//

Im Holzkrug geht die Post ab

Film | Im TV: TATORT (RB) – Hochzeitsnacht (20.04.2014; Wh. vom 16.09.2012)

Das mögen wir. Rainer rockt die Hochzeitsfeier. Aber erst einmal liegt im Herbstlaub eine Leiche engelgleich quer auf dem Bildschirm. Der Vorspann zeigt weitere hübsche Bilder ohne Fehl und Tadel. Sie werden von einfühlsam zarten Tonfolgen untermalt, und über den gesamten Film wird Musik (Stefan Hansen) erfreulich dezent eingesetzt. Der liebliche Vorspann täuscht: Im »Holzkrug« geht die Post ab. Zu »Liebe ohne Leiden« taut endlich sogar Inga Lürsen (Sabine Postel) auf, die mit ihrem Kollegen Stedefreund (Oliver Mommsen) zu den geladenen Gästen gehört. Stimmungsvoll und hanebüchen – so kündigt sich Unheil an. Von WOLF SENFF

Tatort Hochzeitsnacht Foto: RB / Jörg Landsberg
Tatort Hochzeitsnacht
Foto: RB / Jörg Landsberg

Nein, zart und feierlich, so soll es nicht bleiben. Zwei maskierte Männer stürmen die ländliche Feier, während noch vergnügt »Polonaise Blankenese« getanzt wird. Das Publikum ist gehörig schockiert, der Film zeigt unversehens Heulen und Zähneklappern – welch abwechslungsreiches Spektakel (Regie: Florian Baxmeier)!

Doch bald ist klar: Der Überfall ist eine unprofessionelle Aktion inklusive Kontrollverlust und reichlich Gebrüll opn Dörp, man wundert sich sehr (Buch: Jochen Greve). Dieser Teil des Films ist für Genießer: Paul der Hund folgt einer unbestimmbaren Fährte, Kommissar Stedefreund zeigt viel hosenloses Bein, und überhaupt ist angesagt: nachts kracht’s. Eigentlich eher unglaubwürdig, aber eben doch: So tobt das Leben, und alles wird so was von heftig erzählt. Wir freuen uns und speichern das als norddeutschen Humor.

Nach und nach schält sich heraus, dass es einem der beiden Männer – dem verlassenen Liebhaber Wolf Koschwitz (Denis Moschitto) – darum geht, den Tod der Dorfschönheit Carola aufzuklären. Nun setzt gewissermaßen der seriöse Teil ein. Wir erleben, wie Inga Lürsen inmitten der völlig aufgelösten Hochzeitsgesellschaft nach und nach die Initiative ergreift – einfach schön, wie unangestrengt ihr das gelingt und mit wie reduziert mimischem Aufwand. Derweil stochert ihr Kollege immer noch hosenlos im Nebel, die Kommissare suchen Kontakt via sms. Nein, nein, kein Durcheinander, sondern eine souverän sortierte Handlung. Wie gesagt: nachts kracht’s.

Die Aufklärung – man bewundert die Präzision in diesem Tohuwabohu – wird geradezu klassisch inszeniert. »Wer redet, kann gehen.« Einer nach dem anderen werden die Verdächtigen angehört, sehr individuelle Charaktere, überzeugend besetzt: vom stotternden Oswald (Michael Witte) über Carolas Mutter (Marion Breckwoldt), den Brautvater Hans Strache (Tobias Langhoff) bis hin zu »Oma« (Barbara Nüsse) und Rockin‘ Rainer (Timo Jacobs). Die Reihe glänzt.

Im dritten Abschnitt wird draufgesattelt, die mobile Einsatztruppe tritt auf. Viel hilft viel, man kennt diese hohlen Sprüche. Solche Mammuteinsätze sind nur noch Schenkelklopfer, bestenfalls Langweiler. All diesen geldfressenden Hochrüstungswahn, sei’s bei der Polizei, sei’s in Afghanistan – den kannst du vergessen. »Sie machen’s nur schlimmer.«

Der Zuschauer bleibt jedoch neugierig, wann die Truppe nun endlich losschlägt und wer oder was dabei platt gewalzt wird. Im »Holzkrug« bricht Feuer aus. An dieser Spannung wird noch ein wenig gedreht; unterhaltsam und lehrreich ist auch das gestörte Verhältnis zwischen Stedefreund und dem muffeligen Einsatztruppeneinsatzleiter: ein »Vollidiot« – auch das, zum treffenden Zeitpunkt geäußert, ist Humor vom Feinsten. Man kann nur wünschen, dass dieses Niveau gehalten wird.

| WOLF SENFF

Titelangaben
TATORT: Hochzeitsfeier (Radio Bremen)
Regie: Florian Baxmeyer
Ermittler: Inga Lürsen, Oliver Mommsen
So., 16.9.12, ARD, 20:15 Uhr

Reinschauen
| Alle Sendetermine und Online-Abruf auf DasErste.de
| Gregor Keuschnig zu Rüdiger Dingemann: »Tatort«-Lexikon
| Rüdiger Dingemann: »Tatort«-Lexikon (eBook)

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Unter der Rachsucht: Verzweiflung

Nächster Artikel

Grundsätzliches

Weitere Artikel der Kategorie »Film«

Interview: Normalität als ein Fake

Interview | Japan Film-Fest Hamburg: Kotaro Ikawa (Tokyo/Lovers, Japan 2013) Der Film ›Tokyo/Lovers‹ entspricht nicht den im Westen geläufigen Genres japanischen Filmemachens. WOLF SENFF sprach mit Regisseur Kotaro Ikawa über Genrekonventionen, Poesie und Atomkraft.

Ein neues Ermittlerduo

Film | Im TV: ›TATORT‹ Das Muli (RBB), 22. März Jo – Johanna Michels – irrt desorientiert in der Stadt umher und ruft verzweifelt ihren Bruder Ronny an. Nina Rubin, neue Ermittlerfigur, verlässt die Disco und es kommt zu einem derben Akt in einem dunklen Gang. Nein, der Ehemann war’s nicht. Robert Karow, ebenfalls neue Ermittlerfigur, betrachtet nachdenklich eine Leiche am Ufer der Spree. Anschließend folgen wir der Tatortsicherung an einer blutverschmierten Badewanne. Von WOLF SENFF

Die verunglückte Hochzeit oder Hohe Zeit für Liebe

Film | Im Kino: Edward Yang: ›Yi Yi‹

Der englische Titel ›A One and a Two‹ klingt ein wenig nach den Zahlenspielereien Peter Greenaways und der chinesische nach einem »Ja Ja«. Nichts davon stimmt. Der jüngste Film des 1947 in Shanghai zwar geborenen, aber in Taiwan aufgewachsenen Edward Yang ist ein aufgeblättertes Familien-Album vielfacher Gleichzeitigkeiten im heutigen Taipeh. Von WOLFRAM SCHÜTTE

Tyrannische Macht- besessenheit

Film | Serie | Neu auf DVD: House of Cards. Staffel 4 In den USA geht der Machtkampf um das Weiße Haus auf die Zielgerade. Passend dazu bringt Sony Pictures die vierte Staffel der Netflix-Original-Serie House of Cards auf DVD und Blu-Ray heraus. Darin kehrt Präsident Francis Underwood auf die Bildschirme zurück – und zeigt auf, wie einfach es ist, die amerikanische Demokratie ins Chaos zu stürzen. TOBIAS KISLING über die neue Staffel der Polit-Serie.

»Heftige Gefühle entwickeln«

Menschen | Zum Tod des Filmregisseurs Joseph Vilsmaier »Das Filmen ist nicht nur mein Beruf, es ist auch mein Hobby, seit ich 14 bin. Da kommt also alles zusammen. Das versuche ich so gut wie möglich zu machen“, hatte Joseph Vilsmaier vor knapp drei Jahren rückblickend in einem Interview bekannt. Von PETER MOHR