Kinderbuch | Paul Maar: Der Galimat und ich
Ein merkwürdiges Wesen landet mitten in der Nacht in Jims Zimmer und stellt sich als Galimat vor. Er ist ein Galimat und heißt Galimat und für Jim bedeutet das eine Menge Überraschungen. ANDREA WANNER freute sich auf Paul Maars neuestes Kinderbuch.
Das Muster hat schon einmal funktioniert: Ein unbekanntes Wesen mit ungewöhnlichen Fähigkeiten tritt plötzlich in das Leben eines Menschen und verändert dieses durch eben jene besonderen Fähigkeiten. Bei Herrn Taschenbier war es das Sams mit seinen Wunschpunkten und bei Jim ist es der Galimat mit der Fähigkeit Dinge quasi aus dem Nichts zu materialisieren. Im Prinzip kommt es aufs Gleiche raus: Jemand hat Wünsche und plötzlich ist einer da, der sie erfüllt – wenn auch nicht immer unbedingt so, wie sich das der Wünschende vorgestellt hat.
Jim ist zehn Jahre alt und lebt bei Onkel Hans-Gert und Tante Larissa, da seine Eltern für den Geheimdienst tätig und ständig unterwegs sind. Eigentlich kennt Jim sie gar nicht. Und eigentlich ist das auch egal, denn Onkel und Tante sind längst so etwas wie Ersatzeltern für ihn geworden. Das Leben bei ihnen ist in Ordnung – das einzig Störende ist vielleicht Hans-Gerts Versessenheit darauf, aus Jims fotografischem Gedächtnis Kapital zu schlagen. Jim muss ein mehrbändiges Lexikon auswendig lernen, der Onkel stellt bei den Mahlzeiten Kontrollfragen und Ziel ist die Teilnahme an der Fernsehquizsendung ›Superwisser‹, wo es für die richtige Beantwortung von 14 Fragen eine Million zu gewinnen gibt. So füttert sich Jim mit Lexikonwissen, das er pausenlos von sich gibt – nicht unbedingt die geschickteste Art sich bei den Mitschülern beliebt zu machen. – Und genau auf Band 3 des Lexikons entdeckt Jim kurz vor Mitternacht den Galimat. Und dann lernen sich die beiden erst mal ein bisschen gegenseitig kennen.
Die Kunst des knapp fußballgroßen Kerlchens, dessen Kugelkörper gleichzeitig sein Gesicht ist, Gegenstände zu materialisieren, hilft nun Jims Wunsch, erwachsen zu sein, zunächst nicht weiter. Und ob »erwachsen sein« wirklich sein dringlichster Wunsch ist, ist auch so eine Frage. Es ist eher die Vorstellung, wie einfach das Leben sein muss, wenn man kein Kind mehr ist. Und es ist die Beseitigung von Barrieren, die Kinder unter 18 Jahren beispielsweise an der Teilnahme von Quizshows im Fernsehen hindern. Dass die beiden, Jim und der Galimat, doch einen Weg finden, dass Jim plötzlich erwachsen ist, ist die eine Sache. Dass Erwachsensein nicht alle Probleme lösen kann, ist die Erfahrung, die Jim in diesem neuen, ungewohnten Zustand machen muss. Und der Weg zurück scheint schwierig.
Paul Maar hat mit Jim einen Helden geschaffen, der nicht nur Sympathien weckt. Einem neunmalklugen Alleswisser gönnt man auch mal, dass etwas nicht so hundertprozentig klappt. Je besser man Jim aber kennenlernt, um so mehr wird deutlich, dass er wenig Spielraum hat, ein anderer zu sein. Den muss er sich erst erkämpfen. Schön, dass er dazu einen ganz normalen Freund hat, Daniel, dessen größtes Problem der Regenmantel ist, den er täglich vorsichtshalber tragen muss. Und dann gibt es da auch noch Rebekka, die in Jims Klasse geht und aufgrund von ein paar Pfunden zu viel öfters zum Gespött wird. Und je besser sich die beiden verstehen, umso mehr wachsen sie einem beim Lesen ans Herz. Keiner muss perfekt sein. Wer es aber schafft, in schwierigen Situationen zu seinen Freunden zu halten, ist auf jeden Fall ein prima Kerl. Erwachsen muss man dazu nicht sein.
Am Ende träumt Jim von einer Zukunft, die nicht über Nacht und plötzlich kommt, sondern in die er langsam hineinwachsen wird. Als Kind, als Jugendlicher – und schließlich als Erwachsener. Wie merkwürdig, dass die ganzen normalen Dinge auf einmal so besonders scheinen und der ganze Hokuspokus, zu dem ein Galimat in der Lage ist, daneben fast ein bisschen banal wirkt.
Ein bisschen fühlt man sich bei der Erfindung der EWP, der Erwachsen-werden-Pille, die der Galimat produziert, an ihr Gegenstück erinnert, die Krummeluspillen, mit denen Pippi Langstrumpf verhinderte, dass sie und ihre Freunde Thomas und Annika jemals erwachsen werden – und fragt sich, ob sich vielleicht doch die Zeiten geändert haben, in denen Kindsein der Inbegriff von Freiheit und Abenteuer war. Und wenn das Fernsehen den Wunsch erwachsen zu werden dann so direkt fördert wie bei Jim, fällt einem doch Neil Postmans Kritik an den elektronischen Medien in ›Das Verschwinden der Kindheit‹ ein. Und obwohl Paul Maar das alles mit viel Humor, mit schrägen Slapstickszenen, mit seinem berühmten Wortwitz, mit einer großen Portion Fantasie und seinem Blick für das ganze Besondere im Alltäglichen erzählt, fühlt man sich an manchen Stellen nicht nur glücklich. Aber vielleicht ist das auch nur ein Erwachsenenblick auf ein Kinderbuch. Paul Maar kann erzählen, das beweist die Geschichte erneut. Und uneingeschränkte Bewunderung gilt auf jeden Fall den herrlich witzigen Illustrationen von Ute Krause .
Titelangaben
Paul Maar: Der Galimat und ich
Mit Bildern von Ute Krause
Hamburg: Oetinger 2015
256 Seiten, 12,99 Euro
Kinderbuch ab 8 Jahren