/

Das verfaulte Spiegelbild des Sozialen

Bühne | Zombie1_eine Schreckensbilanz

Zombies gelten als das Lumpenproletariat des Horror-Genres – nicht so elegant, erotisch und aristokratisch wie Vampire – und in ihren Bedürfnissen wesentlich primitiver orientiert. Denn der Zombie strebt schlicht nach Menschenfleisch, primär Hirnmasse. Vielleicht auch, weil diesem Untoten die Eigenschaft des menschlichen Denkens abhandenkam. Das treibt ihn in die Peripherie der Gesellschaft, und sein fehlendes Bewusstsein macht ihn dazu noch völlig kritikunfähig. Von PHILIP J. DINGELDEY

Abb: JNL
Abb: JNL
Doch die pandemische Killermaschine erlebt jetzt eine »kulturelle« Renaissance, denn die Zombiefilme mehren sich. Das veranlasste Charles Toulouse und Marcel Franken der Theatergruppe ›fuzzy orchestra‹ zu ihrem Stück ›Zombie1_eine Schreckensbilanz‹, das am vergangenen Freitag in der Galeria Classica des Hessischen Landestheaters Marburg seine kleine Premiere feierte.

Im Zentrum dieses experimentellen narrativen Theaters steht der Zombieschauspieler Toni (dargestellt von Toulouse). Er leidet darunter, im Filmgeschäft nicht ernst genommen zu werden. Eine neue Produktion bietet ihm endlich die Chance, sich als Charakter- und Zombiedarsteller zu beweisen. Doch der Dreh des Filmes ›Zombie1‹ auf Haiti gerät außer Kontrolle. Die gesamte Crew, bis auf Toni, wird zombifiziert, durch einen »Flughundvirus«, der durch die Mahlzeiten und reziprokes Anknabbern der menschlichen Körper übertragen wird. Toni gelingt die Flucht, nur weil er mit einer authentischen Darstellung einen Zombie mimen konnte, weshalb er von der Ansteckung verschont bleibt.

Sind wir alle zombifiziert?

Die Darsteller und Regisseure Toulouse und Franken haben aus dieser locker angelegten Komödie so einiges kreiert und immer wieder implizit die Gesellschaft kritisiert, die scheinbar per se bedroht ist, zombifiziert zu werden. Film und Theater werden hier auf humoristische Weise konnektiert. So zeigen die beiden in einer Greenbox mit einer Kamera den Dreh des amateurhaften Horrorfilms ›Zombie1‹. Sukzessive, mit der Ausbreitung des Virus, wird die Leinwand mit den in der Greenbox vorgespielten Filmszenen zu Tonis Realität, wenn die Zombies sich multiplizieren und er in ein ebenso filmisch dargestelltes Einkaufszentrum flieht. Vom Zombiefilm zum realen Zombiewahn – nomen est omen. Die Übergänge sind fließend.

Hessisches Landestheater Marburg
Hessisches Landestheater Marburg
Die Drehszenen werden immer wieder durch Interviewszenen zwischen Toni und einem TV-Moderator unterbrochen, in denen Toni seine Welt erklärt – und wie er als Einziger auf Haiti überleben konnte. Dazwischen spricht er auch immer wieder das Publikum an und gibt humoristische Erklärungen. Durch diese Mischung von nur lose zusammenhängenden oder chronologischen Szenenbildern und der Verwendung von filmischen und dramatischen Elementen, bei einem schlichten Bühnenbild, kreieren die beiden Darsteller eine sehr effektive experimentell-epische Komödie.

Zu verdanken sind die Lacher primär der Darstellung Tonis, denn Toulouse erscheint mit seiner breiten Mimik- und Gestikpalette sowie seinem ausgemergelten schlaksigen Äußeren als idealer Zombie-Slapstickdarsteller, während Franken häufig für ironische Passagen sorgt. Niemand nimmt sich in dem Stück ernst, und nichts wird ernst genommen – etwa bauen die beiden immer wieder Toni in US-amerikanische Filmklassiker ein, um den Fortschritt des Drehs zu demonstrieren.

Der Zombie passt sich der Ökonomie an

Besonders die wenig aktionsgeladenen Interviewszenen haben es inhaltlich in sich: Dort berichtet Toni etwa, dass er als Mensch mit Berührungsängsten diese voll und ganz fallen lassen könnte, wenn er in einer Masse an anderen Schauspielern einen Zombie mimen dürfe – quasi der Zombie als psychologische Katharsis. Auch erläutert er die verschiedenen Zombietypen, der letzten Jahrzehnte.

Die vorgespielte Typologisierung gleicht dabei einer parodistischen Kapitalismuskritik: So fingen die Zombies etwa einst als lahme hirnlose Sklaven eines Herrn, meist eines Großgrundbesitzers an und sind inzwischen zur hyperaktiven neoliberalen Version des Karrierezombies mutiert. Der Zombie passt sich den sozioökonomischen und militärischen Mitteln an, und gelte daher als verfaultes Spiegelbild des Sozialen.

Sind wir alle Zombies, gefangen im Rad der Ökonomie? Die locker angelegte Komödie mit leicht hintergründiger Sozialkritik kann dabei de facto als Schreckensbilanz fungieren, die den Zuschauer zum Nachdenken, aber primär zum Lachen anregt. Das Komische an der Darstellung der Zombies, die Filmeinsprengsel und die ironischen Kommentare stehen dabei aber im Vordergrund. Vielleicht kann man nur noch mit der Integration des Horrorgenres ins epische Theater über den Kapitalismus lachen.

| PHILIP J. DINGELDEY

Titelangaben
Zombie1_eine Schreckensbilanz
Regie und Darstellung: Charles Toulouse und Marcel Franken
Galeria Classica des Hessischen Landestheaters Marburg

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Keinen König, keine Helden mehr!

Nächster Artikel

Zündeln am europäischen Haus

Weitere Artikel der Kategorie »Bühne«

Freiheit leben, ohne die des anderen zu verletzten

Bühne | Don Giovanni

Schon im 14. bzw. 15 Jahrhundert ist die Legende von Don Juan entstanden. Seither bot sie im deutschsprachigen Raum zum Beispiel 1761 Stoff für das Ballett ›Don Juan‹ von Christoph Willibald Gluck, 1813 dann für die gleichnamige Novelle von E.T.A. Hoffmann oder 2004 in der Erzählung ›Don Juan‹ von Peter Handke. Im Pforzheimer Stadttheater kommt ›Don Giovanni‹ als Dramma giocoso in zwei Akten von Wolfgang Amadeus Mozart, mit dem Libretto von Lorenzo Da Ponte, in der Inszenierung von Saskia Kuhlmann und der Dramaturgie von Christina Zejewski, daher. Der Held erscheint einerseits als sprichwörtlicher Lüstling, wirft andererseits aber auch Fragen nach dem gesellschaftlichen Umgang mit Konventionen auf.
Von JENNIFER WARZECHA

Ein Leben zwischen Schall und Rauch

Live | Bühne: Falco – The spirit never dies Freudestrahlende Gesichter auf der Premierenfeier, Beglückwünschung der herausragenden Leistung aller Mitarbeiter, Ensemblemitglieder und Herausstellung dessen, dass das gesamte Ensemble des Balletts am Erfolg beteiligt war – so enthusiastisch und zurecht erfolgsverheißend geht die Premiere von ›Falco – the spirit never dies‹ im Pforzheimer Stadttheater zu Ende. JENNFIER WARZECHA über Leben und Werk eines Ausnahmekünstlers

Wenn der Postbote 2x klingelt

Bühne | Stand-up-Comedy im Theater ›Das Zimmer‹ Hamburg … kann er wahrscheinlich das Namensschild nicht lesen! Unikum Hans-Hermann Thielke kennt als einstiger Schalterbeamter im »mittleren nichttechnischen Dienst« alle noch so skurrilen Postgeheimnisse, wie etwa das korrekte Befeuchten von Briefmarken. Geht auch nach Schalterschluss bei ihm die Post ab? MONA KAMPE über die Begegnung mit einer urigen Brieftaube, die die Päckchen des Lebens sympathisch leicht aus den Flügeln schüttelt.

Johnnys Sommernachtsalbtraum

Bühne | Punk-Rock-Musical | American Idiot Nach dem Sommer und einer gewissen Leichtigkeit gibt es eine Menge Raum für den glamourösen Auftritt der Melancholie. Doch was noch schlimmer ist, als die Herbst-Tristesse, ist Johnnys unbändige Wut: Auf die Zeit, in der er lebt, auf den Ort, in dem er wohnt, letztendlich auf eine ganze amerikanische Generation! Die Musik von »Green Day« ist nicht nur pulsierend laut und abgrundtief punkig. Die Band spielt Melodien, die unbequem sind; Melodien, die mitten ins rebellische Herz treffen. ANNA NOAH fragt sich, ob das Aufbrechen der altbewährten Musical-Strukturen erfolgreich funktioniert.

»Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage«

Bühne | ›Sein oder Nichtsein‹ von Nick Whitby nach dem Film von Ernst Lubitsch Komödie und Satire gelten als die besten Mittel, um durch den Witz oder Aberwitz des Moments eigentlich ernste Tatsachen zu hinterfragen. Filmregisseur Ernst Lubitsch (1892 – 1947) war in den Jahren seines Schaffens angesichts zweier Kriege und dementsprechend widriger Umstände häufig dazu gezwungen, das zu nutzen, um filmisches Geschehen auf die Leinwand bringen und damit, wie im Falle der Komödie ›Sein oder Nichtsein‹, der Zensur entgehen zu können. Von JENNIFER WARZECHA