Böse Ferien

Kinderbuch | Sabine Ludwig: Schwarze Häuser

  
In schwarzen Häusern wohnen böse Zauberer – im Märchen. In der Wirklichkeit muss das Haus nicht schwarz sein und seine Bewohner keine magischen Gestalten. Im vorliegenden Fall ist es ein Kinderferienheim und das Übel steckt in denen, die für das Haus und die Kinder zuständig sind. Ihnen bereiten sie böse Ferien. Sabine Ludwig hat für ihr neues Kinderbuch ›Schwarze Häuser‹ keine fantastische Geschichte bemüht, sie erzählt einfach, wie es einmal gewesen ist. Von MAGALI HEISSLER

hauserDie zwölfjährige Uli kommt aus Berlin, sie hat sich fein gemacht für die Reise an die Küste, obwohl sie viel lieber bei ihrer Oma geblieben wäre. Die roten Plastikkugeln an den Gummis, die ihre Rattenschwänze zusammenhalten, sind ein fröhlicher Farbfleck auf einer ansonsten düsteren Reise. Uli fühlt sich nicht wohl, und als sie endlich auf der Nordseeinsel angelangt sind, auch nicht. So viele fremde Kinder um sie herum und unfreundliche Erwachsene.

Sechs Wochen sollen sie im Kinderheim bleiben. Es ist schon November und das Heim so frostig wie das nahende Winterwetter.
Die Mädchen, mit denen Uli das Zimmer teilt, kann sie gleich nicht leiden, eine von ihnen, Fritze, heult noch dazu dauernd. Uli heult nie, jedenfalls nie vor anderen. Dabei schleppt sie einiges mit sich herum, was zum Weinen wäre. Aber darüber würde sie nie, nie sprechen.

Zunächst kommen sie sowieso nicht zum Reden, die Regeln im Heim sind streng. Die Strafen bei Regelverstoß ebenfalls und die gibt es reichlicher als das Essen. Dass das scheußlich schmeckt, macht es nicht leichter, darauf zu verzichten. Bald knurren die Mägen, was die Laune der Kinder nicht hebt.

Sechs Wochen sollen sie hier miteinander verbringen. Unter den bedrückenden Bedingungen bilden sich Notgemeinschaften, so geschieht das auch in Ulis kleiner Gruppe. Gegenseitige Hilfe brauchen die Mädchen auch dringend, ihr Erholungsaufenthalt wird eine Bewährungsprobe besonderer Art.
 
Geschichten von früher
 
Ludwigs Buch ist eine Zeitreise, es geht zurück in die Mitte der 1960er Jahre. Für das junge Zielpublikum der Geschichte ist das ebenso weit entfernt wie das Mittelalter. Rattenschwänze und Lebertran, Zopfgummis mit Plastikkugeln, Wurzelbürsten, Telegramm und Badeofen erwarten die Leserin. Für all das und einiges mehr gibt es einen Anhang, illustriert, damit man sich diese Dinge auch vorstellen kann.

Vor allem aber gibt es einen Rücksturz zu Erziehungsmaßnahmen, die heute fast fantastisch anmuten. Die Grundregel lautete: Erwachsene sind immer im Recht. Und wenn sie es nicht sind, haben sie trotzdem recht. Vieles klingt wie aus einem Horrorroman über eine erfundene Erziehungsanstalt. Erzählt ist es rundum lebensecht. Die vier Mädchen, Uli, Freya, Fritze und die kleine Anneliese kämpfen ebenso lebensecht mit den Tücken des damaligen Alltags, der sich viel zu oft gegen sie richtet. Gemeinschaftsarbeiten, wie etwa Tischdecken oder Geschirrspülen werden zur Strafe, wenn das Arbeitsgerät alt oder nicht vorhanden ist. Schuhe putzen ist schrecklich für eine Achtjährige, die es nie zuvor getan hat und von der nun, ohne Erklärung, ruckzuck glänzendes Leder erwartet wird. Eingreifen der Verantwortlichen wird zur Quälerei, zuweilen spürt man Ludwigs Zorn hinter den einfachen Schilderungen darüber, dass so etwas möglich war. Geschichten von früher eben, so hofft man.
 
Gemeinheiten und Gemeinschaften
 
Vier Mädchen stehen im Vordergrund der Handlung, jede reagiert ein bisschen anders, je nach Herkunft und Prägung. Sie müssen miteinander genauso zurechtkommen, wie mit den haarsträubenden Vorkommnissen im Heim. Sie mögen sich oder können sich nicht leiden, hätte die eine gern für sich und eine andere los, sind eifersüchtig, selbstsüchtig und gelegentlich gemein. Es sind Kinder, in all ihrer Kursichtigkeit und Unbedingtheit, ihren Sehnsüchten und ihrer Größe in Notlagen. Ihre eigenen Geschichten werden zunächst nur angedeutet, erst am Ende weiß die Leserin, was bei jeder dahintersteckte.

Sehr warmherzig schildert Ludwig, wie die drei Älteren sich um die Kleine kümmern, eine Achtjährige, auf die sonst nicht mehr Rücksicht genommen wird als auf die Größeren. Vor allem Uli lernt Geduld. Fritze, die Heulsuse und häufig Opfer der Willkür Erwachsener, wächst über sich hinaus, als sie beginnt, den Leidensgenossinnen abends trotz des Verbots ein Märchen vorzulesen. Es ist das Märchen von der Prinzessin und den schwarzen Häusern der Zauberer am Meer, eine fantasievolle Umsetzung dessen, was die Mädchen erleben. Das Märchen ist wunderschön und enorm gruselig. Man wünscht sich als Leserin genauso innig wie Uli, dass man eines Tages den Schluss erfahren wird.

Dazu gibt es erste Probleme mit pubertierenden Jungen, eine erste winzige Verliebtheit, Strandspaziergänge im kalten Wind, die tatsächlich schön sein können, absurde Weihnachtsspielübungen, Novemberluft und die Nordsee mit ihren Gefahren.
Illustriert ist diese ganz besondere Geschichte mit Vignetten der Tochter der Autorin, Emma Ludwig, deren Kinderfiguren ganz am Ende deutlich machen, worauf es ankommt, wenn man in Bedrängnis ist, auf Zuneigung und Fürsorge.

| MAGALI HEISSLER

Titelangaben
Sabine Ludwig: Schwarze Häuser
Hamburg: Dressler Verlag 2014
350 Seiten. 14,99 Euro.
Kinderbuch ab 10 Jahren

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