Marjaleena Lembcke: Eva im Haus der Geschichten / Maja Hjertzell: I love you, Viktoria Andersson
Beziehungen unter Menschen sind alles andere als einfach, diese Erfahrung müssen schon kleine Kinder machen. Manchmal liegt es daran, dass man ein Bild von den anderen hat, das mit der Wirklichkeit wenig zu tun hat. Wenn man dieses Bild geraderückt, kann man zusammenfinden. Davon erzählen Marjaleena Lembcke und Maja Hjertzell auf ihre jeweils ganz besondere Weise überzeugend und wunderschön. Von MAGALI HEISSLER
Die achtjährige Eva, die Protagonistin in Lembckes neuestem Kinderbuch ›Eva im Haus der Geschichten‹ muss mit einer schweren Enttäuschung fertig werden. Der Urlaub mit ihrer Mutter fällt aus, Mama muss für eine Kollegin einspringen. Stattdessen soll Eva die Herbstferien mit Onkel Oliver verbringen. Den kennt sie doch kaum!
Onkel Oliver ist zunächst wirklich ein wenig merkwürdig. Er hat kein Auto, in seiner kleinen Wohnung ist kaum Platz für Eva, die Küche enthält kein kindgerechtes Essen, es gibt keine Spielsachen. Dafür liegen überall Papiere, Bücher und sonstiger Kram in Stapeln herum. Unordnung ist nicht Evas Sache.
Es stellt sich aber heraus, dass Onkel Oliver gute Ideen hat. Eine davon ist, jedes Mal Geschichten zu erzählen, wenn die Stimmung sich ein bisschen eintrübt.
Geschichten, die es in sich haben
Lembcke schildert Evas unvorhergesehene Ferienerlebnisse in ihrer vertrauten schlichten Art und gibt ihnen nach wenigen Seiten schon Tiefgang. In Onkel Olivers Geschichten geht es um Beziehungen, gleich, ob sie von einem alten Mann und seinem Spazierstock oder von einer Prinzessin und dem Prinzen handeln. Eva findet sich darin wieder, denn tatsächlich hat sie immer noch nicht verarbeitet, dass ihre Eltern getrennt leben. Sie stellt sich heimlich so manche Frage über das Familienleben. Aber auch ihr Onkel hat seine Probleme.
Die Geschichten bewirken, dass Eva und ihr Onkel ins Gespräch kommen, über Familie, über Liebe und darüber, wie kompliziert das alles sein kann. Das wird sehr ernsthaft abgehandelt. Gerade die Ernsthaftigkeit, mit der Lembcke mit ihrem jungen Publikum umgeht, hat zur Folge, dass die sich entwickelnde Wärme in der Beziehung ihrer Hauptfiguren auch auf die Leserinnen wirkt.
Man muss nicht in einer Wohnung zusammenleben, um zusammenzugehören, lernt Eva. Sie lernt aber auch, dass es besser ist, etwas zu trennen, was einfach nicht zusammenpasst. Es sind große Gedanken, die den kleinen Leserinnen hier geboten werden. Ein wenig traurig ist es durchaus, was Eva von ihrem Onkel erfährt. Ein besonderes Geheimnis, das Oliver noch dazu vor seiner kleinen Nicht hat, macht das Ganze dann wieder kuschelig. Das gerät ein wenig zu schön, um wahr zu sein, passt aber sowohl zur angezielten Altersgruppe als auch zu Evas frischer und liebevoller Art, auf Menschen zuzugehen.
Stürmisch
Die Eltern der neunjährige Linn in Maja Hjertzells Roman ›I love you, Viktoria Andersson‹ haben sich erst vor Kurzem getrennt. Sie ist mit ihrer Mutter in eine andere Wohnung gezogen und besucht eine andere Schule. Linn fühlt sich einsam, aber sie will kein Mitleid, sie ist eine Kämpferin. Dummerweise hat sie den Unterschied zwischen Selbstverteidigung und blinder Abwehr noch nicht gelernt. Ebenso ungeschickt ist sie, wenn es darum geht, anderen ihre Zuneigung zu zeigen. Sie sehnt sich so nach Zuwendung, dass sie sich im Überschwang aufdrängt. Die daraus resultierende Zurückweisung beantwortet sie mit Frechsein und Ablehnung.
Besonders verzwickt ist die Beziehung zu ihrer Mutter. Die möchte Linn etwas Gutes tun und plant eine Mädchenparty in rosarot und Goldglitzer, damit Linn endlich Freundinnen findet. Linn hasst schon den Gedanken daran. Stürmische Zeiten stehen bevor, aber was tatsächlich herbeigeblasen wird, ist frischer Wind in Person von Viktoria Andersson, der Fahrerin eines Bücherbusses. Sie verändert nicht nur Linns Leben.
Von der Liebe
Auf seine ganz spezielle Art ist Hjertzells Buch ein echter Liebesroman. Es geht darum Liebe zu finden, Liebe zu geben und anzunehmen. Es geht aber auch darum, Gefühle zu kanalisieren und zu kontrollieren. Das müssen die Erwachsenen um Linn ebenfalls lernen, angefangen von ihrer Mutter über die grimmig-verbitterte alte Nachbarin Runa bis zu Viktoria Andersson. Trotz ihrer Lebenstüchtigkeit ist auch sie nicht vor Problemen mit der Liebe gefeit. Wahre Liebe bringt Selbsterkenntnis und macht mutig, erfahren die kleine Leserinnen.
Die Kehrseite davon ist, dass man sich seinen weniger schönen Charakterzügen stellen muss, die eigenen Irrtümer erkennen und unter Umständen auch Unangenehmes tun, sich entschuldigen, etwa, oder sich durchsetzen. Umkehren, wenn man fortgelaufen ist, was Linn tatsächlich einmal tut.
Hjertzell gelingt es auf beeindruckende Weise, diese Erfahrungen nicht nur ihre kindliche Hauptfigur machen zu lassen, sondern auch die Erwachsenen. Unaufdringlich vermittelt sie, dass die Generationen zusammengehören, in ihren Fehlern wie in ihren Großtaten, egal, ob sie verwandt sind, befreundet oder einfach Nachbarinnen. Man lernt voneinander und miteinander und das Lernen hört nicht auf, wenn man die Gemeinschaft erhalten will. Das ist ein neuer und äußerst erfreulicher Ton im Kinderbuch. Der Fokus erweitert sich, es geht nicht mehr nur um kleinste Einheiten oder spezielle Gruppen, z.B. nur Kinder.
Das Buch ist auffallend liebevoll ausgestattet, außen wie innen. Auch hier war Liebe am Werk und die sollte man beim Lesen der äußerst gelungene Geschichte von Linn und Viktoria Andersson gleichfalls genießen.
Titelangaben
Marjaleena Lembcke: Eva im Haus der Geschichten
147 Seiten. 12,90 Euro.
St. Pölten: Residenz Verlag 2014
Kinderbuch ab 8 Jahren
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Maja Hjertzell: I love you Viktoria Andersson (2011 I love you Viktoria Andersson, a.d. Schwedischen übers. von Maike Dörries): Vignetten von Eva Schöffmann-Davidow
122 Seiten. 11,99 Euro.
Stuttgart: Gabriel bei Thienemann 2014
Kinderbuch ab 9 Jahren
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