Sachbuch | Peter Laufer: Bio? Die Wahrheit über unser Essen
Wenn Peter Laufer, investigativer Journalist und Dokumentarfilmer, sich mit der Produktion und dem Verkauf von Biolebensmitteln auseinandersetzt, dürfen die Handelsketten getrost die Luft anhalten. In ›Bio? Die Wahrheit über unser Essen‹ findet Laufer sie alle – schwarze Schafe und Biomärtyrer. VIOLA STOCKER ging mit ihm auf Weltreise, um sich aufklären zu lassen.
Sympathisch liest sich die Grundmotivation, aus der heraus Laufer sein Buch geschrieben hat. Der Autor, selbst bekennender Vertreter einer ökologischen Lebensweise, wollte dem Herstellungsprozess seiner Lebensmittel auf den Grund gehen. Damit macht Laufer etwas, was viele andere Konsumenten nicht versuchen: Er hinterfragt die Etikettierung auf den Lebensmitteln und die staatlichen Zertifizierungsstellen. Seine Odyssee nimmt ihren Anfang bei einer Packung Biowalnüsse, die er bei Trader Joe’s gekauft hatte. Biowalnüsse aus Kasachstan?
Die richtigen Fragen stellen
Kann es in Kasachstan, einem Land geprägt von Armut und Korruption, einen funktionierenden Biolandwirtschaftssektor geben? Stammen die schwarzen Bohnen in seiner Dose tatsächlich von Biobauern in Bolivien? Laufer lebt und unterrichtet u.a. in Eugene, Oregon und Wien. Oregon ist ein US-amerikanischer Bundesstaat mit starker Biotradition, in Österreich werden gute Lebensmittel großgeschrieben. Laufer beginnt zu fragen.
Wer zertifiziert? Wie funktioniert das Zertifizierungssystem? Er findet Bedenkliches heraus. Fast überall weltweit gibt es staatliche und private Zertifizierungsstellen für Biolebensmittel. Die personell unterbesetzten staatlichen Zertifizierungsstellen geben ihren Auftrag weiter an Privatunternehmen. Deren Einkommen hängt vom Zertifizierungsvolumen ab. Je mehr Lebensmittel also als »Bio« deklariert werden können, desto mehr Gebühren dürfen die Zertifizierer verlangen. Wie kann ein System funktionieren, indem die Bauern für die Zertifizierung bezahlen müssen und der Zertifizierer von dieser Bezahlung abhängig ist?
Betrug und Misstrauen
Während die staatlichen Stellen an die Funktionstüchtigkeit ihres Systems glauben, ist Laufer misstrauisch. Er beginnt, alle Stellen anzusteuern, die mit seinen Produkten zu tun hatten. Es wäre zu erwarten, dass vor allem die Hersteller großes Interesse an einer Kooperation mit dem Journalisten zeigen, da es ja ihre Produkte sind, die Laufer untersucht. Doch der Journalist stößt zunehmend auf verschlossene Türen. Die Unternehmen weigern sich sämtlich, Unterlagen zu ihren Produkten offen zu legen. Und sie verpassen den staatlichen Zertifizierungsstellen eine Art Maulkorb, da diese sich schriftlich zur Geheimhaltung der Kommunikation verpflichtet haben.
Laufer begibt sich auf Weltreise und trifft alle Leute, die ihm mit Informationen über den Biosektor weiterhelfen können. Seine Erkenntnisse sind ernüchternd. Biolebensmittel erfreuen sich einer zunehmend steigenden Nachfrage, doch die Kontrolleure haben gar nicht die landwirtschaftstechnische Ausbildung und die Logistik, die Betriebe umfassend zu kontrollieren. Er trifft Vertreter von Bioverbänden wie z.B. Demeter, die die staatlichen Richtlinien wie z.B. die der EU konsequent ablehnen, da deren Maßnahmen einen gewissen Prozentsatz herkömmlicher Herstellungsverfahren erlauben. Ist neunzig Prozent »Bio« überhaupt noch »Bio«?
Kampf gegen Windmühlen
In einem zunehmend expandierenden Sektor gibt es nur wenige Ritter der Entrechteten. Laufer trifft Ungarns Agrarminister, der dadurch in die Schlagzeilen kam, dass er Felder mit genverändertem Mais einfach niederbrennen ließ. Ein italienischer Weinbauer schmunzelt über die Bioleichtgläubigkeit seiner Kunden und die Unwissenheit der Kontrolleure. Immer wieder gelingt es Betrügern, Biolebensmittel mit herkömmlichen Lebensmitteln zu vermischen, als »Bio« auszeichnen zu lassen und gewinnbringend zu verkaufen.
Einige wenige Übeltäter werden gefasst und streng abgestraft, viele werden nicht erwischt. Was nun? Laufer kommt zu keinem Ergebnis und das ist gut so. In einer globalisierten Weltwirtschaft hat der Verbraucher nur die Möglichkeit, auf die Kontrolleure zu vertrauen und dem Label Glauben zu schenken. Der gesunde Menschenverstand darf gerne helfen. Biotomaten im Dezember? Deren Ökobilanz fällt wohl katastrophal aus. Der Kampf gegen genveränderte Organismen und Monsanto? Einer gegen Windmühlen.
Kleines Happyend
Laufer wäre kein guter amerikanischer Journalist, hätte er nicht ein Happy End für den Leser parat. Nein, die Walnüsse aus Kasachstan stammen nicht aus biologischer Landwirtschaft. Nirgends in Kasachstan werden Walnüsse kultiviert, auch keine herkömmlichen. Doch den Biobauern für schwarze Bohnen in Bolivien konnte Laufer besuchen. Für bolivianische Bauern ist Biolandwirtschaft einfach: die wenigsten können sich Düngemittel und Pestizide leisten, die Bohnen werden angebaut wie vor Hunderten von Jahren. Und sind natürlich bio. Wie alle Lebensmittel auf diesem Globus bis vor 70 Jahren. Daran sollte auch einmal gedacht werden.
Titelangaben
Peter Laufer: Bio? Die Wahrheit über unser Essen
Aus dem Amerikanischen von Karin Miedler und Sigrid Schmid
Wien: Residenzverlag 2015
288 Seiten. 19,90 Euro
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