Kinderbuch | Brigitte Jünger: Ida und das Gürkchen
Wer viele Geschwister hat, weiß, dass das einerseits sehr schön und abwechslungsreich sein kann, einem das Leben auch manchmal ziemlich schwer macht. ANDREA WANNER berichtet vom Besuch bei einer Großfamilie.
Von Ida erfährt man schon im Titel des Bilderbuchs. Aber Ida hat auch Geschwister, tatsächlich sogar sechs Brüder: Schagges, Fränzi, Töns, Hanno, Mäxi und Josef. Und die Geschichte handelt mindestens genau so sehr von Josef, dem Jüngsten, wie von Ida, dem einzigen Mädchen und der Allerjüngsten. Ida ist der Star bei ihren Brüdern. Bei allen, bis auf Josef. Der findet es nämlich ziemlich lästig, die Kleine immer und überallhin mitschleppen zu müssen. Und das auch noch ausgerechnet jetzt, wo ein neuer Junge in der Nachbarschaft eingezogen ist. Fünf ältere Brüder sind da ein echtes Trumpfass, mit dem man andere Jungs beeindrucken kann. Eine kleine Schwester ist allenfalls nervig und störend. Denkt zumindest Josef.
Brigitte Jünger erzählt eine Geschichte, die eigentlich nicht Ida, sondern Josef in den Mittelpunkt stellt. Josef, der im Umfeld von Ida so was wie ein Star ist. Wenn er (natürlich wieder er, wer sonst?) Ida vom Kindergarten abholen muss, sind die anderen Kinder hingerissen von ihm und seinen Kunststücken. Und der neue Nachbarsjunge findet auch nicht, dass Ida stört. Im Gegenteil, er ist der Meinung, dass sie sich wunderbar in gemeinsame Unternehmungen einbauen lässt. Vielleicht als Hund bei der Schatzsuche im Wald, der Spuren findet?
Die witzigen Bilder von Julia Dürr begleiten diese Geschwisterepisoden nicht nur, sondern erzählen eigene Anekdötchen, erweitern den Text um unzählige Details und Kleinigkeiten, verraten noch mehr über die Beziehungen zwischen den Brüdern und Ida. Als biegsame Comicfiguren mit großen Kulleraugen erweckt sie die Akteure zum Leben, lässt sie, sparsam mit Farbe umgehend, über die Seiten kullern, purzeln, toben. Pfannkuchen zum Abendessen beispielsweise – »dünn wie fliegende Untertassen«: zu was für einem turbulenten Chaos das auf, über und unter dem Tisch bei sieben Kindern führt, kann man nur im Bild festhalten. Es gibt sie mit Käse und Tomaten, mit Schinken, Schokostreuseln, Marmelade, ohne alles. Sie werden gerollt, gestapelt, aufgepikst, gemampft … Bloß Josef mag noch lieber Gürkchen.
Das Familienleben in einer Großfamilie wird als fröhliches Durcheinander geschildert, bei dem es natürlich auch Regeln geben muss. Wer sie verletzt, wird bestraft. So gesehen könnte die Strafe, die Josef dafür bekommt, dass er mit Ida zu spät vom Spielen aus dem Wald zurückkommt, ihm eigentlich ganz recht sein: Er darf nicht mit Ida und seiner Mutter in die Stadt fahren, sondern muss bei seinen Brüdern bleiben. War es nicht das, was er eigentlich längst wollte? Endlich mal Ruhe von Ida. Aber irgendwie ist das auch nicht das Richtige. Alle merken, ein Tag ohne Ida ist irgendwie anders. Und nicht besser. Das spürt auch Josef, der die Zeit ohne die kleine Nervensäge nicht genießen kann.
Was es dann mit dem einen, dem letzten und ganz besonderen Gürkchen auf sich hat, wird nicht verraten. Dazu muss man sich in den Alltag von Schagges, Fränzi, Töns, Hanno, Mäxi, Josef und Ida wagen, ihnen beim Spielen, Essen, Toben, Streiten und Versöhnen zuschauen, spüren, wie nahe sie einander sind – und alle Einzelkinder ein kleines bisschen bedauern. Und dann ist am Ende eigentlich ganz klar, wo das Gürkchen steckt.
Titelangaben
Brigitte Jünger: Ida und das Gürkchen
Illustriert von Julia Dürr
Wien: Jungbrunnen 2015
32 Seiten, 14,95 Euro
Bilderbuch ab 4 Jahren