Die Regeln der Welt II

Comic | Caligula 2 / Fatale 3 / Carbon Grey 2 / Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen: Nemo

Folgende Serien haben uns eine gewisse Zeit lang begleitet. Ihre Figuren sind uns bekannt, die Regeln ihrer Welten erschlossen, wir ahnen, wohin die Reise gehen soll. BORIS KUNZ hat erneut einige beliebte Serien unter die Lupe genommen, um herauszufinden, welche davon weiterhin einen Gewinn versprechen.

CALIGULA2DASHERZVONROM_Softcover_213Kein Körper bleibt unversehrt
›Caligula 2: Das Herz von Rom‹

Ein Serienkiller treibt sein Unwesen im alten Rom und arrangiert die Körperteile seiner verstümmelten Opfer zu bizarren Standbildern. Secundus Laurentius Aquilinus, Tribun der Prätorianergarde unter Kaiser Claudius, selbst Ehemann von einem der Opfer, versucht im Auftrag von Agrippina, der im Exil lebenden Schwester des Ex-Kaisers Caligula, den Wahnsinnigen zu finden und ihm Einhalt zu gebieten. Dazu sucht er sich die Hilfe des Gladiatorenhalters Junius (der Held des ersten ›Caligula‹-Bandes). Laurentius und Junius, die gemeinsam für den Sturz des brutalen Caligula verantwortlich waren, wissen zu gut, dass der Serienmörder mehr als ein Mensch ist: Der Dämon, von dem Caligula besessen war, hat einen neuen Wirt gefunden, der ihn mit den Seelen seiner Mordopfer füttert. Laurentius ahnt nicht, dass dieser Wirt kein anderer ist als sein Verbündeter Junius, der natürlich versucht, die Ermittlungen in eine falsche Richtung zu treiben. Und auch Agrippina spielt ein doppeltes Spiel mit Laurentius, will sie doch eigentlich nichts anderes, als den Weg auf den Kaiserthron für ihren Sohn freizumachen – für den kleinen Nero, der ebenfalls bereits einen winzigen, ekelhaften Dämon in seinem Ohr sitzen hat …

Nach dem Tod der Titelfigur gelingt es Lapham also tatsächlich, eine Fortsetzung die finden, die an die Ereignisse aus Band 1 anknüpft und sogar das überlebende Personal weiter vorkommen lässt. Und nicht nur das: Die Grundkonstellation einer Dämonenjagd vor dem Hintergrund politischer Machtspiele, Täuschungen und Intrige hat großes Potenzial. Leider schöpft Lapham nur einen kleinen Teil dieses Potenzials aus und erzählt die Geschichte wesentlich weniger doppelbödig und verwickelt, als man erwarten könnte. Der detektivische und politische Teil des Plots wird zugunsten einer Reihe von Horrorszenen und Blutbädern vernachlässigt. Damit bekommt der Leser natürlich wieder genau das geboten, was er nach dem ersten Teil erwartet: Sex und Blutvergießen in vielen bizarren Kombinationen vor dem ansprechend gestalteten Hintergrund eines düsteren Sandalenfilms. Keine Figur, die so etwas wie innere Integrität bewahrt, anstatt sich von Dämonen verführen zu lassen. Und keinen Körper, der nicht früher oder später verbrannt, durchlöchert, verstümmelt und versehrt wird.

Die Aquarelle von German Nobile haben an Klarheit und Übersichtlichkeit gewonnen und verlieren sich seltener im undurchsichtigen Schatten – seltener als im letzten Band und seltener, als Laphams Plot das tut. Der kreist mehr oder weniger um sich selbst, anstatt mit seinen gelungenen neuen Ideen auch eine neue Dynamik in die Erzählung zu bringen. Wenn das als Anspruch ausreicht, hat diese Serie freilich noch Raum für viele weitere Fortsetzungen.

FATALE3WESTLICHDERHD6LLE_Softcover_886Kein Mann überlebt Josephine
›Fatale 3: Westlich der Hölle‹

Ed Brubaker bricht im dritten Band seiner Horror-Noir Reihe mit ein paar der formalen Regeln aus den ersten Bänden, kaum aber mit den Regeln, die innerhalb seines Erzählkosmos herrschen. Diesmal gibt es keine Rahmenhandlung um Nicholas Lash, die eine längere Rückblende aus Josephines Leben einleiten, sondern vier eigenständige »historische« Episoden, von denen zwei von Josephine, zwei von ihren Vorgängerinnen Mathilda und Bonnie handeln.

1936 begegnet Josephine einem zurückgezogenen Horrorschriftsteller, der wohl nicht von ungefähr gewisse Parallelen zu Lovecraft erkennen lässt, und der wiederum auf einer Expedition in Mexico im Jahre 1898 zum ersten Mal mit jeder dämonischen Welt in Kontakt gekommen ist, vor der Josephine bereits ihr Leben lang flüchtet. In Frankreich im Jahr 1268 wird die unsterbliche Mathilde ebenfalls von gefährlichen Gegnern gejagt und findet für einige Zeit bei einem Einsiedler in einem verwunschenen Wald Unterschlupf. 1883 wird der weibliche Outlaw »Black Bonnie« von einem Indianer und einem eigentümlichen Quacksalber in der Wüste von Colorado aufgegriffen, wo eine Begegnung mit dem unheimlichen Dämonenkult ebenfalls nicht lange auf sich warten lässt. Dieser Kult erscheint dann in der letzten Episode, im besetzten Frankreich des Jahres 1943, natürlich noch einmal in Naziuniformen, und Josephine kann ihnen nur mithilfe eines GIs namens Walt Booker entkommen. Hier schließt sich der Kreis zum ersten Band der Reihe.

Die vielen historischen Querverweise hören sich spannender an, als sie letztendlich sind. Ob Mittelalter, Western oder Zweiter Weltkrieg: Brubaker und Philipps streifen andere Settings, um vor verschiedenen Hintergründen letztlich verschiedene Varianten der immer gleichen Geschichte mit den immer gleichen Figuren zu erzählen: Die von der wunderschönen Femme fatale, die zwar ihren Namen wechselt, niemals aber ihr Aussehen, und die auf der Flucht vor dämonischen Hohepriestern auf die Hilfe jener wenigen Männer angewiesen ist, die so etwas wie das Dritte Auge haben und in die düsteren Zwischenwelten blicken können, aus denen Josephines Gegner kommen. Brubaker spielt immer wieder damit, dem Leser ein paar Hinweise hinzuhalten, die zur Lösung des Rätsels beitragen sollen, wer und was Josephine denn nun genau ist. Letztendlich fügen diese Anspielungen dem Gesamtbild kaum etwas Neues hinzu, und man weiß am Ende des Albums nicht mehr, als man schon in den ersten beiden Bänden erfahren hat.

Die Zeichnungen von Sean Phillips sind von gewohnter Qualität, doch sein am Film Noir orientierter Stil, der vor allem bei schattigen, düsteren Innenräumen zu tragen kommt, kann zwar durch Nazis und Trümmerstädte, nicht aber durch die Weite der Prärie punkten – und die Mittelalterepisode findet ohnehin fast gänzlich in einem düsteren, zeitlosen Wald statt.
›Westlich der Hölle‹ ist eine durchaus stilvolle und auch kurzweilige Lektüre, allerdings mit einer Story, die hinter ihrem Potenzial zurückbleibt und letztendlich nur den dem Leser bereits bekannten Status quo in diversen historischen Kostümen noch einmal durchspielt.

CARBONGREY2TD6CHTERDESSTEINS_Softcover_320Kriege sind kompliziert
›Carbon Grey 2: Töchter des Steins‹

Die Abenteuer der Grey-Schwestern gehen in eine neue Runde: Giselle hat das Zugunglück aus dem ersten Band überlebt, gerät aber bei dem Versuch, das ihr anvertraute kaiserliche Schreiben seinem Empfänger zu überbringen, im Feindesland in Gefangenschaft. Während sie dort mit Hilfe von Dina Cumming versucht, die letzte Botschaft des Kaisers zu entschlüsseln, ist Mathilde im Auftrag der Kaiserin auf der Suche nach einem der beiden Teile des legendären Steins von Gottfaust. Diese Mission führt sie an der Seite des Generals in exotische Regionen, die das düstere Weltkriegsszenario um fantastische Elemente erweitern (Magritte lässt grüßen). Warum der General weiterhin als treuer Diener der Kaiserin fungiert, obwohl er doch inzwischen ihr intrigantes Doppelspiel durchschaut, ist einer der vielen Stolpersteine in der Kontinuität der Handlung, die man als Leser überwinden muss. Doch die Zusammenhänge in diesem komplizierten Katz und Maus Spiel waren schon in Band 1 nicht immer leicht zu durchblicken.

Die Qualität des Comics ist vom ersten auf den zweiten Band konsistent geblieben – mit seinen Stärken und Schwächen: Hervorragendes Neo-Manga Artwork, fantasievolle Einfälle und eine gelungene düstere Grundstimmung stehen einer schwer zugänglichen, sprunghaften Erzählweise gegenüber. Die Geschichte, die am Ende des ersten Bandes gerade Fahrt aufgenommen hatte, wird durch einen Zeitsprung erst einmal wieder ausgebremst und muss mühsam neu an Tempo gewinnen. Nur der Humor kommt, durch die Abwesenheit von Elliot Pepper, im Vergleich zum Vorgänger etwas zu kurz. Dafür dürfen wir eine faszinierende neue Figur kennenlernen: Der Marschall ist ein im Körper eines Kindes eingesperrter Reisender durch das Möglichkeitsfeld der Realitäten – und wirkt auch so, als wäre er durch ein Loch im Raum-Zeit-Kontinuum aus einem Comic von Warren Ellis in die Welt von Carbon Grey geraten.

Der zweite Band (drei soll es insgesamt geben) dieses bunten Dieselpunk-Fantasy-Zwitters ist durch zusätzliche kleine Bonuskapitel erweitert, die spannende Nebenfiguren beleuchten und Lücken in der Geschichte schließen. Auch wenn es Spaß macht, sich in diese Welt hineinzufuchsen, ist der Comic wohl nur für Freunde des ersten Bandes zu empfehlen – alle anderen werden sich in der unüberschaubaren Story nur schwer zurechtfinden.

DIELIGADERAUSSERGEWD6HNLICHENGENTLEMENNEMOHERZAUSEIS_Softcover_107Alan Moore lässt nichts aus
›Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen: Nemo – Herz aus Eis‹

1925: Miss Janni, Kommandantin der Nautilus, will sich endlich aus dem Schatten ihres legendären Vaters Nemo befreien, und etwas vollenden, woran er gescheitert ist: Eine Expedition zum Südpol. In der Welt dieser Comicreihe, die sich mehr und mehr zu einer Enzyklopädie sämtlicher Romane auswächst, die Alan Moore jemals gelesen hat, bedeutet das natürlich weniger eine Reise durch unerforschte Natur als vielmehr eine Stippvisite durch eine ganze Reihe verschollener Zivilisationen. Gleichzeitig ist eine Truppe von Abenteurern, die es an technischem Erfindungsgeist durchaus mit Nemo und seiner Nautilus aufnehmen können, im Auftrag von keinem geringeren als Charles Foster Kane hinter Miss Janni her.
Alan Moore und Kevin O´Neill lassen in gewohnter Manier Ikonen aus Literatur und Film aufeinander treffen. Leider steht sich dabei das Konzept der Serie immer mehr selbst im Weg: Durch den Anspruch an (nahezu) Vollständigkeit droht das, was als spaßige Verquickung zahlreicher Zitate gedacht war, zu einer reinen Aufzählung zu werden. Wenn die Nautilus eine Expedition zum Südpol unternimmt, so reicht es nicht mehr, dass sie dort auf die beeindruckenden Stätten aus Lovecrafts »Mountains of Madness« trifft: Es müssen auch alle anderen Erzählungen, die etwas mit dem Südpol zu tun haben, Erwähnung finden oder einen kurzen Auftritt absolvieren. So muss etwa noch in Megapatagonien Station gemacht werden, ohne dass dies irgendwas zur Handlung beizutragen hätte. Für einen besonders raffinierten Plot bleibt da leider nur noch wenig Platz. Der beschränkt sich auf eine simple Verfolgungsjagd zweier Parteien – mit nur wenigen Überlebenden.

Herz aus Eis basiert auf einer genialen Grundidee, die man allerdings in wenigen Sätzen zusammenfassen kann. Knapp 60 Comicseiten sind dann leider zu kurz, um daraus eine Geschichte zu spinnen, die alles herausholt, was man herausholen könnte. Moores Genialität als Autor blitzt zwar in Ansätzen immer wieder auf, doch zu hohe Erwartungen sollte man an dieses Kapitel seiner legendären Saga nicht haben.

| BORIS KUNZ

| Die Regeln der Welt – Teil I (Universal War Two 1 / Ralph Azham 3&4 / Sweet Tooth 5)

Titelangaben
David Lapham (Text), German Nobile (Zeichnungen): Caligula 2: Das Herz von Rom
(Caligula: Heart of Rome) Aus dem Amerikanischen von Bernd Kronsbein
Stuttgart: Panini Comics 2014
148 Seiten, 18,99 Euro

Ed Brubaker (Text), Sean Phillips (Zeichnungen): Fatale 3: Westlich der Hölle
(West of Hell) Aus dem Amerikanischen von Claudia Fliege
Stuttgart: Panini Verlag 2013, 104 Seiten, 16,99 Euro

Paul Garnder (Story & Skript), Khari Evans, Hoang Nguyen, Kinsun Loh (Zeichnungen): Carbon Grey 2: Töchter des Steins
( Daughters of Stone) Aus dem Amerikanischen von Alexander Rösch
Stuttgart: Panini Verlag 2014
132 Seiten, 16,99 Euro

Alan Moore (Text), Kevin O´Neill (Zeichnungen): Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen: Nemo – Herz aus Eis (Nemo: Heart of Ice)
Aus dem Englischen von Gerlinde Althoff
Stuttgart: Panini Verlag 2014
60 Seiten, 9,99 Euro

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