Coup de foudre

Stefan Knösel: Das absolut schönste Mädchen der Welt und ich

Liebe, die wie ein Blitz einschlägt, wer wünscht sich das nicht? Überwältigt werden, den Boden unter den Füßen verlieren, die Welt vergessen – für das eine: die wahre Liebe. Stefan Knösel lässt den siebzehnjährigen Paul genau das erleben. Allerdings gehören zur Liebe zwei. Und die Welt gehört zu den gemeinen Gegebenheiten, die nur dazu geschaffen sind, dass man sie eben nicht vergisst. Von MAGALI HEISSLER

maedchenEigentlich kann man Paul beneiden. Zwar leben seine Eltern getrennt und können trotzdem nicht von ihrem Dauerstreit lassen, aber Paul lebt bei seiner Mutter in Paris. Die schönste Stadt, die Stadt der Liebe! Paul allerdings konnte sich mit Paris nie so recht anfreunden. Nach einem Streit mit seiner Mutter fährt er kurzerhand zu seinem Vater nach München zurück. Doch sein Vater ist auf Reisen. Typisch, denkt Paul. Immerhin kann er in der väterlichen Wohnung wohnen und auch Papas Kreditkarte nutzen.

Überhaupt nicht gut findet er es, dass im gleichen Haus ein alter Bekannter eingezogen ist, Jonas, Schulfreund-feind, der immer einen bescheuerten Spruch parat hat. Doch dann passiert es, Paul trifft die Frau seiner Träume. Das weiß er sofort, auch wenn er erst mal glaubt, dass sie ihm den Geldbeutel klauen wollte. Er irrt sich, das ist nur das erste Mal in dieser Beziehung. Er lässt sie auch gehen, ohne ihren Namen zu kennen, er ist ganz sicher, dass er das in kürzester Zeit herausfinden wird.

Damit beginnt eine Suche, die nicht nur schwieriger ist, als erwartet, sondern überdies zutage fördert, was Paul weder mitmachen noch wissen wollte. Doch die Liebe hat ihn in ihren Fängen. Das kann ganz schön wehtun.

Ritter sein im 21. Jahrhundert

Knösel hat mit Paul einen Helden geschaffen, der gleichermaßen zeitgemäß wie aus der Zeit gefallen zu sein scheint. Zunächst trifft man einen Jugendlichen, der tragen muss, was viele jugendliche Romanfiguren ertragen, Eltern nämlich, die mit sich derart beschäftigt sind, dass ihre Kinder wenig Bedeutung haben. Rücken die Kinder für einmal in den Fokus ihrer Aufmerksamkeit, gibt es vor allem Sturm. Pauls Reaktion ist klassisch, er läuft davon.

Er ist aber keineswegs auf der Flucht, er macht eine Art Erinnerungsreise durch München. Die Wohnung seines Vaters ist hochmodern und schick, aber die Stätten von Pauls Kindheit, seine Lieblingsorte vor allem im Englischen Garten sind alle noch da, unverändert. Eben in dem Moment, in dem Paul von einer Zeit träumt, in der seine Welt noch in Ordnung war, erscheint seine erste große Liebe.

Aus Paul wird ein liebesblinder, liebestrunkener Tor, der auf der Suche nach dem Mädchen in ein Labyrinth gerät, in dem auch ein Ungeheuer wartet, allerdings raffiniert modern gewendet. Pauls Abenteuer sind zeitgemäß, ebenso sein Handeln. Im Lauf der Geschichte wird sein Charakter immer stärker überhöht, bis er sich tatsächlich als edler Ritter entpuppt.

Die Mischung von Archetypen, klassischem und modernem Heldentum funktioniert gut, bis auf das letzte Drittel, in dem Paul dann doch etwas zu weise und zielsicher für einen Siebzehnjährigen gerät, der schwer von Liebesleid gebeutelt wird. Die Grundaussage bleibt trotzdem deutlich: Es ist schwer, ein Ritter zu sein, nämlich richtig zu handeln. Dies wiederum heißt nach den Anforderungen der heutigen Zeit verantwortlich, rücksichtsvoll, ehrlich. Auch wenn man dafür leiden muss.

Abenteuer des Herzens

Rundum gelungen ist Pauls weiblicher Gegenpart, eine zunächst namenlose Prinzessin, die moderne Amazone und zugleich Opfer der modernen Zeiten ist. Sie ist es, die die Handlung in Schwung hält, denn sie ist schwer aufzustöbern und sie hat ihre Gründe dafür. Pauls Einsatz ist beeindruckend, seine Ideen, die Frau seines Lebens für sich zu gewinnen gleichfalls. Knösel kommt dabei ohne plakative Verrücktheiten aus, hier wird nicht herumgealbert, es werden keine Muskeln gezeigt, hier geht es wirklich um Liebe. Das ist gerade in einem Buch, das sich an ein junges männliches Publikum richtet, ein echter Fortschritt.

Paul macht keinen Hehl aus seine Gefühlen, himmelhochjauchzend, zerrissen vor Schmerz, um Vernunft ringend, er macht alles durch. Man leidet mit ihm beim Lesen. Anfechtbar ist eher der unkritisch präsentierte freizügige Alkoholkonsum samt schwerer Kifferei, die als Seelentrost herhalten müssen.

Etwas zu beiläufig wird auch abgehandelt, dass so einiges nur funktioniert, wenn man genug Geld hat. Schön dagegen ist der offene Umgang mit Sex unter Jugendlichen. Das hat hier eine innere Logik und Natürlichkeit, die man sonst vermisst.
Die Geschichte ist die Geschichte von Abenteuern des Herzens. Liebesverstrickungen auch anderer Figuren, Beziehungen zwischen und zu Eltern, zu Freunden und nicht zuletzt zu bestimmten Orten gehören dazu.

Auch München ist ein kleines Liebeslied gewidmet. Pauls Freund Jonas und seine Geschichte geraten leider unter die Räder, auch wird Pauls anschließender Lebensweg zu rasch abgehandelt und übermäßig romantisiert. Versatzstücke eines Künstlerromans hätte man nicht unbedingt gebraucht, auch wenn das Künstlerische zugegebenermaßen zu der nachdenklichen Seite von Paul passt.

Die Geschichte von Paul und dem absolut schönsten Mädchen der Welt ist eine realistisch angelegte, aber überhöht gestaltete Ballade, innig-schön und melancholisch überhaucht, ein wahres Liebesmärchen, ein lebensechter Traum.

| MAGALI HEISSLER

Titelangaben
Stefan Knösel: Das absolut schönste Mädchen der Welt und ich
Weinheim: Beltz & Gelberg 2015
257 Seiten. 13,95 Euro
Jugendbuch ab 15 Jahren
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