Bloß keine Skrupel

Kinderbuch | Levi Henriksen: Astrids Plan vom großen Glück

Dass man mit Gegebenem nicht zufrieden ist, kommt häufig vor. Dass man das Gegebene gezielt ändert, um wieder glücklich zu werden, ist weit seltener. Neben der Bequemlichkeit stehen auch Skrupel im Weg, und zwar desto mehr, je älter man ist. Mangelnde Lebenserfahrung dagegen macht manches leichter. Das zumindest meint Levi Henriksen in Astrids Plan vom großen Glück. Ob das gut gehen kann? Von MAGALI HEISSLER

Astrids Plan vom grossen GlueckAstrid ist elf Jahre alt und lebt unter unzumutbaren Umständen. Findet Astrid. Ihre Eltern haben sich getrennt und neue Lieben gefunden. Bei Papa ist das Pony-Pia, für Mama kam der Dummkopf. Natürlich heißen die Neuen nicht so, aber Astrid hat keine Skrupel, das, was ihr nicht passt, beim Namen zu nennen. Abwechselnd in veränderten Familienzusammenhängen Familie spielen ist eben alles andere als lustig, da können die Erwachsenen erzählen, was sie wollen. Ein elfjähriges Kind hat auch nur begrenzt Geduld. Vor allem, wenn es die Sache grundverkehrt findet. Mama und Papa gehören zusammen, basta!

Weder die Eltern noch die Neuen im Leben von Mama und Papa sind bereit, Astrids Standpunkt zu akzeptieren. Genug der Worte, also, meint Astrid. Nun müssen Taten sprechen. Die Neuen müssen weg, die Eltern wieder zusammengebracht werden. Die herannahenden Ferien bieten eine großartige Gelegenheit dazu. Astrid hat einen Plan entwickelt. Ab dem Moment, in dem sie ihn in die Tat umsetzt, ist die Welt ein noch unsicherer Ort geworden, als sie ohnehin schon ist. Als die Erwachsenen das merken, ist die Katastrophe schon am Kochen. Auch für Astrid. Denn der beste Plan ist nicht gut genug für die Wechselfälle des Lebens, egal, ob man Mitte dreißig oder erst elf ist.

Kriminelle Energie

Levi Henriksen zeichnet seine kleine Protagonistin als überaus lebhaftes Mädchen. Astrid erzählt selbst und erzählen tut sie unablässig. Das ist kein Selbstzweck, das Reden übertönt ihre Zweifel, verbirgt ihre Unsicherheit und vor allem die Wunden, die die Trennung der Eltern geschlagen haben. Als Leserin erfahren wir alles von ihrer Umgebung, von den Menschen um Astrid herum und was ihr so in den Kopf schießt. Astrid ist Sammlerin jener Wissensbrocken, die für sich genommen völlig unnötig sind, aber jederzeit verblüffen und bestens unterhalten. Vor allem aber kann man beim Lesen Astrids Plan Schritt für Schritt folgen.
Der Plan ist haarsträubend. Henriksen lässt Astrid eine am Alter gemessen erstaunliche kriminelle Energie entwickeln. Das liest sich streckenweise atemberaubend. Vom Einbruch über viele, viele Lügen, mehrfachem Diebstahl bis hin zu Körperverletzung ist alles vorhanden. Es ist ein einziges großes Abenteuer von umwerfendem Tempo. Astrid schreckt vor nichts zurück, auch wenn sie hin und wieder mit Skrupeln zu kämpfen hat, immerhin. Einem gewissen Charme aber kann man sich als Leserin nur schwer entziehen.

Heiligt der Zweck die Mittel?

Der wilde Plan gelingt zunächst durchaus, die zerstrittenen Eltern finden sich samt Astrid zusammen am Zielort. Doch dann geht einiges schief und zu allem Unglück geraten die Drei unerwartet in eine Gefahr, die sich ohne Hilfe nicht bannen lässt. Henriksen hat aber auch für Hilfe gesorgt, genauso unerwartet, wie zuvor die Gefahrensituation.
Der Handlungsablauf ist sehr spannend, auch die unwahrscheinlichen Entwicklungen sind überzeugend eingebaut. Was im zweiten Teil des Buchs eher stört, sind christlich-religiöse Versatzstücke in Verbindung mit dem propagierten Grundsatz, dass der Zweck die Mittel heiligt. Diese Botschaft ist ausgerechnet in einem Kinderbuch nicht gerade eine frohe, zumal die kleine Heldin beträchtlichen Schaden anrichtet. Dass Mamas neuer Lebensgefährte körperlich verletzt wird und kaum mehr als ein gezwungenes »Entschuldigung« von der Schuldigen hört, dass Papas Lebensgefährtin bestohlen wird und im Weiteren gar nicht mehr vorkommt, bekommt so den unangenehmen Beigeschmack von Bestrafung für Ehebruch.
Der Spruch »Der Zweck heiligt die Mittel« ist in jedem Kontext eine mehr als gefährliche Behauptung, in einem Kinderbuch sollte sie so naiv nicht auftauchen. Die Schieflage wird nicht gemindert dadurch, dass Astrid eine wesentliche Unterstützung in einer hochgefährlichen Situation am Ende noch auf ein Eingreifen des Himmels zurückführen darf. Ihre wenig schönen Mittel werden damit tatsächlich geheiligt.

Ein tolles Action-Abenteuer mit einer toughen Heldin, ein wunderschön aufgemachtes und sogar mit Lesebändchen ausgestattetes Buch, allerdings leider mit einer Botschaft, die man nicht rundum begrüßen kann.

| MAGALI HEISSLER

Titelangaben
Levi Henriksen: Astrids Plan vom großen Glück
(Engelen in Djevelgapet, 2012) Aus dem Norwegischen von Angelika Kutsch
München: dtv Junior 2014
250 Seiten, 12,95 Euro
Kinderbuch ab 10 Jahren

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