/

Schlagzeilen mache ich nicht

Kurzprosa | Volker Braun: Werktage. Arbeitsbuch 1990-2008

»Ich kann sagen, was ich will, Schlagzeilen mache ich nicht«, notierte Volker Braun in seinem nun erschienenen opulenten poetischen Tagebuch aus den Jahren zwischen 1990 und 2008. In diesen Werktagen offenbart sich eine bisher kaum beachtete Facette in Brauns Arbeiten: der feinsinnige Humor und seine Neigung zur subtilen Selbstironie. Zum 75. Geburtstag von Georg-Büchner-Preisträger Volker Braun am 7. Mai* – Von PETER MOHR
Braun
Volker Braun hat stets die leisen Töne bevorzugt, das klassenkämpferische verbale Gepolter war nie seine Sache: kluge philosophische Sentenzen hat er stets gepaart mit einem untrüglichen Gespür für gesellschaftliche Veränderungen – zuletzt in Machwerk oder Das Schichtbuch des Flick von Lauchhammer (2008). Darin setzte er sich mit den gravierenden Veränderungen im Arbeitsalltag und dem Verschwinden vieler industrieller Arbeitsprozesse auseinander.

Als ihm 2000 der Georg-Büchner-Preis verliehen wurde, erklärte Braun: »Büchner war für mich bald nach Beginn meines ernsthaften Schreibens die Autorität überhaupt. Er war ein Maß und eine Herausforderung.« Den revolutionären Furor Büchners sucht man in Brauns Werken jedoch vergeblich, und dennoch finden sich in seinen Werken Spuren großer Dichtkunst, die von Schiller über Tschechow bis Brecht reichen.

Volker Braun, der heute* vor 75 Jahren in Dresden geboren wurde, arbeitete vor seinem Philosophiestudium in einer Druckerei und im Tiefbau. Seine ersten künstlerischen Meriten erwarb er 1965 (auf Empfehlung von Helene Weigel) als Dramaturg am Berliner Ensemble. Unzählige Theaterstücke, Lyrik- und Prosabände hat er zu DDR-Zeiten veröffentlicht und war einer der hochdekorierten Autoren des sozialistischen Staates (Heinrich-Heine Preis, Heinrich-Mann-Preis, Nationalpreis 1. Klasse).

Dabei war Volker Braun weder ein staatstragender Dichter noch gehörte er zu den lautstarken Dissidenten. »Ich glaube, die Schwierigkeiten, die man hatte, hat man sich selbst an den Hals geholt – durch die Wahl der Stoffe und durch die Art, sie zuzuspitzen und zu schärfen«, bemerkte Braun im Rückblick auf die DDR-Zeit. Ähnlich wie Stefan Heym glaubte er lange an einen dritten Weg, an einen Sozialismus mit menschlichem Antlitz.

Zwei Jahrzehnte lang haben Volker Brauns literarische Figuren »Hinze und Kunze« die DDR-Kulturzensoren beschäftigt. Neun Stasi-Offiziere und 32 Informanten sollen sich um den Schriftsteller »gekümmert« haben, nachdem aus dem 1968 uraufgeführten Stück Hans Faust 1973 die überarbeitete Bühnenfassung Hinze und Kunze erschienen war, in dem sich der Bauarbeiter Hinze auf einen Pakt mit dem Parteisekretär Kunze (eine Art sozialistischer Mephisto) einlässt und Karriere macht.

Ein widerwilliges Arrangement, denn Hinze hat die Schwächen des Systems erkannt und durchschaut. Zugespitzt brachte Braun, dem es ähnlich wie seiner Figur Hinze erging, 1983 die Berichte von Hinze und Kunze in Prosaform heraus. Es waren Texte, die stark an Brechts Keuner-Geschichten erinnerten und in denen die Widersprüche zwischen Herr und Knecht, Macht und Ohnmacht und Mann und Frau thematisiert wurden.

Zwei Jahre später ließ er die beiden Paradefiguren noch einmal in einem Roman wieder aufleben, und aus der zeitlichen Distanz lässt sich heute konstatieren, dass Volker Braun mit »Hinze« und »Kunze« die Mechanismen des Sozialismus viel präziser und subtiler demaskiert hat als alle stimmgewaltigen Systemkritiker zusammen. Erst vier Jahre nach der Veröffentlichung im Westen konnte das Buch auch in der DDR erscheinen. Auch sein Theaterstück Die Übergangsgesellschaft (1988) präsentiert diese meisterhafte Mischung aus Poesie und Gesellschaftsanalyse.

Auch nach der Wende blieb Volker Braun bei den leisen, bedächtigen Tönen. Zwar mahnte auch er einen langsameren Übergang an, aber seine Stimme war frei von jedweder »Ostalgie«: »Wir haben doch nichts verloren, wir haben eine Welt, in der wir uns befinden und in der wir uns immer befanden. Wir haben jetzt vielleicht eine andere Erfahrung«, erklärte der Autor im Jahr 2000 in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau. Vor zehn Jahren war Braun noch einmal ein ganz großer Wurf gelungen – mit dem schmalen Prosastück Das unbesetzte Gebiet.

| PETER MOHR

Literaturangaben:
Volker Braun: Werktage
Arbeitsbuch 1990-2008
Berlin: Suhrkamp Verlag 2014
999 Seiten. 39,95 Euro

Reinschauen
Leseprobe
Volker Braun in TITEL-Kulturmagazin

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Unsicherheit garantiert

Nächster Artikel

The deadly threat of friendly Euro fire

Weitere Artikel der Kategorie »Kurzprosa«

Wenn die Mitte im Osten liegt

Kurzprosa | Peter Schneider: An der Schönheit kann’s nicht liegen Ein neuer Essayband über Berlin von Peter Schneider ist erschienen. Gelesen von Peter Mohr

Karttinger 7

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Karttinger 7

Der Moderator schlug der Länge nach hin.

Welch unglückseliges Ende, dachte er noch, und sei Wayne nicht ein Garant für Recht und Ordnung, ein aufrechter Patriot, das könne nicht sein, unmöglich, wer verantworte das Drehbuch, und, sterbend, ob er etwa, errare humanum est, sich täusche, und es habe sich nicht um Wayne gehandelt.

Der Geheimrat seinerseits hatte den beiden mehr oder minder verständnislos zugehört, der Western war nie seins, hatte sich aber, sobald er den Wayne zum Revolver greifen sah, geistesgegenwärtig gebückt und war unter dem Geländer hindurch in den Fluß gesprungen, das hätte der Moderator ihm im Leben nicht zugetraut

Leere

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Leere

Das Salzmeer, man muß das wissen, ist ein Ort, an dem nichts geschieht, jedenfalls gilt das für das Lager, ich erwähnte es kürzlich, Sie erinnern sich an den latenten Konflikt um die Ventilatoren, und sofern man die touristischen Ambitionen ins Auge faßt, bildet sich eine Paradoxie heraus, die einer ausführlichen Erklärung bedarf, nicht jetzt, nein, ich werde sie zu gegebener Zeit liefern.

Stille

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Stille Kein Gedanke daran, einzuschlafen. Die Luft ist trocken, die Temperatur mit fünfundzwanzig Grad subtropisch mild. Sobald er sich zudeckt, wird er schwitzen. Auf der Seite liegt er angenehm, schmerzfrei, entspannt, keine Last drückt, die Nacht fühlt sich leicht an. Wie still es ist. Ab und zu flattert ein Segel. Es herrscht tiefes Dunkel, kein Mondlicht, nichts regt sich, die grelle Realität des Tages fügt sich widerstandslos in die Obhut der Nacht.

Kontrovers

TITEL-TExtfeld | Wolf Senff: Kontrovers

Die Erschaffung der Welt sei beileibe kein einmaliges Ereignis, sie bedürfe der ständigen Wiederholung und Erneuerung. Tilman schmunzelte. Täglich, fügte er hinzu.

Ist das so?, fragte Anne: Wer sagt das? Deine Ägypter?

Immer auf der Höhe der Zeit, spottete Farb.

Wir befinden uns in der dreieinhalbtausendjährigen Kultur des Alten Ägypten, das sei gar kein abwegiges Gedankenspiel, sagte Tilman, keineswegs, sagte er, angesichts einer Gegenwart, die daran arbeite, die Abläufe des Lebens und ihre Grundlagen zu schädigen.