Schon im 14. bzw. 15 Jahrhundert ist die Legende von Don Juan entstanden. Seither bot sie im deutschsprachigen Raum zum Beispiel 1761 Stoff für das Ballett ›Don Juan‹ von Christoph Willibald Gluck, 1813 dann für die gleichnamige Novelle von E.T.A. Hoffmann oder 2004 in der Erzählung ›Don Juan‹ von Peter Handke. Im Pforzheimer Stadttheater kommt ›Don Giovanni‹ als Dramma giocoso in zwei Akten von Wolfgang Amadeus Mozart, mit dem Libretto von Lorenzo Da Ponte, in der Inszenierung von Saskia Kuhlmann und der Dramaturgie von Christina Zejewski, daher. Der Held erscheint einerseits als sprichwörtlicher Lüstling, wirft andererseits aber auch Fragen nach dem gesellschaftlichen Umgang mit Konventionen auf.
Von JENNIFER WARZECHA
Leporello (ausdrucksstark und gewandt: Lukas Schmid-Wedekind) versucht, alle abzulenken, damit Don Giovanni (frech, autark, unnahbar und doch irgendwie menschlich: Paul Jadach/Birger Radde) sämtliche Frauen beglücken kann. Die Liste ist lang, wie Leporello in einer der Szenen zeigt. In seiner einzigen Arie setzt er Donna Elvira (ausdrucksstark und überzeugend: Dorothee Böhnisch), die einst von Don Giovanni sitzen gelassen wurde, davon in Kenntnis, dass sie nur eine von vielen im Leben Don Giovannis ist. Es lacht und frohlockt das Orchester.
Hingabe
Leporello bleibt äußerlich ernst und vor Elvira stolz und fasziniert, mitunter auch etwas schadenfroh, wie im Programmheft zu lesen ist. Sie wirkt wie ein Zwischencharakter, wie weiter im Heft als Anregung zu lesen ist. Sie singt mit dramatisch großen Tonsprüngen und energischen Punktierungen von ihrer geplanten Rache an Don Giovanni. Dieser hatte eingangs ihren Vater, den Komtur, im Zweikampf ermordet. Mit Beleidigungen wie »perfido« (Treuloser) und »barbaro« (Grausamer) verleiht sie ihrer Sehnsucht nach Rache und ihrem Hass Ausdruck, indem sie Tonsprünge und Punktierungen auf die Hochtöne der jeweiligen Phrase platziert. Die tragische Figur verliert aber darin ihre Glaubwürdigkeit, dass sie sich ihm erneut hingibt.
Verwunderlich ist dies jedoch nicht, hat doch die Figur des Frauenhelden mit seiner narzisstischen Persönlichkeitsstörung auch im realen Leben die Angewohnheit, dass er eben durch seinen Charme immer wieder die Frauenwelt erobert. Unterschiedliche Motive motivieren ihn, trotz der auf der langen Liste unterschiedlich aufgeführten Eigenschaften, sich zum Beispiel Zerlina (treu ergeben und doch risikobewusst: (Elisandra Melián) anzunehmen. Diese wäre für ihn zwar eine zu leichte Beute. Es reizt ihn aber, dass er sie am Tag ihrer Hochzeit besitzt.
Konventionen brechen oder leben?
Die Frauen mit Schleiern und Hochzeitskleidern in einer der Szenen werfen auch die Frage nach dem heute gängigen Frauenbild auf. Leben wir heute gemäß den gängigen Rollenvorstellungen in der Gesellschaft, in der Frauen heiraten und Kinder bekommen und einen treu sorgenden (Ehe-)Mann haben? Oder es ist doch die Polyamorie, also Liebe zu mehreren, die heute gang und gäbe ist und die wir deshalb nicht als falsch, im Sinne von nicht-konfessionell, empfinden sollten? Oder wie es Inken Meents im Programmheft formuliert: »Wer darf eigentlich mit wem und warum?« Don Giovanni wird am Ende jedenfalls Gefangener seiner Masche und von Donna Anna, ihrem Verlobten und der von ihm verschmähten Donna Elvira bis in den Tod hinein verfolgt. In einer Szene am Schluss zeigt sich Don Giovannis Verzweiflung. Das gesamte Szenario erinnert an das Gemälde von Michelangelo ›Das letzte Abendmahl.‹
Fazit
Die Frage stellt sich doch, inwieweit die Freiheit des Einzelnen geht, ohne dass er der des anderen nicht schadet, indem er ihn mit seiner Untreue verletzt – und dafür bestraft wird – oder, ob derjenige, der sich verletzt fühlt, am Ende sich doch neuen Strukturen anpassen sollte. Dieses Urteil bleibt jedem selbst überlassen. Sich ›Don Giovanni‹ in Pforzheim anzusehen, ist auf jeden Fall einen Besuch wert. Klasse, unterstützt von einer gewaltigen Leistung des Chors des Theaters Pforzheim und der Badischen Philharmonie Pforzheim!
| JENNIFER WARZECHA
| Fotos: SABINE HAYMANN
Titelangaben
Stadttheater Pforzheim: Don Giovanni
Besetzung:
Don Giovanni – Paul Jadach/ Birger Radde, Komtur – Aleksandar Stefanoski
Donna Anna – Stamatia Gerothanasi/ Elisandra Melián, Don Ottavio – Santiago Bürgi/ Patrik Horňák
Donna Elvira – Dorothee Böhnisch, Leporello – Lukas Schmid-Wedekind
Masetto – Paul Jadach/ Dumitru Madarasan, Zerlina – Elisandra Melián/ Helena Steiner
Statisterie des Theaters Pforzheim
Chor des Theaters Pforzheim
Badische Philharmonie Pforzheim
Musikalische Leitung – Robin Davis
Inszenierung – Saskia Kuhlmann
Bühne und Kostüme – Thomas Mogendorf
Dramaturgie – Christina Zejewski
Dauer: ca. 3h 10 Min, Pause nach ca. 90 Min, Einführung jeweils 20 Minuten vor Beginn
Weitere Aufführungen:
Fr. 08.10.2021, Beginn: 19:30 Uhr; Do. 14.10.2021, Beginn: 20:00; Mi. 27.10.2021; Beginn: 20:00 Uhr; Do. 11.11.2021, Beginn: 20:00 Uhr;
Fr. 17.12.2021, Beginn: 19:30 Uhr; Di. 04.01.2022, Beginn: 20:00 Uhr; Sa. 12.02.2022, Beginn: 19:30 Uhr; Di. 15.03.2022, Beginn: 20:00 Uhr;
Mi. 23.03.2022, Beginn: 20:00 Uhr