//

Der neue Trend im europäischen Serienformat

Kulturbuch | Lea Gamula, Lothar Mikos: Nordic Noir

Wer konzentriert schaut, sieht am Horizont so etwas wie grenzüberschreitende europäische Kultur heraufdämmern, kann durchaus sein. ›Nordic Noir‹ beschreibt in Anlehnung an den »Film Noir« der vierziger, fünfziger Jahre eine Tradition skandinavischen Kriminalfilms seit den späten neunziger Jahren, im Vorlauf der Kriminalromane stufen wir Maj Sjöwall und Per Wahlöö als Geburtshelfer ein, deren international erfolgreiche Roman-Reihe der sechziger und siebziger Jahre ebenso erfolgreich verfilmt wurde. Von WOLF SENFF

Lea Gamula, Lothar Mikos. Nordic NoirLeider fällt es Lea Gamula und Lothar Mikos schwer, sich bezüglich europäischer Kultur unzweideutig zu positionieren, sie sprechen im Lauf ihrer sehr an den USA orientierten Darstellung recht unbeirrbar von »Quality TV«. Es ist ein Fehler, dass Lea Gamula und Lothar Mikos sich überhaupt auf diese marktschreierische Marketing-Schiene einlassen. Ein Format wie CSI geht in den USA eben auch als »Quality TV«, man hätte sich mehr begriffliche Klarheit in der Zuordnung von »Nordic Noir« gewünscht.

Lilyhammer

Gut, die skandinavische Kriminalliteratur und ihre Verfilmungen werden ausdrücklich als eine eigene »Marke« bezeichnet, ›Forbrydelsen‹ bzw. ›Kommissarin Lund‹ ist, wieder das ärgerliche Geeiere um die Terminologie, die erste »High-Quality-Fernsehserie« Skandinaviens.

Davon einmal abgesehen, liest man jedoch diesen Band gern. Die Darstellung ist dicht, detailliert und präzise, die Informationen sind aktuell, wir erfahren von der Entwicklung des Nordic Noir / Scandinavian Crime zur »Scandinavian Fiction«, dessen neuestes Produkt ›Lilyhammer‹ (Sendebeginn Januar 2012 im norwegischen öffentlich-rechtlichen Programm) ab Oktober 2014 auf ›Arte‹ laufen wird, darauf dürfen wir neugierig sein.

Das Rad neu erfinden

Der Reihe nach. Die Verwirrung scheint tatsächlich in der Terminologie zu liegen, man muss das wohl hinnehmen, etwa als am Vorbild der »amerikanischen Quality-Serien« das »Prinzip der Double Stories / Double Narration« vorgestellt wird: »Eine Ebene besteht aus einer guten Geschichte, die Identifikation und Faszination der Zuschauer zulässt, und eine zweite trägt die sozialen, psychologischen und ethisch-moralischen Intentionen und Perspektiven«. Fein, ja.

Nur kommt uns das beschriebene Prinzip seit ›TATORT‹ überaus bekannt vor, dessen Erstsendung war immerhin bereits 1971. Lea Gamula und Lothar Mikos sind offensichtlich auch damit beschäftigt, wieder einmal das Rad neu zu erfinden, und das ist bekanntlich stets verbunden mit innovativer Begrifflichkeit, gern auch amerikanisch.

Dieses am Marketing orientierte methodische Vorgehen ist langweilig. Aber wenn man das als lästige Oberflächlichkeit abhaken kann und darüber hinwegsieht, bleiben das Thema und der Untersuchungsansatz von ›Nordic Noir‹ hochinteressant, zumal auch die Verlagerung der Autorenschaft einbezogen wird sowie die Produktionskultur in Dänemark, Schweden, Norwegen. Letztlich wird die These von »einem neuen Trend im europäischen und skandinavischen Drama« überzeugend und vielschichtig begründet, dessen Popularität darauf beruht, dass »globale Probleme gespiegelt und […] reflektiert werden«.

| WOLF SENFF

Titelangaben
Lea Gamula, Lothar Mikos: Nordic Noir. Skandinavische Fernsehserien und ihr internationaler Erfolg
Konstanz und München: UVK 2014
166 Seiten. 24 Euro

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Ein Preis für den König

Nächster Artikel

Der Rest vom Schützenfest

Weitere Artikel der Kategorie »Film«

Die Spielmacherin

Film | Im Kino: Molly’s Game Aaron Sorkin gibt seinen Einstand als Regisseur. Der gefeierte Drehbuchautor hat sich dafür die Autobiografie ›Molly’s Game‹ der US-Amerikanerin Molly Bloom ausgesucht, die über Jahre hinweg den vielleicht exklusivsten Pokertisch der Welt veranstaltete. Das Skript verfasste Sorkin ebenfalls, die Hauptrolle übernahm Hollywood-Star Jessica Chastain. Das verspricht eine gut erzählte und zudem interessante Geschichte mit starkem Schauspiel. »Erfüllt der Film die Erwartungen?«, fragt FELIX TSCHON.

»Hollywood war nicht einmal in unserem Rückspiegel«

Film | Black Cinema Das Münchner Filmfest widmete dem afroamerikanischen Black Cinema eine eigene Reihe – von Klassikern der ›L.A. Rebellion‹ bis Arthur Jafa. Sie faszinieren durch ihre rohe Energie und traumwandlerisch-poetische Bilder. Von SABINE MATTHES

Herzallerliebste Privatheit

Film | Im Kino: Eltern (Kinostart am 14.11.13) Den Unterschied zwischen grünem Tisch und Bodenhaftung, den zeigt Eltern. Wenn ein Elternteil sich beruflich verändert, ist im realen Leben Alarm angesagt. Da kann man vorher am grünen Tisch noch so übereinstimmende Absprachen treffen – der Teufel lauert im Detail. Dem argentinischen Au-pair-Mädchen rutscht denn auch unwillkürlich heraus, dass endlich diese so reibungslos organisierte deutsche Familie ihrer eigenen Familie in Südamerika ähnlich wird. So kann’s gehen. Von WOLF SENFF

Den westlichen techno-zentrischen Mindset umpolen

Filme | Neptune Frost

Auf einem Elektromüll-Friedhof in Burundi plant ein anarchisches Kollektiv glamouröser Cyber Punk Hacker die Revolution
Der afrofuturistische Musicalfilm »Neptune Frost« zeigt diese phantastische Odyssee, wild und geheimnisvoll – ein bildgewaltiges Feuerwerk von poetisch-bizarrer Sinnlichkeit. Von SABINE MATTHES 

»Berühmt werden – etwas anderes wollte ich nie«

Menschen | Zum 80. Geburtstag des Oscar-Preisträgers Anthony Hopkins am 31. Dezember »Eine 80 Jahre alte Maschine muss ständig gut geölt sein, sonst rostet sie ein.« Er öle seine Maschine »mit Musik, mit Malerei, mit meiner Arbeit«, hatte Chopin-Liebhaber Anthony Hopkins vor einigen Wochen in einem Interview mit der ›Bild am Sonntag‹ erklärt. Von PETER MOHR