Von der Natur. Und der des Menschen.

Comic | Peggy Adam: Gröcha

 
Peggy Adam reflektiert in ›Gröcha‹, ihrem zweiten Comic-Langwerk, über das Verhältnis zwischen Mensch und Natur – mit ernüchterndem Ergebnis, mal abgesehen von der künstlerischen Leistung. Entsprechend genießt CHRISTIAN NEUBERT das Werk, solange es noch geht.

GroechaWeltuntergang, vielmehr Weltuntergänge: Die kennt man. Kinogänger und TV-Konsumenten haben in der Regel schon mehrere überstanden. Meist hat man heute gleich solche Dolby-Surround-dröhnenden Roland-Emmerich-Szenarien vor dem inneren Auge, inklusive sich auftuender Straßen, Lavafontänen und durch die Gegend wirbelnder Autos. So ein durchschnittliches Armageddon scheint eine recht laute Angelegenheit zu sein. Dass so ein Weltuntergang aber auch in leisen Tönen vonstattengehen kann, zeigt Peggy Adams in ihrem zweiten Comic-Langwerk ›Gröcha‹.
 
Wenn das Ende der Welt in Form einer Epidemie sich zur Abwechslung mal nicht ausschließlich in US-Metropolen, sondern auch mal in schweizerische Kleinstädte einschleicht, dann braucht das keinen Lärm und schon gar keine großen Erklärungen. Peggy Adams gräulich-grausige Endzeitvision konfrontiert den Leser nicht mit Effekten, sondern mit einem wesentlich effektiveren »So ist es« – ähnlich, wie Jeunet seine ›Delicatessen‹ oder seine ›Stadt der verlorenen Kinder‹ inszenierte. Bei ›Gröcha‹ wird nicht erklärt, warum´s denn gleich um uns geschehen ist. Es geht nicht um das »Was« und das »Wieso« der Katastrophe. Es geht um das »Wie« und »Wohin«.
 
Assistenten im Kreißsaal der Ausgeburten

Gemäß unserer Natur – also der des Menschen, und nicht etwa der Rest natürlichen Grüns, den wir der Welt gestatten – mündet das »Wie« in jenem schweizerischen Städtchen in Straßenkontrollen, Quarantäneeinrichtungen und herrlich ineffizienten, aber Sicherheit vorgaukelnden Mundschutzen. Im realen Leben liegt der Hauptzweck dieser Dinger wohl in der Symbolkraft: Wer sie trägt wird zu einer Art Assistenzarzt, und die Welt wird zum Kreißsaal eines unheilvoll vor Krankheit schwangeren Patienten, der sie selbst ist.
 
Der Frage nach dem »Wohin« begegnet Protagonist Marc mit einem Ausbruch, der ein Aufbruch in die Berge ist. Gefolgt von seiner von der Seuche infizierten Ehefrau entpuppt sich seine Flucht jedoch auch als Flucht vor sich selbst: Was die beiden vorrangig verbindet, ist etwas, dass sie trennt und vereinzelt. Sie teilen ein düsteres Geheimnis. Sie können ihm jedoch genauso wenig entfliehen wie dem Ende der Welt, das längst nicht mehr zwischen ländlichem Idyll und urbanem Moloch unterscheidet.

Als die Tiere den Wald verließen

Gröcha, der rätoromanische Begriff für Dreck, hält das Endgültige der Szenerie und die Stimmung des Ausweglosen in albtraumhafter Tristesse fest. Tusche und Aquarell verlaufen zu schwarzen Löchern, die sich nicht in den Weiten des Alls, sondern gleich in den Wäldern Graubündens auftun.
Auch Tiere spielen in dem Comic eine nicht untergeordnete Rolle. Diese bleibt jedoch rätselhaft bis unheimlich: Das Zusammenleben und die Kommunikation zwischen ihnen und den Menschen sind schon lange vor Marcs Flucht vor sich und der Welt gescheitert. So bleibt am Ende nur eine Welt, deren Natur den Menschen negiert – und die traurige Erkenntnis, dass das auf Gegenseitigkeit beruht.

| CHRISTIAN NEUBERT

Titelangaben
Peggy Adam: Gröcha. Aus dem Französischen von Claudia Sandberg
Berlin: Avant-Verlag 2014
104 Seiten 19,95 Euro

Reinschauen
Leseprobe auf der Verlagshomepage
Homepage der Künstlerin

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