeZurück zu den echten Nordländern. Produzent Todd Terje vertritt seit Jahren mit seinen Landsleuten Lindstrom und Prins Thomas eine verspielte Art von Clubmusik zwischen House, NuDisco und Pop. Nach Remix- Fingerzeigen für so unterschiedliche wie erfolgreiche Künstler wie Hot Chip, Brian Ferry oder Franz Ferdinand, heißt es nun auch für Todd Terje: It´s Album Time! Ein Titel, der wie auch bei Lindstrom (Smallhans, Six Cups of Rebel) zeigt, dass bei allem Pop-Checkertum und nerdigem Zitieren eines nicht auf der Strecke bleiben darf: der Spaß! Den haben wir an der Strandbar, wo es housig gechillt zur Sache geht oder mit Inspektor Norse, der wohl über die Spur der Merricks den Weg ins Schwabilon sucht, um den Sound of Munich zu feiern. An anderen Stellen geht es von Krautanleihen über Jean Michel-Jarre Gedächtniswehen bis hin zum etwas übertriebenen Jazz-fusion-Gestus. Und dann haben wir da mittendrin eine Coverversion von Robert Palmers Johnny and Mary – mit Brian Ferry am Mikro und an den Tasten! »Ein abwechslungsreiches Potpourri der guten Laune für die erste Grillparty des Jahres« wäre da vielleicht der passende Kaufanreiz.

| TOM ASAM

Titelangaben
Die Partei: La Freiheit des Geistes – Bureau B / Indigo
Thus Owls: Turning Rocks – Secret City Records / Rough Trade
Amatorski: From clay to figures –Ceammed Discs / Indigo
Todd Terje: It´s Album Time – Kobalt / losen Records / RTD

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Frisch gezeichnet aus Bangalore

Nächster Artikel

Radikal die Flügel gestutzt

Weitere Artikel der Kategorie »Platte«

Folkdays aren’t over – »Hommage to an endangered treasure«

Musik | »Hommage to an endangered treasure« – Martina Eisenreich mit ›Rainforest‹ Die Münchner Multiinstrumentalistin und Komponistin Martina Eisenreich arbeitet crossovernd für Hörspiel und Bühne. Mit ihrer CD-Veröffentlichungsreihe ›Schöne Töne‹ hat Eisenreich nach ›Inka Moods‹ nun ein Konzeptalbum zum Thema Regenwald mit Quadro Nuevo, Elbtonal Percussion, Martin Kälberer, Lisa Wahlandt und anderen, insgesamt mehr als ein Dutzend World Music-Künstlern, eingespielt. Von TINA KAROLINA STAUNER

Underworld – Barbara Barbara, we face a shining future: Album review

Music | Bittles’ Magazine: The music column from the end of the world After almost three decades in the music business electronic duo Underworld have been reasonably quiet of late. Yet, even though there has been no new Underworld material in the last six years, neither of the duo have been sitting around twiddling their thumbs. Vocalist Karl Hyde has released a pair of albums with ambient icon Brian Eno as well as his debut solo LP Edgeland. Rick Smith, meanwhile has scored both Danny Boyle’s acclaimed Frankenstein production and the film Trance. Together they also directed the music for

Bunter Stilmix

Musik | Gabby Young and other animals: The band called out for more Der Bandname deutet schon auf den britischen Humor hin, mit dem die Exzentrikerin Young auch ihr zweites, buntes Album fein abschmeckt. Von TOM ASAM

Sweet Beats And Christmas Cheer: December New Album Reviews

Music | Bittles’ Magazine: The music column from the end of the world With the temperature getting colder and snow in the air, what is better than gathering the family around the fire and listening to some tunes? Dad wants the Beatles, Mum Take That, while the kids demand One Direction and Thirty Seconds To Mars. But what you need is something all the family can enjoy! By JOHN BITTLES

Sweet fruit once bit me

Musik | Loving: Loving Wenn Syd Barrett und Alex Brettin zusammen, frisch verlassen, in den Strawberry Fields liegen und träumen würden, hätten sie wahrscheinlich das gleiche Ergebnis erzielt: Das Album ›Loving‹ der gleichnamigen Band ist eine psychedelische Frühstücksmelancholie. MARC HOINKIS trank seinen Kaffee dazu.