Magie der Freundschaft

Kinderbuch | Dominique Périchon: Vielleicht ein bisschen verrückt, aber ich bin dabei!

Es ist die Zeit, in der man ins Leben aufbricht: Eigentlich muss man nur die Arme ausbreiten und fliegt in seine Zukunft. So ähnlich ist Maries Gefühlslage, wären da nur nicht so viele Selbstzweifel. Ihrer Ansicht nach kann sie weder malen, kneten, noch musizieren, einfach nichts. Das soll sich aber schnell ändern. BARBARA WEGMANN hat die wunderbare Geschichte gelesen.

Es sollte ein Aprilmorgen sein, an dem für Marie alles anders wurde: In ihre Klasse kommt eine neue Mitschülerin, Isidora Santos-Dupont, aus einem fernen Land. Wie eine »heilige Katze« wirkt sie, denkt Marie. Dazu kühl, distanziert. »Marie meint sogar, am Ende ihrer Sätze ein paar Schneeflocken zu sehen.« Dann stehen die Ferien vor der Tür, und am letzten Tag »leert sich der Schulhof schneller als ein Waschbecken, aus dem der Stöpsel gezogen wird«. Marie erhält ein paar Tage später ganz unerwartet eine Einladung von Isidora, ganz förmlich, geradezu offiziell. Dort, oben im ungewöhnlichen Baumhaus Isidoras, nimmt das große Abenteuer seinen Lauf. Eine Flugmaschine werde sie erfinden, sagt Isidora ganz entschieden, überzeugt und keinen Widerspruch duldend. »Mademoiselle Marie! Ich würde mich freuen, wenn du meine Assistentin wirst.« Marie ist begeistert, aber noch ein wenig vorsichtig und auch nachdenklich: »Wie sollte sie Isidora erklären, dass ihr größter Traum – eine Flugmaschine erfinden – bereits vor langer Zeit umgesetzt worden war?«

Na, das sind zwei Mädchen, so unterschiedlich, so verschieden, als kämen sie aus zwei völlig verschiedenen Zeiten. Marie, die so »von ihrer eigenen Mittelmäßigkeit überzeugt ist«, eher schüchtern, stets an Misserfolge denkend und die vor Energie, Ideen und Fantasie nur so sprudelnde Isidora, die keine Grenzen zu kennen scheint und so »herrlich altmodisch« wirkt. »In Isidora gab es ein Licht, das sie erleuchtete, ohne ihr Geheimnis zu verbergen: Mut. Nicht den Mut zum Angeben oder für anderen Blödsinn, sondern den Mut, der echte Risiken eingeht und von Herzen kommt.« Beide Mädchen finden an der anderen etwas, das sie fasziniert und bindet. Beide werden voneinander lernen und es werden aufregende Wochen, denn es soll ja schließlich die erste Flugmaschine gebaut werden. Dazu braucht man alles, was Keller, Dachböden und Ausrangiertes hergeben. Das Baumhaus bei Isidora glich, so beschreibt es Marie, nun mehr einem »Kramladen zwischen Himmel und Erde«. Für Marie, in Euphorie getunkt, ist klar: Isidora war gekommen, »und hatte sie an Bord ihrer Fantasie genommen.« Morgen, so ist sie ganz begeistert und für die Sache entflammt, würde das Abenteuer weitergehen, »und es gab jemanden auf diesem Planeten, der sie brauchte. Was für ein wunderbares Gefühl: für Marie, bisher von Unscheinbarkeit umhüllt, ganz besondere Momente und Tage.

Dominique Périchon lebt in den Pyrenäen und ist dort Französischlehrer. Seine bezaubernde Geschichte über die abenteuerlichen Ferien zweier junger Mädchen war für den deutsch- französischen Jugendliteraturpreis 2022 nominiert. Seine Geschichte steckt voller Erlebnisse, voller Ideen, Überraschungen und schon leicht irrwitzigen Plänen. Und seine Sprache ist wunderbar zu lesen, besonders die Bildhaftigkeit fällt auf, seine treffenden, einfallsreichen Vergleiche: Da ist das Jahr wie ein »angeknabberter Apfel«, da »rollt sich der Nachmittag vor Marie aus wie ein alter Teppich«, und der »September hatte die Farbe von Laub und Schulalltag«. Aber es ist nicht nur eine einfühlsame Geschichte von zwei jungen Mädchen, die ihre Ferien mit einer anrührenden Freundschaft füllen und einen Traum haben.

Eines Tages kommt Isidora nämlich nicht mehr, Maries »erste und einzige Freundin« bleibt weg. Da herrschen Traurigkeit und Unverständnis, da sind Trennungsschmerz und Abschied. Bis zu dem Tag, als Maries Lehrerin Zeitungsausschnitte übersetzt, die Marie aus dem Baumhaus mitgenommen hatte. Diese Artikel erzählen eine zweite Geschichte, die hinter all der Fantasie und dem Flugdrang Isidoras liegt. Wehmütig wird es im Buch, etwas nachdenklich nach all dem Turbulenten. Aber Marie ist bei all dem ein Stück erwachsener geworden. Sie lernt nun eine neue Sprache an der Schule, die Sprache aus Isidoras Land.

| BARBARA WEGMANN

Titelangaben
Dominique Périchon: Vielleicht ein bisschen verrückt, aber ich bin dabei!
Illustriert von Ayesha L. Rubio
Aus dem Französischen übersetzt von Maren Illinger
Stuttgart: Thienemann-Esslinger 2023
144 Seiten, 14 Euro
Kinderbuch ab 10 Jahren
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Abschied

Nächster Artikel

Klub der Widerspenstigen

Weitere Artikel der Kategorie »Kinderbuch«

Weihnachtsvorbereitungen

Kinderbuch | Kai Pannen: Du spinnst wohl! Spätestens mit dem ersten Advent wird klar: Weihnachten rückt unweigerlich näher. Zeit, sich mit den Vorbereitungen für das Fest zu beschäftigen. Und das denkt auch Karl-Heinz. Gut geplant ist halb gefeiert und wenigstens für seinen Festtagsbraten ist am 1. Dezember schon gesorgt. ANDREA WANNER entdeckte schönste Adventsgeschichte in 24 Kapiteln mit zwei ungewöhnlichen Akteuren.

Böse Ferien

Kinderbuch | Sabine Ludwig: Schwarze Häuser    In schwarzen Häusern wohnen böse Zauberer – im Märchen. In der Wirklichkeit muss das Haus nicht schwarz sein und seine Bewohner keine magischen Gestalten. Im vorliegenden Fall ist es ein Kinderferienheim und das Übel steckt in denen, die für das Haus und die Kinder zuständig sind. Ihnen bereiten sie böse Ferien. Sabine Ludwig hat für ihr neues Kinderbuch ›Schwarze Häuser‹ keine fantastische Geschichte bemüht, sie erzählt einfach, wie es einmal gewesen ist. Von MAGALI HEISSLER

Ein Unglück kommt selten allein

Kinderbuch | Karin Koch: Linas Geheimnis

Linas Leben ist aus den Fugen. Gerade ist ihre beste Freundin weggezogen, da macht ein überaus peinliches Video von Lina die Runde. Und als wäre das noch nicht genug, geschieht etwas Unfassbares. Von ANDREA WANNER

Schein und Sein

Kinderbuch | Roxane Brouillard: Mein Hund Banane

Ein Hund, der Banane heißt, ist merkwürdig genug. Aber ein Hund, der Banane heißt und wie eine Banane aussieht, ist – na, ja, die Vermutung liegt zumindest nahe, dass es sich um die Frucht eines Bananengewächses handelt. ANDREA WANNER hatte ihren Spaß an der Geschichte.

Freundschaft mit Hindernissen

Kinderbuch | Pija Lindenbaum: Kommst du spielen, Frida? Kleine Mädchen können sehr unterschiedliche Interessen haben. Ob das tatsächlich ein Hinderungsgrund ist, Freundinnen zu werden, interessierte ANDREA WANNER