Die Banalität des Guten – Vorabdruck

Roman | Manfred Wieninger: Die Banalität des Guten

Anfang Oktober erscheint Manfred Wieningers Roman in Dokumenten ›Die Banalität des Guten‹. Lesen Sie auf TITEL kulturmagazin das erste Kapitel im Vorabdruck:

Das Wilnaer Ghetto war eine Todeszelle, wie soll ich es sonst nennen.
Hermann Adler

Die_Banalität_des_Guten_Cover-350Mit der gemäß den Vorschriften für eine Vollstreckung gebotenen Schnelligkeit wird Feldwebel Anton Schmid am Nachmittag des 13. April 1942 durch vier Mann des eingeteilten Wachpersonals aus seiner Zelle im ersten Stock des Wehrmachtsgefängnisses in der St. Stephan-Straße in Wilna geholt. Eiligen Schrittes folgt der katholische Feldgeistliche Fritz Kropp, der die letzten Stunden mit dem Gefangenen verbracht hat, dem zusammengezwungenen Quintett, ein Wehrmachtsgebetbuch wie einen unvollkommenen Schild gegen all das Böse mit beiden Händen gegen die Brust gepresst. Der Feldwebel, ein kräftiger 42-jähriger Mann mit vollem braunem Haar und einem dichten Schnauzbart, wirkt gefasst. Trotzdem wurden ihm, wie es das Dienstreglement vorsieht, Handfesseln angelegt. Eingekeilt zwischen die Feldgrauen, aber erhobenen Hauptes verlässt er das Gebäude und tritt in einen relativ großen Hof an der Rückseite des Gefängnisses. Dort warten aus Abschreckungsgründen nicht nur sämtliche Kameraden aus seiner Gemeinschaftszelle, Strafgefangene der Wehrmacht wie er, sondern auch ein Sanitätsoffizier und ein Mitglied des Feldgerichtes der Feldkommandantur 814 (V). Vor allem aber warten dort ein Vollzugkommando aus zehn Schützen samt dem das Vollstreckungsverfahren leitenden Wehrmachtsoffizier sowie weitere schwerbewaffnete Soldaten zur Komplettierung der Vollzugsabteilung. Es gibt nichts, was Deutsche dem Zufall überlassen.

Obwohl Schmids Schritte auf dem Pflaster des Hofes merklich kürzer und langsamer werden wollen, ist der Feldwebel noch immer erstaunlich ruhig. Seine – Schwierigkeiten bei Vollstreckungen gewohnten – Wärter, die seine Arme streng gefasst halten und seinem Oberkörper und seinen Hüften in ihrer Mitte kaum Spielraum lassen, beginnen sich zu wundern. Zumal es nun auf den Richtpfahl zugeht, der vor einer übermannshohen, massiven Ziegelmauer, welche das südwestliche Ende des Hofes abschließt, in den Boden gerammt ist. Die Ziegelsteine, die Mörtelfugen tragen die Spuren von hunderten, ja aberhunderten Karabiner- und Pistolenkugeln. Wenn es sein muss, kennt die Feldkommandantur 814 (V) keinen Pardon mit den eigenen Soldaten (ebenso wenig wie mit sowjetischen Kriegsgefangenen, Juden, Kommunisten, Polen und so weiter). Die zahlreichen Einschüsse in der Mauer sind jedenfalls nicht zu übersehen. Nicht vom Wachpersonal, das Schmid eskortiert, nicht vom Feldwebel selbst. Die Flasche Likör, die ihm seine Frau Stefanie vor einiger Zeit aus Wien geschickt hatte und die ihm nun das Sterben vielleicht ein klein wenig erleichtert hätte, war ihm gemäß den Vorschriften nicht ausgehändigt worden.

Nun erreicht er, eingezwängt zwischen den Wachen, den Richtplatz im engeren Sinne. Gemäß den Vorschriften lässt der das Vollstreckungsverfahren leitende Offizier die Vollzugsabteilung mit »Gewehr über« stillstehen. Auch Schmids Zellengenossen haben sich diesem Kommando zu fügen. Sie tun es mit bleichen, toten Gesichtern. Die zehn Mann des Vollzugskommandos stehen still mit »Gewehr ab«. Schmids Wärter binden ihn vorschriftsgemäß – Strick unter den Armen durchziehen – an den Richtpfahl, dann nehmen sie ihm die Handfesseln ab. Der das Vollstreckungsverfahren leitende Offizier entscheidet, dass Schmid gefaßt genug erscheint, um mit unverbundenen Augen zu sterben. Das übrige Wachpersonal steht, da es an diesem 13. April 1942 wegen der Gefasstheit des Verurteilten und der verzweifelten Apathie seiner zwangsweise angetretenen Mitgefangenen nicht eingreifen muß, ebenfalls still. Während Schmid sich noch immer bewunderungswürdig aufrecht hält, verliest der Kriegsrichter mit desinteressierter Kanzleistimme die Urteilsformel und die Bestätigungsverfügung. Daraufhin erhält der Wehrmachtsgeistliche Kropp ein letztes Mal Gelegenheit zum Zuspruch. Feldwebel Anton Schmids letzte Worte sind das Vaterunser, das er gemeinsam mit dem sichtlich bewegten Kriegspfarrer betet. Sobald der Geistliche und das Wachpersonal zurückgetreten sind – letzteres tritt, Ordnung muss beim Töten sein, am linken Flügel der Vollzugsabteilung ein – läßt der das Vollzugskommando befehligende Offizier auf einen Wink des das Vollstreckungsverfahren leitenden Offiziers durch Kommando entsichern, anlegen und feuern. Anschließend läßt er die Vollzugsabteilung kehrt machen und rühren. Um 15 Uhr stellt der Sanitätsoffizier den Tod des Feldwebels fest und meldet ihn dem Kriegsrichter und dem leitenden Offizier. Ein sogenannter Gnadenschuss, wenn die Lage der Schüsse nicht den alsbaldigen Eintritt des Todes gewährleistet, ist nicht erforderlich. Der ältere Unteroffizier der Vollzugsabteilung, der sich und seine Pistole 08 für die Abgabe eines solchen bereit gehalten hatte, atmet erleichtert auf.

Aus Abschreckungsgründen, wie es im Dienstreglement heißt, haben die anwesenden Wehrmachtsstrafgefangenen, Schmids Kameraden aus der Massenzelle, den Richtplatz wieder in Ordnung zu bringen. Befehlsgemäß binden sie den toten Körper los, legen ihn in einen bereit gehaltenen Sarg aus rohen Brettern und hieven ihn auf die Ladefläche eines Opel Blitz der Wehrmachtsfeldkommandantur. Nach dem Einsargen haben sie auch noch Richtpfahl und Blutspuren zu beseitigen.

Versteckt hinter Gebüsch und ein paar Abfalltonnen auf einem im Norden an den Hof des Wehrmachtsgefängnisses anschließenden Grundstück hat ein polnischer Bub das grausame Geschehen verfolgt. Er wird noch lange Jahre davon erzählen, wie aufrecht, wie ruhig der deutsche Feldwebel mit dem Schnurrbart seinem Tod entgegen getreten ist.

| MANFRED WIENINGER

Titelangaben
Manfred Wieninger: Die Banalität des Guten
Wien: Verlag Theodor Kramer Gesellschaft 2014
192 Seiten, 21 Euro

Buchpräsentation
mit dem Theodor Kramer Preisträger 2013
Manfred Wieninger: Die Banalität des Guten. Feldwebel Anton Schmid

Donnerstag, 2. Oktober 2014, 19 Uhr
Ehemalige Synagoge St. Pölten
Dr. Karl Renner-Promenade 22
3100 St. Pölten

In Zusammenarbeit mit dem Institut für jüdische Geschichte Österreichs.

Programm:
Martha Keil (Institut für jüdische Geschichte Österreichs): Begrüßung und einführende Worte
Konstantin Kaiser (Geschäftsführer der Theodor Kramer-Gesellschaft, Herausgeber der Zeitschrift Zwischenwelt) im Gespräch mit Manfred Wieninger
Maria Harpner liest aus dem Buch.

1 Comment

Schreibe einen Kommentar zu »Guter Nazi, böser Nazi?« Antwort abbrechen

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Vorsicht vor Frauen und Schnaps

Nächster Artikel

The Aphex Twin Returns!

Weitere Artikel der Kategorie »Roman«

Eine Frage der Ehre

Roman | Loraine Peck: Der zweite Sohn

Die Novaks sind 1980 aus Kroatien nach Australien ausgewandert. In der zu Sydney gehörenden westlichen Vorstadt Liverpool City kontrollieren sie inzwischen den Handel mit Partydrogen und waschen Geld aus Erpressung und Raubüberfällen über die zehn in ihrem Besitz befindlichen und von Landsleuten geführten Fischgeschäfte. Als eines Morgens Ivan, der ältere der beiden Söhne von Clanchef Milan, vor seinem Haus erschossen wird, erwartet die Familie von Johnny, dem Jüngeren, dass er den Bruder rächt. Aber Johnny, der in den Augen seines Vaters immer der schwächere Zweitgeborene war, zweifelt daran, dass hinter dem Mord die serbische Konkurrenz steckt, die die Novaks aus ihren Geschäften drängen will. Und da er sich ohnehin Sorgen um seine Frau Amy und Sohn Sasha macht, würde er am liebsten aus dem Familiengeschäft aussteigen. Doch um einen letzten Job kommt er nicht herum. Von DIETMAR JACOBSEN

Anders und doch ähnlich

Roman | Maxim Biller: Mama Odessa

»Im Mai 1987 – ich war erst sechsundzwanzig Jahre alt – schrieb mir meine Mutter auf einer alten russischen Schreibmaschine einen Brief, den sie nie abschickte.« Mit diesem Satz eröffnet Maxim Biller seinen äußerst facettenreichen, stark autobiografischen Roman Mama Odessa, der um eine komplizierte, aber liebevolle Mutter-Sohn-Beziehung und um das Gefühl des Fremdseins kreist. Von PETER MOHR

Leben in einer Wirklichkeits-Doublette

Roman | Wilhelm Genazino: Kein Geld, keine Uhr, keine Mütze Wilhelm Genazino, der am 22.01.2018 seinen 75. Geburtstag feierte, spricht im Rückblick über seine Schriftstellerlaufbahn von »einem konventionellen, langsamen bürgerlichen Aufstieg«.  2001 hatte Marcel Reich-Ranicki im Literarischen Quartett des ZDF die Werke des gebürtigen Mannheimes hochgelobt, drei Jahre später gab es den öffentlichen Ritterschlag durch die Verleihung des Georg-Büchner-Preises.Von PETER MOHR

Jagd auf den Weltwundermacher

Roman | Arne Dahl: Kaltes Fieber

Mit Kaltes Fieber setzt der schwedische Bestsellerautor Arne Dahl seine Reihe um die Stockholmer Kriminalistin Eva Nyman und ihr vierköpfiges Team von Spezialisten fort. Diesmal bekommt man es mit einem Täter zu tun, der sich offensichtlich vorgenommen hat, mit seinen Morden die sieben Weltwunder der Antike zu illustrieren. Ist es ein Künstler, der da – akribisch und mit exakten Maßstäben arbeitend – brutal getötete Menschen und spektakuläre Bauwerke zu mörderischen Tableaus vereinigt? Und welche Rolle spielt dabei jene Motorrad-Gang, die schon in Stummer Schrei, dem Vorgängerband der neuen Thriller-Reihe von Dahl, auftauchte und für gehörig Trouble sorgte? Von DIETMAR JACOBSEN

»Death sells« – Der Tod als Marketinginstrument

Roman | Musik | Hollow Skai: Samuel Hieronymus Hellborn – Memoiren eines Rockstar-Mörders Bei David Bowie oder Lemmy Kilmister hatte er seine Finger nicht im Spiel. Das kann aber purer Zufall sein: als die starben, war er selbst schon tot. Bei praktisch allen anderen Big Names aus der Branche »populäre Musik« dagegen hat sich Samuel Hieronymus Hellborn zum Herrn über (Markt/Nach-)Leben & Tod aufgespielt. Wie und warum, das hat Hollow Skai soeben veröffentlicht: in den ›Memoiren eines Rockstar-Mörders‹, nach Diktat von Hellborn persönlich. Von PIEKE BIERMANN