Frederik groß und Frederik klein

Kinderbuch | Joke van Leeuwen: Die erstaunliche Geschichte von Frederik – total geschrumpft!

Frederik ist ein erwachsener Mann mit eigener Wohnung, einem Auto und einem Beruf, der ein ganz normales Leben führt. Doch eines Tages geschieht etwas ganz und gar Ungewöhnliches: Frederik schrumpft und steckt plötzlich in einem Kinderkörper fest. ANDREA WANNER wollte wissen, wohin diese Geschichte führt.

U_5850_FREDERIK.IND75Zunächst begleiten wir den erwachsenen Frederik an seinen Arbeitsplatz. Er ist im Ausschnittdienst tätig, d.h., er schneidet mit der Schere Zeitungsausschnitte aus, die er nach Themen sortiert: Überschwemmungen, Königinnen, Tiere. Eigentlich wirkt er ganz zufrieden mit sich und der Welt, verbringt die Wochenenden im Park, geht ins Café und mag im Fernsehen am liebsten Tiersendungen oder eine, in der Kinder Fragen stellen dürfen. Und dann entdeckt er mitten beim Ausschneiden eine Todesanzeige. Ein alter Mann namens Peter Paulus Prachtmann ist gestorben und Frederik kannte ihn. 30 Jahre hatte er ihn nicht gesehen, aber jetzt sorgt seine Entdeckung für eine Verwandlung: Frederik wird kleiner und sieht wieder wie ein Kind aus, denkt und fühlt aber wie ein Erwachsener. Was ist passiert? Und wie kann Frederik mit der Situation umgehen? Denn natürlich glaubt ihm kein Mensch, dass er tatsächlich Frederik ist. Seine Umgebung sieht in ihm nur ein Kind, das vormittags in der Schule sein müsste.

Joke van Leeuwen hat ein ungewöhnliches Kinderbuch geschrieben, denn eigentlich ist der Held ja immer noch ein Erwachsener, der nur wie ein Kind aussieht. Gut, seine Schrift wird ungelenker, er hat plötzlich wieder Lust zu zeichnen und zu hüpfen und er freut sich an drei Kugeln Eis mit Streuseln. Aber nach wie vor denkt er wie ein Erwachsener, reflektiert seine Situation, wägt Möglichkeiten ab, von denen er nicht allzu viele hat. Dann lernt er im Park Bommel, ein kleines Mädchen, kennen. Sie wird zum verbindenden Element zwischen dem erwachsenen Frederik, der aussieht wie ein etwas verwahrloster Junge in viel zu großen Klamotten, und den Leserinnen und Lesern. Denn Bommel ist ein Kind. Ihr Blick auf Frederiks Situation ist der eines Kindes – und auch sie glaubt ihm kein Wort. Aber sie erzählt seine Geschichte jemandem, die ihm glaubt: ihrer Mutter.

Die Geschichte enthält viele amüsante und witzige Passagen. Außerdem ist sie großzügig bebildert, immer wieder mit neuen originellen Ideen, die zur jeweiligen Stimmung passen. Aber unterm Strich verlangt die niederländische Autorin den jungen Leserinnen und Lesern eine Menge ab. Was Frederik zum Schrumpfen und Kleinwerden brachte, liegt weit in seiner Vergangenheit vergraben. Es ist ein ungelöstes Stück persönlicher Geschichte, das entscheidend wird für seinen weiteren Lebensweg. Jetzt braucht er Hilfe, denn allein findet er aus dieser Krise nicht hinaus. Dass das ein ernstes Thema ist, lassen auch die Slapstickeinlagen nicht vergessen, wenn Frederik beispielsweise mit seinem Auto unterwegs ist oder seinem Chef eine erklärende Nachricht zu hinterlassen versucht.

Bommels Mutter übernimmt zum Glück diese Rolle der rettenden Helferin. Sie ist eine tolle Mutter für Bommel, liebt Überraschungsbrötchen und zweifelt keine Sekunde an Frederiks Geschichte: »Von so etwas habe ich schon einmal gelesen. Von einem Mann, der sich in einen Käfer verwandelte. Von einem Frosch, der sich in einen Prinzen verwandelte. Von einem, der plötzlich viel jünger wurde, aber nicht so jung wie du.« Aber sie bleibt nicht bei ihren Beispielen aus der Literatur und stempelt Frederik als weiteren ungewöhnlichen Fall ab. Sie spürt, dass da noch mehr ist. Sie fragt und bekommt Antworten. Und dann kann sie Frederik helfen. Kompetent und pragmatisch. Und junge Leser können mit der Lösung, die sich dann auftut, leben.

| ANDREA WANNER

Titelangaben
Joke van Leeuwen: Die erstaunliche Geschichte von Frederik – total geschrumpft!
Ma ik ben Frederik (2013). Aus dem Niederländischen von Hanni Ehlers
Hildesheim: Gerstenberg 2015
112 Seiten, 12,95 Euro
Kinderbuch ab 8 Jahren

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Alles andere als sicher

Nächster Artikel

Einmal London und zurück

Weitere Artikel der Kategorie »Kinderbuch«

Öffentlicher Nahverkehr

Kinderbuch | Marianne Dubuc: Bus fahren / Marjaleena Lembcke: Der Bus mit den eckigen Rädern Wer ist eigentlich noch mit dem Bus unterwegs? Die Straßen sind voller Autos, jeder erreicht sein Ziel individuell. Dabei kann man eine Menge verpassen, findet ANDREA WANNER

Neues Leben entsteht

Kinderbuch | Sissel Horndal: Máttaráhkkás weite Reise Dieses ausgesprochen schöne Bilderbuch entführt in den hohen Norden, ins Land der Samen, einer alten Volksgruppe, deren Lebensraum sich vom Norden Schwedens, Norwegens, Finnlands bis zur Barentssee in Russland erstreckt. Die Ureinwohner Lapplands sprechen eigene Sprachen und haben eine immer noch sehr lebendige Kultur, die aus dem Schamanismus herrührt, aus jener Zeit, als die Samen noch als Rentierjäger durch das Land zogen. Alles in der Natur hat eine Seele, und den Göttern und Geistern in der Welt nährt man sich mit Respekt. Diesen Zauber, so findet BARBARA WEGMANN, spiegeln Buch und Geschichte aus

Totales Chaos

Kinderbuch | Helga Bansch: Monstergeburtstag

Kindergeburtstage sind eine Sache für sich. Wirklich verrückt wird es, wenn kleine Monster Geburtstag feiern, findet ANDREA WANNER.

Bildungs(un)lust

Kinderbuch | Christian Gutendorf: Manfred muss mit Ferien stehen vor der Tür. Da haben so manche bildungsbeflissene Eltern sicherlich Pläne, welche Kulturgüter den lieben Kleinen nahezubringen sind. Museum, Burg oder Ausgrabungsstätte? Manfred Vaters hat sich jedenfalls für einen Tagesausflug mit seinem Sohn die höchste Kirche der Welt vorgenommen. Ein Vergnügen besonderer Art, meint ANDREA WANNER.

Es gibt nicht Nichts

Kinderbuch | Øyvind Torseter: Das Loch Es gibt absichtliche Löcher, die da sind, wo sie hingehören und sein sollen: das Loch in der Minigolfbahn zum Beispiel, in das man den Ball versenken soll. Oder das bei der Gitarre, damit die überhaupt klingen kann. Es gibt Löcher, über die man sich ärgert – wie das in der neuen Jeans. Oder solche, die schmerzen, wie das im Zahn. Ein Loch, wie es uns hier begegnet, ist allerdings ungewöhnlich. ANDREA WANNER staunte.