Kolumne | Das aktuelle Gefälle #3
›Das aktuelle Gefälle‹ ist CHRISTIAN NEUBERTs satirisches Format, in der er sich zeitgenössischer Schieflagen annimmt. Diesmal gibt es empörend Schräges zum Dschungelcamp der anderen Art.
Bei großen Sportereignissen muss man als Gastgeber sehr bedächtig vorgehen. Immerhin ist vor und während dieser Events der Fokus der Weltöffentlichkeit auf einen gerichtet, was die Möglichkeit bietet, sich im Glanze eines Lichts zu präsentieren, das normalerweise eher Schatten auf einen wirft. Putin z.B. hat die Möglichkeiten, die sich einem da bieten, verstanden: Während die sogenannte westliche Welt damals (im Gegensatz zu heute: lediglich) Russlands restriktive Haltung gegenüber gleichgeschlechtlicher Beziehungen ankreidet hat, holte er für die Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele kurzerhand das mit lesbischem Sex kokettierende Duo t.A.T.u. aus der Versenkung, um sich weltoffen zu geben. Hach, wie schön einfach die Welt doch manchmal ist.
Heute aber geht´s um Fußball. Um Profifußball. Da ist nichts so wirklich einfach. Es gilt z.B., ein sympathisches und vor allem verkaufsträchtiges Maskottchen aus der Taufe zu heben. Ein gewisser Rodrigo Castro hatte diesbezüglich eine gute Idee: Sein 2012 bei der FIFA eingereichter Vorschlag, der WM-Glücksbringer solle ein Gürteltier sein, kam gut an. Zumal er sich für das possierliche Tierchen einen tollen Namen ausgedacht hat: Fuleco. Fuleco ist eine Wortschöpfung, das die Begriffe »futebol«, also Fußball, und »ecologia«, Ökologie, zur Einheit bringt.
Die Verknüpfung liegt nahe: Wie gut sich Fußball und Ökologie mitunter vertragen, wird z.B. anhand des hochmodernen Stadions ersichtlich, das für schlappe 224 Mio. Euro in Manaus, also mitten im tropischen Regenwald, gebaut wurde. Für anberaumte 224 Mio., wohlgemerkt. Man ahnt ja, was das bedeutet – zumal das Material dafür über Tausende Kilometer herangeschafft werden musste, was angesichts der um bis zu 16 Meter schwankenden Wasserstände des Rio Negro und der sintflutartigen Regenfälle der Tropen natürlich business as usual ist. Naja. Immerhin werden während der WM in Manaus beachtliche vier Gruppenspiele ausgetragen. Und darüber hinaus hat man ja auch sonst, also abseits der WM, beinahe 450 regelmäßige Besucher bei Fußballspielen zu Gast.
Wenn man diese auf die Begegnungen im Stadion während regulärer Saisons hochrechnet, kann der sich daraus ergebende Jahreserlös zwar nicht mal die monatlichen Betriebskosten des Stadions decken. Aber sei´s drum: Es ist WM. Da reißt man das alte Stadion, das in etwa gleich viele Zuschauer wie der neue, sich filigran in die Tropen einfügende Klotz, fassen konnte, ganz im Sinne von Fuleco schon mal ab.
Eventuell schwingt bei all dem aber noch mehr mit. Vielleicht lässt sich aus dem Maskottchen-Namen bereits ableiten, für wen oder was das letztendlich alles ist, denn ganz neu ist die Wortschöpfung Fuleco nun auch nicht: Der Begriff ist Bestandteil der Umgangssprache weiter Teile Brasiliens. Fuleco heißt Arsch. Nicht Gesäß oder Hintern. Arsch. Dabei hat das gemeine Gürteltier im Portugiesischen bereits einen klangvollen Namen, nämlich Tatu. Ob er wohl Zufall ist, dieser Verweis auf Putins Olympia-Eröffnung? Oder hat man nur von den Besten gelernt?
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