Comic | Eric Stephenson / Nate Bellegarde: Nowhere Men 1: Schlimmer als der Tod
Die Comicreihe ›Nowhere Men‹ erklärt Wissenschaft zu Rock ’n‘ Roll – und weist als vielschichtiges Drama weit über das ihr zugrunde liegende Science Fiction-Fach hinaus. Bei Cross Cult liegt der erste Band der Reihe nun in deutscher Übersetzung vor. Und der rockt! Von CHRISTIAN NEUBERT
Ein Verbund von herausragenden Wissenschaftsgrößen als interdisziplinäres kreatives Leistungskonglomerat: In der Comicreihe ›Nowhere Men‹ sind die genialen Denker Dade Ellis, Simon Grimshaw, Emerson Strange und Thomas Walker die Helden einer ganzen Generation. Von ihren normalsterblichen Zeitgenossen wie ansonsten nur Rockstars, Topmodels oder Schauspieler verehrt, zieren sie die Covers von Lifestylemagazinen – wenn sie nicht gerade in der Schaltzentrale ihres eigenen Konzerns World Corp. daran arbeiten, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Ihre bahnbrechenden Erfindungen verheißen der Menschheit eine segensreiche Zukunft.
Gelebte Utopie
So viel also zu noblen Gedanken und zur gelebten Utopie. Natürlich sieht das in der (Comic-)Realität bald anders aus. Denn, wir ahnen es: Auch unter Genies herrscht nicht nur Friede, Freude, Eierkuchen. Je nach individueller Vorstellung gehen die Visionen von einer besseren Welt stark auseinander, und so ein Vordenker ist auch nicht frei von Eitelkeiten. Zumal in der Parallelrealität des Comics ebenfalls mit Geld bezahlt wird.
Der jugendliche Idealismus und der forsche Optimismus der unternehmerischen Anfangstage weichen schnell einem moralischen Relativismus, der wiederum Resultat vielversprechender Marketingkonzepte ist. Mal ganz davon abgesehen, dass auch die Epigonen und Trittbrettfahrer mit Ideen und Innovationen aufwarten und einen Teil des Kuchens für sich beanspruchen …
Die sich über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten erstreckende Erzählung von ›Nowhere Men‹ beginnt in den technikgläubigen Sechzigern und greift mit der Stilisierung von Forschern zu Szenegrößen ein aktuelles Phänomen auf: Dass Wissenschaftler bereits zu Lebzeiten zu Ikonen werden, kennt man – von Einstein einmal abgesehen – erst seit Bill Gates, Mark Zuckerberg und Stephen Hawking. Indem sich der Comic auf diese Weise in der tatsächlichen Lebenswirklichkeit verankert, ist das narrative Fundament der Comicreihe klug arrangiert. Den distanzierten und fokussierten Blick der Wissenschaft darüber hinaus mit Emotionen und Intrigen zu konterkarieren, ist dabei nicht nur folgerichtig, sondern schlicht nötig für eine packende Story. Und mit einer solchen, oh ja, wartet ›Nowhere Men‹ auf. Abseitige Drogenköche, die aufgrund der Popularität von Wissenschaftsgrößen zum Bestandteil der hippen Subkultur werden, sind dabei nur der Anfang: Pervertierte Experimentierfreude und Gentechnologien haben die frühen World Corp.-Mitglieder nicht nur in ihrem Denken verändert …
Gestorbene Utopie
Dargeboten bekommt man als Leser die weitverzweigte, sich langsam erschließende Story durch sprunghaft aneinandergereihte Episoden, die durch Auszüge aus Fachmagazinen, Interviews oder großformatigen Werbeanzeigen für Produkte aus dem Hause World Corp. unterbrochen werden. Innerhalb dieser streuen die Macher immer wieder Hinweise, die undurchsichtig bleibende Comic-Dialoge mit Bedeutung aufladen und einen die manchmal kryptisch wirkenden Handlungsstränge auf spannende Weise erschließen helfen.
Klar macht es diese Herangehensweise dem Leser nicht leicht, von Anfang an durchzublicken. Belohnt wird man dafür aber mit einer vielschichtigen, genreübergreifenden Geschichte, deren einzelne Fäden einen immer mehr um den Finger wickeln. Übrigens auch auf der grafischen Seite: Die filigran gezogenen Silhouetten, die zurückgenommenen Interieurs und das flächige Colouring stehen dem futuristischen Ansatz sehr gut und lassen den immer wieder aufblitzenden flammenden Infernos genügend Raum für einen gehörigen Wumms. So kann’s weiter gehen! Band 1 der ›Nowhere Men‹-Reihe lässt Großes erwarten!
Titelangaben
Eric Stephenson (Text)/ Nate Bellegarde (Zeichnungen): Nowhere Men 1: Schlimmer als der Tod
Aus dem Englischen von Christian Langhagen
Ludwigsburg: Cross Cult 2014
184 Seiten. 22 Euro
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