Bühne | Hamlet. Tragödie von William Shakespeare. Badisches Staatstheater Karlsruhe
Zu den wichtigsten Phasen im Leben eines jeden zählt die Kindheit. Leider ist aber gerade diese nicht immer nur Hort von ersten Lebenserfahrungen und glücklichen Momenten, die später in gute Kindheitserinnerungen übergehen. Ein beliebtes Motiv in Literatur und Theater ist deshalb nicht nur das des Vatermordes, sondern auch das des fehlenden Vaters. Von JENNIFER WARZECHA
»Was passiert, wenn wir in unserer Kindheit keinen Vater hatten?«, fragt deshalb schon das Programmheft der Karlsruher Inszenierung des ›Hamlet‹ von William Shakespeare, in einer Übertragung von Hans Rothe, unter der Regie von Csaba Polgár und unter der künstlerischen Mitarbeit von Ildikó Gáspár im vollen und jugendlich besetzten Kleinen Haus des Badischen Staatstheaters Karlsruhe.
Zumindest Hamlet (witzig, einfühlsam und melancholisch: Sascha Tuxhorn) erscheint sein Vater, der einstige König von Dänemark, einerseits als Geist, der ihn zunächst verwirrt, dann aber auf die Fährte seines Mörders führt. Nicht nur das: Der Vater (überzeugend als Geist/Schauspieler/Fortinbras: Ronald Funke) erscheint wie ein Über-Ich im Sinne Sigmund Freuds, der dem Publikum dadurch Einblicke in die Beziehung der einzelnen Familienmitglieder und der Figuren untereinander gewährt.
Gerade die Szenen zwischen Hamlet und seinem Vater sind es auch, die dem Stück eine gewisse Dynamik und Ernsthaftigkeit verleihen, nicht nur dann, wenn Hamlet Johann Wolfgang von Goethes ›Der Erlkönig‹ anstimmt und damit auch das Motiv des verlorenen und toten Kindes ins Spiel bringt. Apropos Spiel: Im doppelten Sinne komisch wirkt die Einlage im Sinne des »Spiels im Spiel« der klassischen Tragödie, wie sie ›Hamlet‹ von der Gattung her ja tatsächlich ist. Hamlet fordert alle anderen Schauspieler (kühn und überzeugend als Claudius: Frank Wiegard, unauffällig als Polonius/Totengräber: André Wagner, kokett und frech als Ophelia/Totengräber: Marthe Lola Deutschmann, stets gefasst und so in der Mutterrolle durchaus überzeugend als Gertrud: Annette Büschelberger, stellenweise überzogen komisch und dadurch in ihrer Erscheinung eher lächerlich: Maximilian Grünewald als Rosenkranz und Michel Brandt als Güldenstern) spontan zum Theaterspiel auf. Auf einmal tanzen alle im weißen Luftschloss (Bühne und Kostüme: Lili Izsák) auf und ab und bleiben zwischendurch gespannt stehen. Dieser Moment sorgt für lautes Gelächter im Publikum.
Eines muss man vorneweg sagen: Die witzigen Einlagen sind eindeutig Geschmackssache. Sie wirken mehr lächerlich und überzogen-komisch, manchmal sogar nerv tötend, denn erheiternd. Fast schon skurril mutet es an, als Hamlet plötzlich mit dem Totenschrein mit der Asche seines Vaters und dem mit der vermeintlichen Asche Ophelias – einem Marionettentheater gleich – zu hantieren und gestikulieren beginnt und anschließend zwei Socken, die seine Wegbegleiter Rosenkranz und Güldenstern symbolisieren sollen, ins Publikum wirft.
Melancholisch, geradezu ergreifend ist die Szene zu Anfang des Stückes hingegen, als der Vater Hamlet begegnet, sich dann auf das das alte Wertesystem symbolisierende Pförtnerhäuschen schwingt, Hamlet seine Nähe sucht und schließlich in seiner Umarmung verharrt – sein Blick spricht dabei Bände vor lauter Sehnsucht nach dem Vater und der Zeit seiner Kindheit und Jugend als Ort der Wonne und Sicherheit. Wie das eingangs erwähnte Über-Ich als moralisches Korrektiv erscheint der Vater, als er sich an die auf dem luftleeren Schloss stehende Königin bzw. Gertrud (auch hier sehr souverän: Annette Büschelberger) und Hamlet beobachtend heranpirscht. Hamlet verurteilt seine Mutter, die sich an dem Mord an ihrem Mann wenig störte und einfach dessen Bruder (heroisch, kühl und dadurch kompetent als Claudius: Frank Wiegard) zum Manne nahm. Auch hier wird der Vaterverlust und dadurch das fehlende stärkende Element in der Psyche des Protagonisten spürbar. Nicht nur das: Nacheinander verschwinden die anderen Figuren des Stückes. Ophelia zum Beispiel bringt sich in den naheliegenden Gewässern um.
Überzogene Komik oder erheiternde Elemente?
Am Ende duellieren sich Hamlet und Laertes (nicht ganz so ausdrucksstark wie der Protagonist: Luis Quintana), wobei die komischen Elemente schlussendlich William Shakespeares Meisterwerk in der Karlsruher Inszenierung zur Tragikomödie werden lassen – zum Beispiel dann, wenn Hamlet Laertes statt mit dem Degen mit dem Radio und dessen Antenne duelliert. Oder dann, wenn die Protagonisten, mit der Gitarre bewaffnet, auf einmal ›Love is in the air‹ (Original von John Paul Young) singen.
Gerade hier wird aber, so schön eine musikalische Einlage innerhalb eines Theaterstückes auch anmuten darf, nicht ganz klar, welchen Zweck sie hier erfüllt. Möglicherweise gerade den, das Publikum zu erheitern? Dem ist gelungen und am Ende quittiert das Publikum den Shakespeare-Klassiker mit tosendem Beifall – wenn auch die komischen Elemente im Stück nach wie vor Geschmackssache bleiben.
| JENNIFER WARZECHA
| FOTOS: FELIX GRÜNSCHLOß
Titelangaben
Hamlet
Tragödie von William Shakespeare
im Badischen Staatstheater Karlsruhe
Termine
Sonntag, 06.03., 19:00-22:00
anschließend Publikumsgespräch
Sonntag, 03.04., 15:00-18:00
Sonntag, 10.04., 15:00-18:00
Donnerstag, 28.04., 20:00-23:00
Donnerstag, 19.05., 20:00-23:00
Sonntag, 29.05., 19:00-22:00
Samstag, 11.06., 19:30-22:30
Freitag, 08.07., 20:00-23:00
Donnerstag, 21.07., 20:00-23:0