Ein verschollener Edelwestern

Comic | Hernández Palacios: Manos Kelly Gesamtausgabe

In seiner vergleichsweise kurzlebigen Serie ›Manos Kelly‹ verknüpfte der große spanische Comiczeichner Antonio Hernández Palacios klassische Wildwestgeschichten mit detaillierter historischer Recherche über den spanischen Einfluss auf die Kolonisierung Nordamerikas und das Schicksal der Indianer. Obwohl kein großer Western-Fan, konnte sich BORIS KUNZ der Magie der Erzählung irgendwann nicht mehr entziehen.

Manos_Kelly_cover_webIn den 80er Jahren veröffentlichte der Ehapa-Verlag eine Albenreihe mit dem Titel ›Die großen Edel-Western‹. Darin fanden sich in loser Folge Abenteuer des legendären ›Leutnant Blueberry‹, von ›Comanche‹, ›Jonathan Cartland‹ und einem gewissen ›Mac Coy‹. Bezeichnenderweise stammen alle diese Serien, die sich durch einen ungeschönten, realistischeren, historisch stimmigeren Blick auf die Pionierzeit Amerikas als »edle« Western von banalen Cowboy-Romanzen abhoben, von frankobelgischen Autoren – und der erwähnte Mac Coy dabei aus der Zeichenfeder eines Spaniers: Antonio Hernández Palacios. Dessen in den 70er Jahren selbst verfasste Reihe ›Manos Kelly‹ hätte jedes Recht gehabt, sich in diese »Edelwestern« einzureihen. Stattdessen tauchten sie teilweise in dem von Rolf Kauka herausgebrachten ›Primo‹ auf. Jetzt erscheinen sie endlich in einer gebührenden Gesamtausgabe.
 
Von Schurken und Nationalhelden
 
1848, irgendwo zwischen Arizona und dem mexikanischen Sonora: Manos Kelly, Sohn einer spanischen Auswanderertochter und eines irischen Kapitäns, Veteran des amerikanisch-mexikanischen Kriegs, befreit eine Gruppe gefangener, malträtierter Indianer aus den Händen einer Bande von Gesetzlosen. Damit setzt er (in der ersten Geschichte ›Ein Spanier im Wilden Westen‹) ungewollt eine Kette von Ereignissen in Gang, die zu starken Freundschaften, ebenso erbitterten Feindschaften und einer Reihe von Abenteuern im unsicheren Grenzgebiet zwischen Mexiko und dem Wilden Westen führen werden. Davon erzählen die bei avant kompilierten vier Comicalben und eine Kurzgeschichte.
 
Palacios, so eine Art Nationalheld der spanischen Comiczeichner, hat sich in seinem Werk wiederum selbst auf spanische Nationalhelden bzw. bedeutende spanische Persönlichkeiten der Weltgeschichte, wie etwa den legendären »El Cid« spezialisiert. Bei seinem Westernhelden Manos Kelly handelt es sich zwar um eine fiktive Figur, doch anhand seiner Abenteuer nutzt Palacios immer wieder die Gelegenheit, historische Figuren und Begebenheiten einzubauen, die etwas mit der spanischen Seite der Besiedlung Amerikas zu tun haben, bzw. mit den Grenzkonflikten zwischen Mexiko und den späteren USA, bei denen es unter anderem um das Territorium von Texas ging. Die berühmte Schlacht um El Alamo findet ebenso Erwähnung wie der später recht berühmte, halbblütige Indianerhäuptling Quanah Parker.
 

Abb: Avant-Verlag
Abb: Avant-Verlag
Indianerstämme spielen eine große Rolle in Palacios Western. Er bemühte sich schon in den 70er Jahren um eine ausgewogene und historisch getreue Darstellung derselben. Zwar benutzt er sie in seinen Stories oftmals als Schurken, gibt manchen von ihnen aber auch Heldenrollen, während er versucht, ihre Kultur ernst zu nehmen, inklusive ihrer Blutrünstigkeit. In der zweiten Geschichte ›Der Goldberg‹ wird Kellys Freund, der Apachen-Häuptling Tapida, von einer Gruppe Komantschen entführt, die anschließend mehrere Stämme zu einem großen Fest einladen, zu dessen Höhepunkt sie Tapida töten wollen – nicht aus persönlicher Rache, sondern weil die Ermordung eines so tapferen und berühmten Kriegers ihrem eigenen Volk Ruhm und Respekt einbringen wird. Der Spanier Siglo, Kelleys treuer Sidekick, kommentiert das mit den Worten: »Um das zu verstehen, muss man Indianer sein.«
 
Diese Episode unterstreicht ganz gut, worum es in den Abenteuern von Manos Kelly geht: Auch wenn sie mit viel Backgroundwissen und historischen Details um die Zeit um 1850 unterfüttert sind, bleiben es Western-Geschichten, in denen markige Männer durch die Prärie ziehen um sich gegenseitig Gold abzujagen, Territorien streitig zu machen oder persönliche Fehden auszutragen. Da werden ständig Postkutschen und Planwagen überfallen, und die beeindruckenden Sandsteinmonumente der Wüsten und Canyons müssen für allerlei Hinterhalte und Duelle herhalten. Das ist zunächst ein Bisschen schade, denn die Stärke des Zeichners und Erzählers Palacios liegt eindeutig weniger in der spannenden oder übersichtlichen Darstellung von Schießereien, sondern in der Beschreibung historischer Ereignisse, die in langen Rückblenden eingeflochten werden. Oder in phantasievolleren Sequenzen, in denen beispielsweise Manos und Siglo in einer aufwendigen Aktion ihre Reittiere auf einer selbstgebastelten Seilwinde von einer Felsnadel zur nächsten befördern, um ihre Spuren vor ihren Verfolgern unsichtbar zu machen.
 
Inhalt und Zeichenstil erinnern dabei auch an die berühmten Spaghetti-Western. Es fehlt jeder Frontier-Pathos und es gibt (von Kelly selbst einmal abgesehen) auch keine einsamen Cowboys, die nichts anderes zu tun haben, als mit ihren Schießeisen für die gute Sache zu kämpfen. Die meisten Figuren sind entweder Ganoven oder zumindest Schlitzohren, und auch die wenigen »aufrechten« Krieger (egal ob Weiße oder Indianer) zeichnen sich auf der anderen Seite durch Unnachgiebigkeit und Blutdurst aus. Alles wirkt hier dreckig, angegriffen und von einer Patina überzogen: die unrasierten, zerfurchten Gesichter der Männer, ihre staubigen Hüte, die verrosteten Eisenbeschläge ihrer klapprigen Planwagen. Dazu passt ein Zeichenstil, der weniger auf klare Outlines, sondern auf den starken Einsatz von Schraffuren und dunklen Flächen setzt, um die raue Oberfläche seiner Gegenstände sichtbar zu machen.
 
Fragmente und Fatalismus
 
Abb: Avant-Verlag
Abb: Avant-Verlag
Da für einige Seiten von ›Der Goldberg‹ die farbigen Druckvorlagen mit der Originalkolorierung verloren gegangen sind, sind diese in der Gesamtausgabe nicht neu koloriert, sondern schwarz-weiß belassen. Auch wenn es interessant ist, Palacios´ aufwendige Zeichnungen im Rohzustand zu studieren, ist das insgesamt eher schade, denn es ist tatsächlich die Farbe, die diesen Comic noch einmal zu etwas Besonderem macht. Durch sie bekommen die Seiten ihre Lebendigkeit, ihre grafische Klarheit und ihren Realismus. Erst durch den massiven Einsatz von Gelb- und Orangetönen wird die drückende Hitze all der klangvollen Orte der Sierra Madre oder der Sacramento Mountains spürbar, oder die archaische Schönheit der Sandsteingebilde. Die Farbgebung changiert hier gekonnt zwischen vielfarbigem Realismus und einem fast schon psychedelischen Expressionismus in Orangetönen.
 
Zur Hochform läuft die Comicreihe zum ersten Mal in ihrem dritten Teil ›Das goldene Grab‹ auf. Dort wird eine lange Reise vom Rio Hondo in die gerade aufblühende Goldgräberstadt San Francisco beschrieben, verknüpft mit Einschüben, die von der ersten kolonialen Besiedlung dieser Gegend erzählen, von den Expeditionen der Spanier nach Monterey und San Diego. Hier entsteht dank der eindringlichen Landschaftsdarstellungen tatsächlich ein Gefühl dafür, dass zu einer Zeit, als in Europa die Moderne begann, Amerika tatsächlich noch eine komplette Wildnis war, in der Recht und Gesetz kaum existierten und der Stärkere sich nehmen konnte, was er wollte – ein Zustand, der einem in den klassischen Western recht schnell ein wenig behauptet vorkommen kann. Doch die Siedler, die dieses Land im 18. Jahrhundert für sich in Anspruch nahmen, mussten tatsächlich entweder skrupellos sein oder hoffnungslos naiv.
 
Obwohl es in ›Manos Kelly‹ an diesen Sorten Weißer nicht mangelt und die Problematik der Siedlungspolitik nicht außen vor bleibt, ist der Comic dennoch geprägt von einer westlichen Sichtweise. So wird beispielsweise die christliche Missionierung der wilden Indianer zwischen den Zeilen als etwas Wünschenswertes geschildert, und »gute« und »schlechte« Indianer unterscheiden sich manchmal dadurch, ob sie die christliche Missionierung annehmen oder nicht.
 
Im letzten Band der Reihe, ›Der große Cayuse Krieg‹, macht Palacios dann das historische Whitman-Massaker zum Ausgangspunkt der Geschichte: Dort rächen sich Indianer vom Stamm der Cayuse an den weißen Siedlern, die eine Masernepidemie in Gebiete um den Walla Walla River eingeschleppt haben, die das Volk der Cayuse stark dezimiert hat. Daraufhin entbrennt zwischen den letzten Cayuse und den Weißen ein erbarmungsloser Kleinkrieg, in dessen blutiges Ende in den verschneiten Rocky Mountains auch Manos Kelly hineingezogen wird. Obwohl er dessen teilweise barbarischen Methoden nicht gutheißt, kämpft Kelly hier an der Seite des Trappers und Abenteurers Peter Skene Ogden (eine weitere historische Person, dessen Leben Palacios hier mit ziemlicher Chuzpe ein weiteres Kapitel hinzufügt). Ihnen gegenüber steht ein Indianerstamm, der sich in dieser Schlacht seiner endgültigen Auslöschung gegenübersieht. Was als simples Männerabenteuer beginnt, endet in einem fatalistischen Drama, in dem Manos Kelly am Ende nur noch eine Beobachterrolle spielt.
 
Es ist sehr spannend, die Entwicklung der Reihe von ihren ersten, etwas unbeholfenen Anfängen bis zu diesem dramatischen Meisterstück zu betrachten und zu sehen, wie Palacios als Erzähler immer mutiger und als Zeichner immer versierter wird. Optisch kann er sich am Ende ohne Schwierigkeiten mit Girauds ›Blueberry‹ messen. Bedauerlich, dass die Reihe leider nicht weitergeführt worden ist, insbesondere, weil Palacios offenbar vorhatte, die neu gegründete Mormonensiedlung in Salt Lake City zum Thema des nächsten Albums zu machen, das leider nie realisiert wurde. So wirkt diese Gesamtausgabe nicht wie ein monumentales Werk des Westerncomics, sondern wie ein noch etwas fragmentarischer Anfang von etwas, was eine großartige Comicreihe hätte werden können. Obwohl zeichnerisch teilweise schon meisterhaft gestaltet, wirkt es doch noch so, als hätte Palacios den richtigen Erzählton der Serie erst in den letzten beiden Bänden gefunden – und als hätte er sie von dort aus noch zu ungeahnten Höhen führen können.

| BORIS KUNZ

Titelangaben
Antonio Hernández Palacios: Manos Kelly Gesamtausgabe
(Manos Kelly – Aus dem Spanischen von André Höchemer)
Berlin: Avant Verlag 2015
216 Seiten, 39,95 Euro
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