»Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage«

Bühne | ›Sein oder Nichtsein‹ von Nick Whitby nach dem Film von Ernst Lubitsch

Komödie und Satire gelten als die besten Mittel, um durch den Witz oder Aberwitz des Moments eigentlich ernste Tatsachen zu hinterfragen. Filmregisseur Ernst Lubitsch (1892 – 1947) war in den Jahren seines Schaffens angesichts zweier Kriege und dementsprechend widriger Umstände häufig dazu gezwungen, das zu nutzen, um filmisches Geschehen auf die Leinwand bringen und damit, wie im Falle der Komödie ›Sein oder Nichtsein‹, der Zensur entgehen zu können. Von JENNIFER WARZECHA

THPF_SeinoderNichtsein_Bild7_Ensemble›Sein oder Nichtsein‹ (Erscheinungsdatum: 15. Februar 1942 (Los Angeles), Regie: Ernst Lubitsch, Musik: Werner Richard Heymann, Drehbuch: Edwin Justus Mayer und Story: Ernst Lubitsch, Menyhért Lengyel) ist solch ein Beispiel, mit dem der jüdische Regisseur die Kür seiner Slapstickeinlagen zusammen mit denen der Ironie unter Beweis stellte. In Pforzheim überzeugt die Theaterfassung (von Nick Whitby) der heiteren und turbulenten Polit-Farce ›Sein oder Nichtsein‹. Die Inszenierung von Caroline Stolz, unter musikalischer Leitung von Frank Rosenberger, reiht sich in den aktuellen Schwerpunkt von Shakespeare-Inszenierungen ein und überzeugt durch Witz, Ironie, Zufall und gewohnt guter Schauspielkunst.

Insgesamt wird die Pforzheimer Inszenierung zur Persiflage, nicht nur auf den einstigen Führerkult, wie er zu Zeiten des Nazi-Regimes herrschte, sondern auch zu einer auf den Narzissmus und den Hang des Menschen zur Selbstdarstellung. Im Stück zeigt er sich nicht nur auf der politischen Ebene, sondern gerade auch auf der privaten Beziehungsebene der Figuren untereinander. Das Ganze verteilt sich auf drei Erzählstränge: der Geschichte der Ehe zwischen der Schauspielerin Maria Tura, im Stück oftmals bezeichnet als »Futura«, (erotisch-weiblich, witzig, in der Abwechslung zwischen naiv und weiblich-dominierend: Katja Thiele, Ehefrau des Schauspielers Josef Tura) und ihrem Gatten Josef (in der Kohärenz des Stückes überzeugend, als Narzisst aber teilweise, wohl intendiert, nervig: Markus Löchner). Josef führt als Teil der Warschauer Theatergruppe, die im Stück als Figuration des »Spiels im Spiel« agiert, immer wieder den ›Hamlet‹ auf.

Zeichen dessen ist nicht nur sein Kostüm, das wie die meisten anderen in Beige-, Braun- und Schwarz- bzw. Sepiatönen gehalten ist, um als dramaturgisches Mittel einen Film auf die Bühne zu bringen, den viele Zuschauer kennen, wie es Bühnenbildner Jan-Hendrik Neidert (für das Bühnenbild außerdem verantwortlich: Lorena Diaz Stephens) schon in der Vorschau zum Stück auf pz-news.de betont. Er hält im Zeichen der Drehbühne auch immer wieder einen Totenkopf hoch und murmelt den Satz »Sein oder Nichtsein«, teilweise unterstrichen und ergänzt durch eine Stimme aus dem Off. Dieser Satz ist gleichzeitig Initiator des zweiten Erzählstranges, der Affäre seiner Frau mit dem polnischen Fliegeroffizier Stanislaw Sobinsky (überzeugend souverän und dennoch erheiternd: Sergej Gößner).

»Sein oder Nichtsein«? – Das ist tatsächlich die Frage aller Fragen

Immer dann, wenn Schauspieler Josef auf der Bühne steht und sich in seiner Rolle wundervoll fühlt, sie in Wahrheit aber eher schlecht als recht darstellt, treffen und überlagern sich diese beiden Stränge. Offizier Sobinsky bringt Maria während Josefs Auftritten als Hamlet immer wieder (Papier-) Blumen. Sie betont immer wieder seine kriegerischen Attribute wie sein Flugzeug, das sie augenscheinlich erotisch inspiriert. Als der Offizier sich allerdings zu ihr bekennt und ihre Liebe zu ihrem Mann in Abrede stellen möchte, quittiert sie ihr gegenseitiges Verhältnis. Ihr Mann übt sich währenddessen zusammen mit den anderen Darstellern in Nazi-Possen – Hitler selbst wird persifliert, in dem einerseits das Foto im Bühnenbild zerstört wird und er in persona auftritt. Die Gestapo lädt zum Ball, die ganze Truppe kommt auf die Bühne. In mehreren Szenen macht sich Gestapo-Gruppenführer Erhardt (witzig und zugleich heroisch-impressiv: Thomas Peters) an Maria heran, während ihr Mann Josef ihren Betrug in gewohnt narzisstischer Manier vor dem Gruppenführer zu hinterfragen versucht.

THPF_SeinoderNichtsein_Bild3_Löchner_Besta_Gößner_Noel_Peter_Gläsel_Fischer_BodeDer Widerstreit des Ehepaares gestaltet sich bis hin zur privaten, das Spiel im Spiel unterbrechenden Sequenz, am Ende des Stückes, als alle zusammen noch einmal den gemeinsamen Gang aufs Schauspielparkett hin wagen. Während sie die Rolle »des Juden« ergründen wollen, nähern sich Josef und Maria wieder an und stören damit die Handlungsbasis des Spiels. Gleichzeitig macht sich Schauspielerin Eva Zagatewska, Mitglied des Warschauers Ensembles (auch in dieser Rolle vollauf überzeugend: Konstanze Fischer), in einer Nebenszene, die sich am rechten Bühnenrand abspielt, zur Ablenkung an einen Nazi-Offizier heran, der ihr seine ganze Geschichte erzählt. Das gesamte Ensemble flieht daraufhin, begleitet von Offizier Sobinsky, vor den Nazi-Besatzern nach London.

Papierrosen markieren den Neubeginn

Am Ende dreht sich die Bühne wieder, eine Stimme aus dem Off kommentiert wiederum das Geschehen. Hamlet bzw. Josef kommentiert das Geschehen ebenfalls mit dem Satz »To be or not to be« (der englischen Übersetzung von »Sein oder Nichtsein«, die eine erfolgreiche Flucht und einen anschließenden Auftritt in London suggeriert) und zeigt seinen Totenkopf, der im Shakespearschen Hamlet das Verhältnis zu seinem Vater symbolisiert. Eine gute Szene, um das Schauspiel zu beenden. Abgerundet wird es durch den interaktiven Auftritt von Frank Rosenberger, der zuvor das ganze Spiel, selbst als Teil der Szenerie, auf seiner Kinoorgel mit musikalischer Untermalung ergänzt, die zumindest zum Teil der Zeit des Stückes entspricht, also den 40er Jahren des 20. Jahrhunderts, und auch Teil der ursprünglichen filmischen Inszenierung ist.

Er stürmt am Ende mit Papierrosen in der Hand und dem Ausruf »Vorsicht!«, seitlich aus dem Publikum, ähnlich wie Sobinsky dies zu Anfang des Stückes tat, um hinter die Bühne zu Maria zu gelangen. Josef und Sobinsky, der im erneuten Spiel im Spiel eine Statistenrolle übernommen hat, halten auf der Bühne inne und schauen sich ebenso verdutzt wie vielsagend an. Insgesamt erntet das den nicht endend wollenden und begeisterten Applaus des dieses Mal auch teilweise jüngeren Publikums im fast bis auf den letzten Platz besetzen Großen Haus. Einfach gelungen!

| JENNIFER WARZECHA
| Fotos: SABINE HAYMANN

Titelangaben
Sein oder Nichtsein im Stadttheater Pforzheim
Komödie von Nick Whitby nach dem Film von Ernst Lubitsch
Drehbuch von Edwin Justus Mayer und Melchior Lengyel

Inszenierung: Caroline Stolz
Bühnenbild: Lorena Díaz Stephens
Kostüme: Jan-Hendrik Neidert
Dramaturgie: Peter Oppermann
Musik: Frank Rosenberger

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