»Der Dude packt das!«

Roman | Rainer Schmidt: Die Cannabis GmbH

Romane übers Kiffen und Gras gibt es in Deutschland zuhauf. Rainer Schmidt hat jetzt den ersten geschrieben, der Unterhaltung und Aufklärung verbindet. MARTIN SPIESS hat ihn gelesen.

Cannabis›Die Cannabis GmbH‹ hätte zu keinem besseren Zeitpunkt erscheinen können: Bei einer Tagung in Frankfurt am Main Mitte November sprach sich der Schildower Kreis für eine Liberalisierung des Kiffens aus. Der Zusammenschluss von rund 120 Strafrechtsprofessoren fordert eine neue Drogenpolitik: Das Betäubungsmittelgesetz sei verfassungswidrig und den Konsum von Cannabis unter Strafe zu stellen, so Schildower-Kreis-Sprecher und Rechtsprofessor Lorenz Böllinger, verstoße gegen das Prinzip der Verhältnismäßigkeit.

Die Frage, was der Dude, Protagonist von Rainer Schmidts drittem Roman ›Die Cannabis GmbH‹, wohl dazu sagen würde, erübrigt sich. Denn die Forderung der Juristen schlägt in dieselbe Kerbe, in der auch die Philosophie des Dude zu Hause ist. Er sieht sich nicht als Krimineller, er stellt ein hochwertiges Genussmittel her. Zusammen mit seinem Bruder und seinen Kumpels No Brain und dem Kleinen baut er erst absolutes Öko-Gras an, mit Brennnesselsud und Käfern gegen Ungeziefer, schwenkt dann aber um und produziert in größerem Stil: Mit kontrolliertem Einsatz von Chemie, Dünger, automatisierter Bewässerung, Luft und Licht.

Aufklärung tut Not

Dass er etwas Illegales tut, schiebt er von sich weg. Es geht ihm darum, Menschen glücklich zu machen. Warum, fragt er sich, ist Alkohol legal, Cannabis aber nicht? Warum verliert jemand seinen Führerschein, wenn Cannabis im Blutserum nachgewiesen wird? Weil man als potenzielle Gefahr gilt? Mit derselben Logik, sagt der Kleine in einem Gespräch, müsste man jemandem den Führerschein entziehen, weil er eine Flasche Wein im Kofferraum hat.

›Die Cannabis GmbH‹ ist natürlich auch ein Unterhaltungsroman. Es geht um verkiffte Helfer auf der Plantage, die ganze Ernten absaufen lassen. Um Fahrer, die ausfallen. Um den miesepetrigen Bauern Petersen und dessen allzu neugierige Söhne vom Nachbargrundstück. Um den Bruder des Dude, der im Koks versinkt und sich in abstruse Verschwörungstheorien versteigt. Dabei gerät Schmidts Schreibstil oder Erzählhaltung niemals ins Fahrwasser typischer Kifferklischees.

Das Buch ist aber genauso ein in Deutschland lange überfälliger Aufklärungsroman. Die Debatten, die vor allem der Kleine und der Dude miteinander führen, sind die Debatten, die nach und nach auch von Juristen und Medizinern geführt werden: Jährlich sterben in Deutschland 70.000 Menschen an Alkohol, aber weil es Tradition hat, wird mit zweierlei Maß gemessen? Anstatt Cannabis zu legalisieren, den Anbau zu reglementieren und zu überwachen, Qualitätskontrollen einzuführen und wirksamen Jugend- und Verbraucherschutz betreiben zu können, indem man verhindert, dass minderjährige Konsumenten (noch dazu minderwertiges) Cannabis kaufen können, ist es nach wie vor illegal.

On the Road – nächste Ausfahrt: Diskurs

Schmidt lässt den liberalen Anwalt Steintal an einer Stelle sagen: »Es gibt Zehntausende Tote jedes Jahr durch die Folgen des Alkoholkonsums, Tausende durch Promille befeuerte Autounfälle, Schlägereien, Vergewaltigungen, Morde, Millionen ausgefallener Arbeitsstunden, aber der gesellschaftliche Konsens ist: Egal, das nehmen wir in Kauf. Dagegen ist auch nichts zu sagen. Aber dann kann man natürlich keinem normalen Menschen erklären, warum der Konsum des harmloseren Cannabis eine Straftat sein soll. Oder der Anbau.«

›Die Cannabis GmbH‹ ist am Ende eine perfekte Mischung aus Roadmovie und gesellschaftlichem sowie juristischem Diskurs über Cannabis. Man weiß von Anfang an, dass der Dude am Ende gefasst wird, und macht einem den Abschied von diesem sympathischen Buchhelden aber nur umso schwieriger. Diesem – Verzeihung, aber das Bild passt zu gut – Robin Hood in grüner Kluft, der den Menschen gibt, was sie brauchen: Genuss. (Der echte Dude, der 43-jährige Familienvater, den Schmidt ein paar Wochen vor dessen Berufungsverhandlung auf einer Party kennenlernte und der ihm seine Geschichte erzählte, verbüßt derzeit eine mehrjährige Haftstrafe.)

Wie es dem echten Dude ergeht, wenn er aus der Haft entlassen wird? Man hofft irgendwie darauf, dass er es seinem Namensgeber, der Hauptfigur aus ›The Big Lebowski‹, gleichtun wird, dessen letzter Satz im Film ist: »Der Dude packt das.«

| MARTIN SPIESS

Titelangaben
Rainer Schmidt: Die Cannabis GmbH
Berlin: Rogner&Bernhard 2014
352 Seiten, Euro 22,95

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Notlösung

Nächster Artikel

Hilla in der großen bösen Welt

Weitere Artikel der Kategorie »Roman«

Nach dem Krieg ist vor dem Krieg

Roman | Andreas Pflüger: Ritchie Girl

Nach seinen drei hochgelobten Bänden um die blinde Elitepolizistin Jenny Aaron steht im Mittelpunkt von Andreas Pflügers neuem Roman Ritchie Girl erneut eine Frau. Paula Bloom – ausgebildet in Camp Ritchie in Maryland, daher der Romantitel – gehört zu den Angehörigen des Womans Army Corps (WAC), einer speziellen, 1943 gegründeten Armeeeinheit, in der Frauen, die die USA im Krieg gegen Hitlerdeutschland aktiv unterstützen wollten, ihren Platz fanden. Zumeist in der Etappe, als Schreibkräfte, in Lazaretten oder – wie in Paulas Fall – als Dolmetscherinnen eingesetzt, war ihre Stellung doch nicht unumstritten in Zeiten, in denen man den Platz von Frauen meist noch am heimischen Herd verortete. Von DIETMAR JACOBSEN

Ermittlungen im Exil

Roman | Deon Meyer: Todsünde

Kapstadts Spezialeinheit zur Aufklärung von Tötungs- und Gewaltdelikten ohne Bennie Griessel und Vaughn Cupido? Undenkbar. Und doch müssen Deon Meyers Helden in ihrem achten Fall nicht nur erneut gegen die Zeit und einen raffinierten Feind, sondern auch um ihre Reputation kämpfen. Aus disziplinarischen Gründen hat man sie nämlich degradiert und in die Universitätsstadt Stellenbosch abgeschoben. Dort halten sie zwei Vermisstenfälle auf Trab. Dass die mit der Ermordung eines Polizisten in Kapstadt zusammenhängen, der Korruptionsfällen im Sicherheitsapparat auf die Spur gekommen ist, scheint zunächst nur eine Vermutung zu sein. Aber Griessel und Cupido beginnen, Zusammenhängen nachzuforschen- wenn sie Erfolg haben, könnte das ihren Ruf vielleicht wiederherstellen. Von DIETMAR JACOBSEN

Er liebt mich, sie liebt mich nicht und alles ist doch einerlei

Roman | Yasmina Reza: Glücklich die Glücklichen Die französische Schauspielerin und Autorin Yasmina Reza bringt in ihren Theaterstücken Dreimal Leben (2000) oder im Gott des Gemetzels (2006) Szenen aus dem scheinbar so harmlosen Alltag auf die Bühne. Als ganz großes »Theater«. Auch in ihrem neuen Roman Glücklich die Glücklichen beleuchtet sie wieder dieses alltägliche Nebenbei in Begegnungen, Beziehungen. Ob auch diesmal wieder aus dem Einerlei von Paaren, ihren Diskussionen, ihrem antrainierten Schweigen, ihrer Flucht in Affären Mord und Totschlag entsteht, fragt HUBERT HOLZMANN.

Sex, Lügen und Machtspiele

Roman | Anna Prizkau: Frauen im Sanatorium

Gebrochene Biographien, Missbrauchserlebnisse und seelische Verwundungen zeichnen alle Frauen im Sanatorium aus. Doch was den Anschein einer Heilanstalt zu wahren versucht, entpuppt sich als Brutstätte für Lügen und trügerische Behauptungen. Anna Prizkaus Debütroman spielt virtuos mit vielstimmigen Versionen von Lebensentwürfen und ihrem Scheitern. Von INGEBORG JAISER

Sex, Lügen und Schwindel-Attacken

Roman | Leïla Slimani: All das zu verlieren Die Pariser Journalistin Adèle ist Mitte dreißig und kultiviert ihre Blässe und Ausgezehrtheit als Ausdruck der Selbstdarstellung – doch sie droht, an ihren verborgenen Obsessionen zu zerbrechen. Im Hintergrund lauert stets das Wissen um die Brüchigkeit ihrer Existenz, die vernichtende Angst, All das zu verlieren: Ehe und Mutterschaft, Beruf und Lebensstil. Leïla Slimani entwirft ein zeitgenössisches Sittenbild mit all seinen Rissen und Verwerfungen. Von INGEBORG JAISER