Auf der Suche nach dem fehlenden Vater

Bühne | Hamlet. Tragödie von William Shakespeare. Badisches Staatstheater Karlsruhe

Zu den wichtigsten Phasen im Leben eines jeden zählt die Kindheit. Leider ist aber gerade diese nicht immer nur Hort von ersten Lebenserfahrungen und glücklichen Momenten, die später in gute Kindheitserinnerungen übergehen. Ein beliebtes Motiv in Literatur und Theater ist deshalb nicht nur das des Vatermordes, sondern auch das des fehlenden Vaters. Von JENNIFER WARZECHA

2015_hamlet_ama1095_b_web»Was passiert, wenn wir in unserer Kindheit keinen Vater hatten?«, fragt deshalb schon das Programmheft der Karlsruher Inszenierung des ›Hamlet‹ von William Shakespeare, in einer Übertragung von Hans Rothe, unter der Regie von Csaba Polgár und unter der künstlerischen Mitarbeit von Ildikó Gáspár im vollen und jugendlich besetzten Kleinen Haus des Badischen Staatstheaters Karlsruhe.

Zumindest Hamlet (witzig, einfühlsam und melancholisch: Sascha Tuxhorn) erscheint sein Vater, der einstige König von Dänemark, einerseits als Geist, der ihn zunächst verwirrt, dann aber auf die Fährte seines Mörders führt. Nicht nur das: Der Vater (überzeugend als Geist/Schauspieler/Fortinbras: Ronald Funke) erscheint wie ein Über-Ich im Sinne Sigmund Freuds, der dem Publikum dadurch Einblicke in die Beziehung der einzelnen Familienmitglieder und der Figuren untereinander gewährt.

Gerade die Szenen zwischen Hamlet und seinem Vater sind es auch, die dem Stück eine gewisse Dynamik und Ernsthaftigkeit verleihen, nicht nur dann, wenn Hamlet Johann Wolfgang von Goethes ›Der Erlkönig‹ anstimmt und damit auch das Motiv des verlorenen und toten Kindes ins Spiel bringt. Apropos Spiel: Im doppelten Sinne komisch wirkt die Einlage im Sinne des »Spiels im Spiel« der klassischen Tragödie, wie sie ›Hamlet‹ von der Gattung her ja tatsächlich ist. Hamlet fordert alle anderen Schauspieler (kühn und überzeugend als Claudius: Frank Wiegard, unauffällig als Polonius/Totengräber: André Wagner, kokett und frech als Ophelia/Totengräber: Marthe Lola Deutschmann, stets gefasst und so in der Mutterrolle durchaus überzeugend als Gertrud: Annette Büschelberger, stellenweise überzogen komisch und dadurch in ihrer Erscheinung eher lächerlich: Maximilian Grünewald als Rosenkranz und Michel Brandt als Güldenstern) spontan zum Theaterspiel auf. Auf einmal tanzen alle im weißen Luftschloss (Bühne und Kostüme: Lili Izsák) auf und ab und bleiben zwischendurch gespannt stehen. Dieser Moment sorgt für lautes Gelächter im Publikum.

Eines muss man vorneweg sagen: Die witzigen Einlagen sind eindeutig Geschmackssache. Sie wirken mehr lächerlich und überzogen-komisch, manchmal sogar nerv tötend, denn erheiternd. Fast schon skurril mutet es an, als Hamlet plötzlich mit dem Totenschrein mit der Asche seines Vaters und dem mit der vermeintlichen Asche Ophelias – einem Marionettentheater gleich – zu hantieren und gestikulieren beginnt und anschließend zwei Socken, die seine Wegbegleiter Rosenkranz und Güldenstern symbolisieren sollen, ins Publikum wirft.

2015_hamlet_hp10766_webMelancholisch, geradezu ergreifend ist die Szene zu Anfang des Stückes hingegen, als der Vater Hamlet begegnet, sich dann auf das das alte Wertesystem symbolisierende Pförtnerhäuschen schwingt, Hamlet seine Nähe sucht und schließlich in seiner Umarmung verharrt – sein Blick spricht dabei Bände vor lauter Sehnsucht nach dem Vater und der Zeit seiner Kindheit und Jugend als Ort der Wonne und Sicherheit. Wie das eingangs erwähnte Über-Ich als moralisches Korrektiv erscheint der Vater, als er sich an die auf dem luftleeren Schloss stehende Königin bzw. Gertrud (auch hier sehr souverän: Annette Büschelberger) und Hamlet beobachtend heranpirscht. Hamlet verurteilt seine Mutter, die sich an dem Mord an ihrem Mann wenig störte und einfach dessen Bruder (heroisch, kühl und dadurch kompetent als Claudius: Frank Wiegard) zum Manne nahm. Auch hier wird der Vaterverlust und dadurch das fehlende stärkende Element in der Psyche des Protagonisten spürbar. Nicht nur das: Nacheinander verschwinden die anderen Figuren des Stückes. Ophelia zum Beispiel bringt sich in den naheliegenden Gewässern um.

Überzogene Komik oder erheiternde Elemente?

Am Ende duellieren sich Hamlet und Laertes (nicht ganz so ausdrucksstark wie der Protagonist: Luis Quintana), wobei die komischen Elemente schlussendlich William Shakespeares Meisterwerk in der Karlsruher Inszenierung zur Tragikomödie werden lassen – zum Beispiel dann, wenn Hamlet Laertes statt mit dem Degen mit dem Radio und dessen Antenne duelliert. Oder dann, wenn die Protagonisten, mit der Gitarre bewaffnet, auf einmal ›Love is in the air‹ (Original von John Paul Young) singen.

Gerade hier wird aber, so schön eine musikalische Einlage innerhalb eines Theaterstückes auch anmuten darf, nicht ganz klar, welchen Zweck sie hier erfüllt. Möglicherweise gerade den, das Publikum zu erheitern? Dem ist gelungen und am Ende quittiert das Publikum den Shakespeare-Klassiker mit tosendem Beifall – wenn auch die komischen Elemente im Stück nach wie vor Geschmackssache bleiben.

| JENNIFER WARZECHA
| FOTOS: FELIX GRÜNSCHLOß

Titelangaben
Hamlet
Tragödie von William Shakespeare
im Badischen Staatstheater Karlsruhe

Termine
Sonntag, 06.03., 19:00-22:00
anschließend Publikumsgespräch
Sonntag, 03.04., 15:00-18:00
Sonntag, 10.04., 15:00-18:00
Donnerstag, 28.04., 20:00-23:00
Donnerstag, 19.05., 20:00-23:00
Sonntag, 29.05., 19:00-22:00
Samstag, 11.06., 19:30-22:30
Freitag, 08.07., 20:00-23:00
Donnerstag, 21.07., 20:00-23:0

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Kalter Krieger, Teufels Maul

Nächster Artikel

Spitz auf Knopf

Weitere Artikel der Kategorie »Bühne«

Feminismus en vogue

Bühne | Nora, Hedda und ihre Schwestern 300 Jahre Badisches Staatstheater, 200 Jahre Badische Verfassung, 100 Jahre Frauenwahlrecht. Die Aufführung ›Nora, Hedda und ihre Schwestern‹ setzt unter der Regie von Anna Bergmann, mit der Dramaturgie von Marlies Kink mehrere Akzente. Von JENNIFER WARZECHA

Die Magie des Breakdance

Bühne | Tanzshow | Flying Illusion Genau zwölf Breakdancer braucht es für die Inszenierung des alten Kampfes: Gut gegen Böse. Was die Zuschauer erwartet? Spektakuläre Akrobatik mit effektgeladenen Bühnenbildern. Diese wurden mit aufwändigen 3D-Projektionen versehen. Dabei scheinen die Grenzen tänzerischen Könnens auf magische Weise aufgehoben zu werden. ANNA NOAH feiert die lang erwartete Show-Premiere der Breakdance Weltmeister.

Früher war alles besser?!

Live | Bühne: Die ›Ehe unserer Eltern‹ am Badischen Staatstheater Karlsruhe Laubblätter, gezeichnet auf Papier, liegen auf der Bühne. Am rechten Eck der Bühne im Studio steht ein Tisch mit einem Plattenspieler darauf – samt einer Thermoskanne. Eine Frau mit schwarz-gelocktem Haar trocknet Geschirr. Links davon sitzt eine Dame auf einem mit einer Papierhaube modellierten Gipfel. Ein weiterer Mann links davon sortiert Schallplatten, während sich sein weibliches Gegenüber eine Zigarette dreht. Volker erzählt von seinen Erfahrungen mit den 1968er-Jahren. Von JENNIFER WARZECHA

»Warum soll ich schuld sein?«

Bühne | ›Lulu‹ im Hamburger Theater das Zimmer Sie verzaubert und verführt – ›Lulu‹ ist für viele Männer der Inbegriff der Perfektion. Doch nur einer weiß, wo bei ihr der Engel aufhört und der Teufel beginnt. Kann er sie zu Fall bringen, bevor die Sünde ihn stürzt? Von MONA KAMPE

Der perfekte Moment

Bühne | Konzert: Max Raabe Max Raabe, neulich erst zur »fahrradfreundlichsten Persönlichkeit 2019« gekürt, tourt derzeit unter dem Titel seines jüngsten Albums ›Der perfekte Moment … wird heut verpennt‹. Mit dabei seine Klassiker: ›Kein Schwein ruft mich an‹ oder ›Küssen kann man nicht alleine‹, natürlich im Stil der 1920er und 1930er Jahre. Diese Lieder brachten ihm internationalen Durchbruch. Auf der Bühne begeistert er mit Satire und Wortwitz, jedoch auch mit einzigartigem Raabe-Charme. ANNA NOAH staunt über eine vielseitige Darbietung.