/

Verpuffter Aktivismus

Gesellschaft | Jan Philipp Albrecht: Finger weg von unseren Daten

Der grüne EU-Parlamentarier Jan Philip Albrecht hat ein Plädoyer für mehr Datentransparenz geschrieben. Herausgekommen ist ein Buch, das an den parlamentarischen Strukturen scheitert. Von JAN FISCHER

Jan Philipp Albrecht: Finger weg von unseren DatenKurz vorweg, damit es aus dem Weg ist: Jan Philip Albrecht, der Autor des Buches ›Finger weg von unseren Daten! Wie wir entmündigt und ausgenommen werden‹ hat – zusammen mit seinen Kolleginnen Terry Reintke und Ska Keller – ein eher unglückliches Youtube-Video veröffentlicht.

Einstieg mit der Menschenwürde

Tatsächlich aber ist er innen- und justizpolitischer Sprecher der Grünen Fraktion im Europäischen Parlament, und befasst sich dort vor allem auch mit der Reform des europäischen Datenschutzrechtes, die gerade im Snowden-Nachklapp ein beachtliches Interesse erfahren hat. Und hat – wohl auch im Fahrwasser der Enthüllungen – in der Reihe ›Knaur Klartext‹ ein Buch dazu geschrieben. »Unsere Autoren packen brandaktuelle Themen an und bringen die Hintergründe nach vorn«, schreibt der Verlag in seiner Selbstdarstellung zu der Reihe.

Albrecht steigt groß ein – es geht um die Verletzung der Privatsphäre, um Menschenrechte, um politische Machtausübung durch Kontrolle durch illegal oder halblegal abgegriffene Daten. Er, Albrecht, arbeite daran, dass wir »selbstbestimmt und mit Menschenwürde« durchs Leben gehen können. Das Datenschutzrecht sei die »einzige zentrale Grundregel im digitalisierten Leben«, ein Leben, dass wir Smartphonebesitzer und Online-Einkäufer ja führten. Und vielleicht kann man auch diese Debatte um Datenschutz, Privatsphäre und die Frage, was wir wem preisgeben gar nicht hoch genug hängen.

Plädoyer für Transparenz

Albrecht jedenfalls bemüht sich zu erklären, was seine Arbeit bedeutet, was ihn antreibt. Er fasst kurz noch einmal Snowden zusammen, skizziert Überwachungsmechanismen, vor allem aber skizziert er noch einmal die Lage, in der sich die aktuelle Datenschutzgesetzgebung befindet – undurchsichtig, von Lobbyisten geprägt und vor allen Dingen Jahre hinter der Entwicklung her.

Albrecht gibt sich in dem Buch als Aktivist, als einer, der gegen Missstände vorgeht, als einer, der immer die Menschenwürde und die das Leben der Menschen vor Augen hat. Er fordert vor allem eines: Transparenz. Dass Anbieter von Diensten die User darüber informieren müssen, welche Daten sie abgreifen und wofür sie diese verwenden, und er fordert mehr Anonymität im Netz. Letztendlich möchte er den User mündig machen, ihm selbst die Möglichkeit geben zu bestimmen, wer wann was über ihn weiß.

Zu informiert

›Finger weg von unseren Daten‹ ist ein sehr informiertes Buch, und, im Gegensatz zu dem, was der Verlag verspricht, auch ein ausgewogenes, das seinen Standpunkt nicht allzu sehr in der Gegend herumschreit. Problematisch ist zum Einen genau das – Albrecht weiß viel über sein Thema, ist informiert und versucht, alle diese Informationen in das schmale Taschenbuch zu drücken, so dass es unstrukturiert wirkt, eher ein Monolog als tatsächlich informativ. Das größere Problem des Buches beginnt aber gegen Mitte, als Albrecht sich bemüht zu erläutern, was genau er im EU-Parlament für den Datenschutz tut. Ohne Frage tut er wichtiges – und versucht, das in ›Finger weg von unseren Daten‹ auch zu erklären. Tatsächlich aber zeichnet er eher das Bild eines Aktivisten, der im komplexen Dschungelgeflecht es EU-Parlaments zwar daran arbeitet, dass es alles besser wird, dort aber auch verloren geht, hier einen Antrag einreicht, da mal mit jemandem spricht, am Ende vielleicht sogar ein Ergebnis hat – aber eben keinen Drive. Das spiegelt sich in dem Buch wieder, so dass am Ende sämtlicher – durchaus vorhandener – Idealismus sich in notwendig kleinteiligen Erklärungen verliert.

| JAN FISCHER

Titelangaben
Jan Philipp Albrecht: Finger weg von unseren Daten. Wie wir entmündigt und ausgenommen werden
München: Knaur 2014
190 Seiten. 7 Euro

Reinschauen
Homepage von Jan Albrecht

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Folkdays aren’t over – Ulrika Bodén Band & Lisa Lestanders

Nächster Artikel

Ah! jetzt! ja! Ah! jetzt! ja!

Weitere Artikel der Kategorie »Gesellschaft«

So fremd, so vertraut

Gesellschaft | Christine Ax: Reise ins Land der untergehenden Sonne. Japans Weg in die Postwachstumsgesellschaft Wir erhalten einen Einblick, wie viel anders eine Gesellschaft sein kann, die wir ohne viel nachzudenken zu den Industriegesellschaften zählen. Japan ist eine etablierte Industriegesellschaft im Kreis der G7 und der G20, und Christine Ax zeigt uns in ihrem schmalen Bändchen, welche besondere Stellung Japan im Kreis dieser Nationen einnimmt. Von WOLF SENFF

China, China, China!

Kulturbuch | Jing Liu: Chinas Geschichte im Comic Die internationalen Beziehungen verändern sich rasant. Was gestern noch unverrückbar erschien, bricht heute zusammen, das betrifft vor allem die globalen Machtzentren: eine zerstrittene EU, eine sich zerlegende USA, ein bedrängtes Rußland und ein noch immer eher rätselhaftes, aber kontinuierlich aufstrebendes China. Von WOLF SENFF

Victoria, Victoria!

Gesellschaft | Antje Schrupp: Vote For Victoria! Preisfrage: Von wem stammt diese Aussage? »Während andere meines Geschlechts zu zeigen versuchen, dass es keinen vernünftigen Grund gibt, warum Frauen in sozialer und politischer Hinsicht als dem Mann untergeordnet behandelt werden sollten, habe ich unerschrocken die Arena der Politik und der Wirtschaft betreten und die Rechte ausgeübt, die ich bereits besaß. Deshalb kündige ich hiermit meine Kandidatur für die Präsidentschaft an.« Die für viele überraschende Antwort (nicht nur darauf) hatte Antje Schrupp schon 2002 in ihrer Dissertation gegeben, jetzt erscheint sie neu, pünktlich zum aktuellen Wahlkampf, als mitreißender Galopp durch ein Stück

Weltverbessern aus dem Stand

Gesellschaft | Susanne Garsoffsky, Britta Sembach: Die ›Alles ist möglich‹-Lüge Das Leben könnte so schön sein, wenn … Das ist der klassische Seufzer derjenigen, die, von plötzlichen Befindlichkeitsstörungen angefallen, für einen Moment die real existierenden Bedingungen des real existierenden Alltags betrachten und vor lauter Schreck beschließen, die Welt zu verbessern. Aus dem Stand. Weil sich sonst nichts ändert. Darauf hat die Welt gewartet. Gut, dass sie einiges gewöhnt ist, die Welt. Von MAGALI HEISSLER

Balltreten satt

Lite Ratur | Wolf Senff: Balltreten satt Leid tun einem die Reporter, oder heißen sie jetzt doch Moderatoren. Berichterstatter? Alle halbe Stunde sind sie gehalten, darauf hinzuweisen, dass die Zuschauer zusätzliches Hintergrundmaterial einsehen und sich sogar Spielszenen einspielen können, echt spitze, aus verschiedenen Blickwinkeln, werden Sie Ihr eigener Regisseur, was für ein Quatsch. Von WOLF SENFF