Eine, zwei, drei, viele Geschichten

Kinderbuch | Ann-Katrin Heger, Dorota Wünsch: Und was machst du jetzt?

Eine Geschichte hat einen Anfang, eine Mitte und ein Ende. Weiß doch jede. Was aber, wenn es einen Anfang gibt und verschiedene Enden? Dann gibt es doch wohl von einem Beginn aus verschiedene Geschichten – nicht nur eine, sondern zwei, drei, viele Geschichten? Wie das geht und wie viel Spaß das macht, zeigen Ann-Katrin Heger und Dorota Wünsch mit ›Und was machst du jetzt?‹ in richtig großem Format. Von MAGALI HEISSLER

jetztDer Held dieses Bilderbuchs ist ein kleiner Junge, mit braunem Haar, runden Augen und Knubbelnäschen. Roter Pulli, blaue Hose. Der Name? Unwichtig. Es kann jeder in seine Rolle schlüpfen. Das lohnt sich, denn es wird abenteuerlich.

»Stell dir vor«, so beginnt jede Geschichte unausgesprochen. Dem folgt eine genau beschriebene Situation in einem einzigen Satz. Etwa, dass man nicht einschlafen kann. Oder, dass alle Freunde auf einmal vor der Tür stehen. Oder, dass die Katze eine lebende Maus bringt. Oder …

Es beginnt recht alltäglich, bald mischen sich ganz verrückte Ausgangssituationen darunter. Ein Krokodil im Gartenteich ist das Geringste dabei. Schließlich kommt die große Frage: Was macht man in so einer Situation? Drei Antworten liefern Autorin und Illustratorin mindestens, einfallsreich, witzig oder auch schräg. Auf was für wunderbare Ideen man kommen kann, wenn man die Fantasie frei spielen lässt.

Wenn es mal so richtig losgeht

Vierzehn Situationen hat sich Heger ausgedacht, in die man als ahnungsloses Kind geraten kann. Jedes Kind wird dem sofort zustimmen. Manche hat es selbst erlebt, Heger kennt Kinder gut. Es gibt Schwieriges und Peinliches. Andere Situationen sind verrückter oder gleich fantastischer Natur. Ein Monster in der Küche! Opa auf dem Dach! Eine Abenteurerin steckt in jedem Kind, warum soll man sie nicht einmal abenteuern lassen? Es passiert einiges, wenn es mal so richtig losgeht.

Nur auf den ersten Blick scheinen die einzelnen Geschichten beliebig, tatsächlich gibt es einen gewissen inneren Zusammenhang. Im Lauf der Abenteuer erfahren wir einiges über den kleinen Helden. Dass er in den Kindergarten geht, etwa, dass Papa auch kochen muss, dass es Großeltern gibt und dass er hin und wieder schusselig ist. Die ganz normale Alltagsgeschichte des Kleinen kann man sich auch ein gutes Stück weit zusammenpuzzlen.

Noch schöner aber sind die fantastischen Abenteuer. Krokodile, Mäuse, Monster oder Räuber sind dabei nur ein Teil des Erzählten. Tatsächlich werden hier auch Kinderängste angesprochen, ausagiert und pfiffige Lösungen angeboten. Das Beste ist, dass an den jeweiligen kindlichen Einfallsreichtum appelliert wird, zugleich aber darauf hingewiesen, dass die Welt der Großen auch Hilfsmittel bereitstellt, derer sich ein Kind freizügig bedienen darf. Das Kind ist nicht alleingelassen, es ist selbstständig und gehört zugleich dazu. Sehr schön zeigt das das große bunte Fest, das sie alle zusammen, Monster inklusive, am Ende feiern.

Seifenblasen, Gedankenblasen

Das Buch ist mit seinen Maßen von 31,4 auf 26,6 Zentimetern sehr groß geraten, für Kinderhände tatsächlich zu groß. Ohne feste Unterlage lässt sich das kaum lesen. Dorota Wünsch aber nützt die große Fläche zum Besten. Zum äußerst sparsamen Text, der als Banner und in klar abgegrenzten Kästchen auf den Seiten verteilt ist, sind die Lösungsvorschläge des jeweiligen Problems innerhalb von Kreisen illustriert, die wie exakte Blasen über die Seiten schweben. Das erinnert gleichermaßen an bunt schillernde Seifenblasen wie an die Gedankenblasen in klassischen Comics, ein zusätzliches Vergnügen. Eigene Gedanken entwickeln, der Fantasie freien Lauf lassen, auch bildlich ist der Grundgedanke immer da.

Figuren und Gegenstände sind aufs Wesentliche reduziert, trotzdem immer erkennbar und verleihen noch dem schrecklichsten Abenteuer eine harmonische Grundstimmung. Rund bedeutet gemütlich, ohne dass es süßlich würde. Einzelne Motive bilden im Hintergrund Muster, blasser in der Farbgebung, die im Vordergrund stark und auffällig ist. Sie bindet das Interesse sofort. Die Gesichter, die die Figuren schneiden, gleich, ob Mensch, Tier oder Fabelwesen, sind einfach lustig.

Die Geschichte lädt von der ersten Seite an ein, sie gemeinsam zu lesen und auch, weitere Lösungen für die möglichen und unmöglichen Situationen gemeinsam zu erfinden.

Einziger Einwand: Die Großmutter ist ein wenig konventionell geraten. Einen Dutt tragen heute Teenager, seltsam formlose Blümchenkleider Zwanzigjährige. Es ist höchste Zeit, dass wir uns von dem klassischen Oma-Bild in Bilder– und Kinderbüchern verabschieden. Was hier sitzt, ist schon die Ur-Großmutter. Mindestens.
Insgesamt aber ist dieses Bilderbuch eine wunderschöne Überraschung, ganz eigen, lustig ausgedacht und zeichnerisch umgesetzt und wird nicht nur Kindern viel, viel Spaß machen.

| MAGALI HEISSLER

Titelangaben
Ann-Katrin Heger, Dorota Wünsch: Und was machst Du jetzt?
Hamburg: Ellermann 2014
40 Seiten. 12,99 Euro
Bilderbuch ab 5

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