Jugendbuch | Ulla Scheler: Es ist gefährlich, bei Sturm zu schwimmen
Ein Mädchen. Ein Junge. Die beiden sind beste Freunde seit Kindertagen. Und jetzt lädt der Junge das Mädchen nach dem Abi zu einer Reise ins Ungewisse ein, die alles ändern wird. Von ANDREA WANNER
Dass Hanna und Ben wirklich nur beste Freunde sind, beginnt die Leserin nach wenigen Seiten zu bezweifeln. Es knistert zwischen den beiden. Wie sich herausstellt, weiß Ben das schon lange und nur Hanna ignoriert alle Zeichen. Ben ist anders als die übrigen Jungs, wagemutig, voller Lebenshunger. Der Selbstmord seines Vaters drei Jahre zuvor hat ihn verändert. Was geblieben ist, sind die Geschichten, die Ben erzählt. Sie machen Alltägliches zu Außergewöhnlichem. Und in jeder Situation geht Ben ein Schritt weiter als alle anderen. Er provoziert Hanna mitzumachen, gleichzuziehen. So wie es einen allerersten Kuss zwischen zwei Zehnjährigen gibt, auf einem hohen Baum, bei einem heftigen Gewitter. Hanna hält es für eine verrückte Idee, gefährlich und leichtsinnig. Aber er lässt nicht locker. Es gibt ihn, diesen ersten, einzigen Kuss. »Denkst du, dass du diesen Kuss je vergessen wirst?«, fragt er sie danach. Nein, sie wird ihn nicht vergessen, wie so vieles nicht. Und übersieht dennoch viele Zeichen.
In Bens klapprigem Auto fahren die beiden ans Meer, schreiben Liste mit Dingen, die sie tun wollen, sind übermütig und ausgelassen, philosophieren, probieren Neues aus und kommen sich sehr nahe. Und dann tauchen in dem Dorf, in dessen Nähe sie ihr Zelt aufgeschlagen haben, ein Mädchen und ein Junge auf, die auch das Verhältnis zwischen Ben und Hanna zu verändern scheinen.
Der Strand, an dem sie baden, hat seine eigene Geschichte: Schon viele Menschen sind hier ertrunken. Chloé, das Mädchen aus dem Dorf, kennt ein schauriges Märchen dazu von Oceana, der Letzten der Meermenschen, die sich jedes Jahr einen jungen Mann ins Meer holt. Jedes Mal gibt es im Vorfeld düstere Zeichen, die das Schreckliche ankündigen – und auf gespenstische Art kommt es zu Vorfällen, die alle durch die Geschichte vorhergesagt scheinen. Und schließlich geschieht etwas Entsetzliches.
Ulla Scheler ist Jahrgang 1994 und hat mit ihrem 360 Seiten starken Erstlingswerk durchaus Erstaunliches geleistet. Die Story kommt nicht ganz ohne Klischees aus, ist an manchen Stellen etwas zu vorhersehbar und insgesamt doch sehr spannend. Das Meer und seine unterschiedlichen Zustände darf eine eigene Rolle spielen und spiegelt dabei auch die Gefühle der beiden Protagonisten wieder.
Scheler ist eine aufmerksame Beobachterin und gestaltet überzeugende Dialoge. Rätselhaftes und Dunkles werden geschickt in eine Liebesgeschichte der besonderen Art eingebaut. Manche Erkenntnisse sind banal, die Art, wie sie gewonnen werden, ist es nicht. Gefühlen nachzuspüren, sie in Worte zu fassen, auch wenn es große Gefühle sind, ist immer ein Wagnis. Es gelingt nicht immer so gut, wie in dieser Geschichte.
Titelangaben
Ulla Scheler: Es ist gefährlich, bei Sturm zu schwimmen
München: heyne>fliegt 2016
364 Seiten, 14,99 Euro
Jugendbuch ab 14 Jahren
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