Auf den Spuren von Rilke und Vogeler

Roman | Klaus Modick: Konzert ohne Dichter

»Rilke hatte etwas sehr Elitäres, dem Leben Abgewandtes. Er hat ja quasi so eine Kunstreligion begründet, in der natürlich er der Hohepriester war. Bei Vogeler ist das relativiert, durch seine Hinwendung zum Kunsthandwerk«, heißt es im neuen Roman des 63-jährigen Autors Klaus Modick, in dem wir uns auf eine Zeitreise ins frühe 20. Jahrhundert begeben. Klaus Modicks neuen Roman ›Konzert ohne Dichter‹ hat PETER MOHR gelesen.

ModickDas Künstlerdorf Worpswede im Bremer Umland ist der Handlungsschauplatz. Die vielen schillernden Figuren (mit all ihren Macken und Marotten) bekommen von Klaus Modick neues Leben eingehaucht – irgendwo arrangiert zwischen Fakten und Fiktion, zwischen Dichtung und Wahrheit.

Modick ist schon seit vielen Jahren eine feste Größe im Literaturbetrieb. Als Übersetzer, Essayist, Kritiker und fleißiger Romancier hat sich der promovierte Literaturwissenschaftler einen Namen gemacht, doch der ganz große »Durchbruch« blieb ihm bisher noch verwehrt.

Mit seinem neuen Roman, in dessen Zentrum die komplizierte Beziehung zwischen dem Maler Heinrich Vogeler und dem Dichter Rainer Maria Rilke steht, betritt Modick keineswegs neues literarisches Terrain. In der Vergangenheit hat er sich in ähnlicher Weise schon mit Lion Feuchtwanger und Bert Brecht auseinandergesetzt. Der Schriftsteller und der Literaturwissenschaftler haben sich in beiden Fällen fruchtbar ergänzt.

Vogeler ist der große und unumstrittene Protagonist in Worpswede, eine Art kreatives Universalgenie – Maler, Architekt, Designer, Schriftsteller und Grafiker in einer Person. Rilke kommt dagegen als noch relativ unbekannter junger Mann in den Norden. Eine völlig andere Persönlichkeit, introvertiert, leicht egozentrisch, abweisend – und von Modick als unnahbar und durchweg unsympathisch gezeichnet. Bei den Frauen allerdings hat der feinsinnige Dichter »gute Karten«. Die Malerin Clara Westhoff wird später Rilkes Frau, aber das Künstlerpaar führt alles andere als eine glückliche Ehe.

In Modicks Roman geht es mit Fortschreiten der Handlung um die wachsende Entfremdung zwischen Vogeler und Rilke, die sich auch in Vogelers bekanntem Gemälde »Sommerabend« widerspiegelt. An jenem Werk, das die traute Künstlerrunde als Zuhörer eines Privatkonzertes zeigt, hat Vogeler rund fünf Jahre gearbeitet und quasi nachträglich eine Figur verbannt. Die Mienen aller Portraitierten zeugen von einer latenten Traurigkeit. Das Gemälde zeigt einen leeren Stuhl, den freien Platz von Rilke, der sich im Laufe der fünf Jahre aus dem Worpsweder Kreis »verabschiedet« hat. »Vogeler wollte ja dekorieren, er wollte das Leben verschönern – dieses Dekorative hat Rilke zutiefst verachtet. Und je erfolgreicher Vogeler wurde, desto mehr hat Rilke das verachtet«, heißt es bei Modick kurz und prägnant über die Gründe, die zum Bruch der Beziehung geführt haben.

›Konzert ohne Dichter‹ erinnert an die großen Künstlerromane des gleichaltrigen Hanns-Josef Ortheil und ist weit mehr als nur eine Zeitreise und die zugegeben interessante Annäherung an große Künstler aus dem Worpsweder Dunstkreis. Es ist vor allem auch eine Auseinandersetzung mit schwierigen Künstler-Individuen, die vorzügliche Beschreibung einer äußerst fragilen Künstler-Freundschaft und auch das zaghafte Umkreisen einer Dreier-Beziehung, denn auch zwischen Rilke und Paula Becker gab es eine große Affinität.

Und vor allem kommt Modicks Roman als gewagtes, aber absolut gelungenes Experiment daher, nämlich Kunst über Kunst zu machen. Mit großer Empathie und fühlbarer Leidenschaft führt uns der Autor durch die Künstlerkolonie und hebt dabei auch noch Paula Modersohn-Becker (»eine künstlerische Naturgewalt«) en passant auf eine Art Worpsweder Thron. Das alles ist so wunderbar unangestrengt erzählt, dass man sich auf ganz seltsame Weise verzaubert fühlt und am liebsten aufbrechen möchte Richtung Worpswede.

| PETER MOHR

Titelangaben
Klaus Modick: Konzert ohne Dichter
Köln: Kiepenheuer und Witsch Verlag 2014
229 Seiten. 17,99 Euro

Reinschauen
| Leseprobe
| Klaus Modick in TITEL kulturmagazin

1 Comment

Schreibe einen Kommentar zu Roman | Klaus Modick: Fahrtwind | TITEL kulturmagazin Antworten abbrechen

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Was es noch alles zu entdecken gibt

Nächster Artikel

In kunterbunten Abgründen

Weitere Artikel der Kategorie »Roman«

Grauenvoll schwierige Frau

Roman | Elizabeth Strout: Die langen Abende

Sie ist wieder da, die pensionierte, stets grantelnde Mathematiklehrerin Olive Kitteridge aus Elizabeth Strouts Erfolgsroman Mit Blick aufs Meer, für den sie 2009 den Pulitzer-Preis erhalten hat. Sie ist älter und unförmiger geworden, ihr Mann ist gestorben und irgendwie scheint es vielen Menschen im fiktiven Städtchen Crosby im US-Bundesstaat Maine nicht besonders gut zu gehen. Von PETER MOHR

Du bist überall

Roman | Michael Kumpfmüller: Wir Gespenster

»Mein Glück besteht darin, dass ich immer schreiben wollte, spät damit angefangen habe, jetzt aber seit über Jahren schreibe – ich auch weiter schreiben kann, was ja immer eine ökonomische Frage ist«, bekannte Erfolgsautor Michael Kumpfmüller in einem Interview. Die Erfolgsgeschichte des inzwischen 63-jährigen Autors begann im Jahr 2000 mit seinem von der FAZ damals vorab gedruckten Romanerstling Hampels Fluchten. Mit Nachfolgewerken wie den verfilmten und in 27 Sprachen übersetzten Roman Die Herrlichkeit des Lebens (2011), Die Erziehung des Mannes (2016) und Tage mit Ora (2018) feierte er respektable Erfolge. Von PETER MOHR

Wein und windige Websites

Roman | Deon Meyer: Icarus Die Leser von Deon Meyer haben mit Bennie Griessel schon einiges durchgestanden – private Enttäuschungen, Rückschläge im Beruf und Alkoholentzug. Aber immer hat sich der weiße Polizist vom Kap wieder aufgerafft. Und er hatte Menschen, die ihm dabei zur Seite standen. Befreundete Kollegen, die Sängerin Alexa Barnard, mit der er liiert ist, seine beiden Kinder, zu denen er losen Kontakt hat. Doch als er im aktuellen Roman Icarus erleben muss, wie einer seiner Kollegen sich selbst, seine Frau und seine beiden Töchter erschießt, weil er die eskalierende Gewalt um sich herum nicht mehr ertragen kann,

Graben im Gedächtnis

Roman | Patrick Modiano: Unsichtbare Tinte

»Ich habe mich nie an eine chronologische Reihenfolge gehalten. Sie hat für mich nie existiert.« So treffend hat der französische Schriftsteller Patrick Modiano vor einigen Jahren sein eigenes Schreiben charakterisiert, das wie ein unendlicher Erinnerungs- und Assoziationsprozess auf den Leser wirkt. Der neue Roman Unsichtbare Tinte des Nobelpreisträgers Modiano – gelesen von PETER MOHR

Leiden unter dem Glück

Roman | Daniel Glattauer: In einem Zug

Seinen literarischen Durchbruch schaffte der 64-jährige Wiener Daniel Glattauer mit seinem 2006 veröffentlichten Roman Gut gegen Nordwind, einem modernen Briefroman, der ein wenig an den Kinofilm „Email für dich“ mit Tom Hanks und Meg Ryan erinnerte. Im Mai 2009 wurde eine Bühnenfassung in den Wiener Kammerspielen uraufgeführt. 2019 folgte die Verfilmung des Bestsellers mit Nora Tschirner und Alexander Fehling in den Hauptrollen. In den letzten knapp zwanzig Jahren ging es bei Daniel Glattauer, der es schafft, eine wohl austarierte Mischung aus E- und U-Roman zwischen die Buchdeckel zu bringen, steil bergauf. Von PETER MOHR