Comic | Junji Ito: Uzumaki 1 + 2
Subtile Mittel mit großer Wirkung: In Junji Itos Horror-Reihe »Uzumaki« speist sich das Grauen aus dem Sog, der von Spiralen ausgeht und in deren unheilvolles Zentrum führt. CHRISTIAN NEUBERT hat sich in den bodenlosen Abgrund ziehen lassen.
Die beiden Horrorgroßmeister von der US-Ostküste als Bezugspunkte für den Mangaka aus der japanischen Präfektur Gufi: Bei H.P. Lovecraft, dem Einsiedler aus Providence, findet das Grauen seinen Weg von fernen Dimensionen gerne über entrückt wirkende geometrische Anordnungen. Und bei Stephen King, dem Mann aus Maine, wächst der Horror aus der Mitte der Gesellschaft. Er ist bereits da, er wuchert still in den Vorstädten – bis er irgendwann ausbricht.
In ›Uzumaki‹ ist das Grauen ebenfalls bereits in der Lebenswirklichkeit einer fiktiven Kleinstadt vorhanden. Es braucht nicht effektvoll oder grausam einzubrechen: Es zeichnet sich bereits in Schneckenhäusern ab. Im Sogwirbel, wenn das Wasser in der Spüle abläuft. Im Haupthaar der Mitmenschen. Oder in den kleinen Windhosen, die über den Asphalt fegen. Das Grauen steckt in Spiralen, in Wirbel-Mustern, in der Geometrie des Alltäglichen.
Im Strudel
Anfangs mag die junge Kirie nicht so recht an die Vermutungen ihres Freundes Shuichi glauben, als dieser ihr eröffnet, die Bewohner ihrer kleinen Heimatstadt würden nach und nach von den Spiralen in den Bann gezogen. Schnell jedoch wird auch ihr klar: Was sich in ihrer Umgebung abspielt, ist ein Teufelskreis, aus dem es offensichtlich kein Entrinnen gibt. Der Sog der Spiralen zieht die Menschen in ihre unheilvollen Zentren. Dem Lauf der Wirbel folgend, drehen sie sprichwörtlich durch. Oder Schlimmeres.
Man erkennt auf Anhieb, dass die Spirale als unheilvoller Aufhänger glücklich gewählt ist. Wenn auch nicht gerade angstvoll aufgeladen, ist sie durchaus motivisch konnotiert: Der Hauch des Mysteriösen, des undenkbar Unendlichen schwingt bei ihr mit. Junji Ito nutzt dies gekonnt und einfallsreich aus, indem er manches, was diverse wissenschaftliche Schulen dem Begriff der Spirale beimessen, zum innerweltlichen Medium für das unfassbare Grauen erhebt. Eben noch fest im Alltäglichen verankert, geraten seine Protagonisten in den grund- und bodenlosen Sog des Horrors, aus dem es kein Entrinnen gibt.
Eine Abwärtsspirale des Grauens
Die junge Kirie dient in den bisher vorliegenden zwei Bänden als Beobachterin, die kapitelweise abgehandelten Episoden stehen jeweils alleine für sich. Allerdings scheinen sie einen weit schweifenden Bogen um etwas zu spannen, das man bisher noch nicht erahnen kann. Vor allem im zweiten Band der auf sechs Bände angelegten Reihe spitzen sich die Ereignisse zu. Da man keinerlei Motivation des Bösen, kein Übertreten moralischer Instanzen, keine Plagegeister und Wiedergänger als Quelle und Gipfel ausmachen kann, zieht der Horror immer weitere Kreise, in denen man ratlos zurückbleibt. Und auch, wenn einzelne Episoden gerne etwas breiter angelegt sein könnten, um dem Grauen mehr Spielraum zu geben: Itos Spiel mit sich im Kreis windenden Handlungssträngen geht auf. Schließlich wird deren Sogwirkung immer größer, ›Uzumaki‹ funktioniert wie ein Strudel: Die ersten Bände der Reihe ziehen einen immer weiter hinab Richtung Abgrund.
Während sich der Wahnsinn in Itos Schwarz-Weiß-Zeichnungen zunächst nur in den Gesichtern abzeichnet, steigert sich der Horror nach und nach übrigens auch auf graphischer Ebene. Das wird schon mal drastisch, bedient aber keinen Voyeurismus. ›Uzumaki‹ lebt nicht vom Augenscheinlichen oder gar vom Draufhalten. Der Horror speist sich aus dem Inneren – von dem Ort also, von dem alles ausgeht und in dem alles endet: Dem Zentrum der Spirale.
Titelangaben
Junji Ito: Uzumaki Bd. 1 + 2
Aus dem Japanischen von Shokko Fuku
Hamburg: Carlsen 2013 bzw. 2014
208 bzw. 192 Seiten, je 7,95 Euro
Reinschauen
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